Markus Pöhlking von der "Neuen Osnabrücker Zeitung" hat nachgelegt. Gestern war über seinen Bericht hier zu lesen, am 6.9.24 schreibt er unter der Überschrift "RKI-Unabhängigkeit infrage gestellt: Kein Verfahren wie jedes andere: So lief die Befragung des RKI-Präsidenten in Osnabrück" hinter der Bezahlschranke:
»… [Richter Neuhäuser] hatten sich gut vorbereitet, um den einzigen geladenen Zeugen ins Verhör zu nehmen: RKI-Präsident Lars Schaade war für das Verfahren nach Osnabrück gereist, um dem Gericht Details zu den Beweismitteln zu erläutern…
Verhandlung mit Show-Charakter
Die Befragung Schaades durch den Richter war phasenweise scharf, mit mancher Spitze gegen den Zeugen. Die Zuschauer im Gerichtssaal dürften sich gut unterhalten gefühlt haben in diesem schillernden Verfahren.
Etwa zu Beginn, als Neuhäuser den Rechtsbeistand kommentierte, der Schaade in den Zeugenstand begleitete. Das sei ungewöhnlich am Verwaltungsgericht, eine Anekdote, die seine Vortragsreihe an der Uni bereichern werde, konstatierte Neuhäuser. Ihm sei nicht klar, wozu der RKI-Chef den Anwalt mitgebracht habe. „Sowas kennt man ja eigentlich nur aus dem Strafrecht, in Sexual- oder Wirtschaftsstrafsachen kann das sinnvoll sein.“…
Institut gegen Inzidenzwert
Bisweilen, das deuten die Protokolle an, setzte sich die Politik offenbar nicht nur über Empfehlungen des RKI hinweg, sondern spielte dem Institut auch eigene Wünsche und Vorstellungen zurück. Etwa kurz nach Pandemiebeginn im Frühjahr 2020, bei der Festlegung des Inzidenzwertes von 35 als Schwelle für verschärfte Maßnahmen.
Der Krisenstab des RKI empfand den Wert als wenig zielführend, ergibt sich aus den Protokollen. Es unterstütze den Wert nach außen hin dennoch, wie Richter Neuhäuser feststellte. „Sie haben es eigentlich nicht mitgetragen, es aber so kommuniziert, ist mein Eindruck. Ist das nicht politische Einflussnahme?“, fragt er.
„Wörtlich gesehen, erscheint es wohl so“, sagt Schaade. „Wir waren damals mit dem Wert nicht zufrieden, wir konnten ihn auch faktisch nicht unterfüttern. Es war aber auch nicht unsere Aufgabe, einen derartigen Indikator zu definieren. Die Politik hat das entschieden und aus pragmatischen Gründen haben wir ihn dann mitgetragen. Letztlich ist das eine Managementgröße, sie hätte auch anders ausfallen können. Diese Vorgabe hat unsere Arbeit jedenfalls nicht eingeschränkt.“…
Der Mediziner und der Richter
Immer wieder, so scheint es, prallten in der Vernehmung zwei Welten aufeinander: Einmal jene des Mediziners und Leiters einer Oberen Bundesbehörde, der von Fragen und Zulässigkeit der Fachaufsicht spricht, von offenen Situationen und von Protokollen, die Momentaufnahmen und Diskussionen abbildeten und das teils nur lücken‑, womöglich sogar fehlerhaft. Und dann jene des Richters, der allein daran interessiert ist, ob Krisenmanagement und Gesetzgebung in der Pandemie stets verfassungskonform waren und auf klarer Faktenlage fußten. Die Aussagen des ersten können letzteren nicht überzeugen, dass dies der Fall war.
Das RKI habe es in der für das Verfahren relevanten Frage versäumt, neue Faktenlagen zügig dem BMG zu melden, das BMG wiederum habe Einfluss auf das RKI ausgeübt, schließt die Osnabrücker Kammer.
Daraus könnte folgen, dass ein Paragraf des Infektionsschutzgesetzes in den letzten sieben Wochen des Jahres 2022 verfassungswidrig gewesen und gegen Grundrechte verstoßen haben könnte…«