"Künstliche Intelligenz" löst bekanntlich die Probleme der Welt. Sie erzeugt neue Impfstoffe, stellt den Fahrplan der Deutschen Bahn zuverlässig zusammen und steuert erfolgreich Drohnenkriege. Im Land, das sich wünschen sollte, daß seine Kinder hinreichend lesen und schreiben lernten, wird das Hohelied einer Technologie gesungen, die kaum jemand durchschaut und deren Wirkungen desaströs sein können. Wie bei jeder wissenschaftlichen Entwicklung stehen sich deren positive Einsatzmöglichkeiten und ihr Mißbrauch gegenüber. Entscheidend ist wie stets, wer sie nutzt und zu welchen Zwecken. Das hat viel mit Geld und Macht zu tun. "„KI macht Softwareentwickler 30 bis 50 Prozent produktiver“, so ist am 23.1.24 in der "FAZ" ein Artikel überschrieben. Aus ihm kann man lernen.
Er beschäftigt sich mit den Vorstellungen von Thomas Dohmke, "CEO der weltgrößten Entwicklerplattform Github, die Microsoft für 7,5 Milliarden Dollar gekauft hat". Ihm liegt, was sonst, Deutschland am Herzen, und dessen Wettbewerbsfähigkeit. Der Text wirkt stellenweise wie von einer KI geschrieben, die schon beim PISA-Test durchgefallen ist:
»… Unternehmen in aller Welt versuchen nun, diesen Produktivitätssprung für sich zu nutzen – und macht [sic] die KI auch für Deutschland zu einem Instrument, in der digitalen Welt aufzuholen. „Jede digitale Welle, angefangen vom Internet oder dem Smartphone, ist eine Steilvorlage, um einen Rückstand aufzuholen. Frankreich nutzt die Chance. Der Startup-Campus Station F in Paris ist gigantisch“, lobt Dohmke.
Deutschland leider nicht. „Wir stecken in Deutschland in einer Digitalisierungskrise und sind bei KI auch schon wieder hinten dran. Das gilt für die Anwendung und die Entwicklung eigener KI-Produkte“, hat Dohmke beobachtet. Im Moment sei Deutschland nicht auf dem richtigen Pfad. Andere Länder können mithilfe der Digitalisierung wachsen, aber Deutschland wachse kaum…«
Wohin Deutschland wachsen werde, wenn es nicht schon wieder hinten dran sein will, bleibt so unklar wie die Frage, was Deutschland hier wohl bedeutet nach Ansicht des Microsoft-Managers. Vor allem wird die Krux des kapitalistischen Wirtschaftens deutlich; ein Produktivitätsfortschritt, den alle Länder und Firmen nutzen, macht ihn für die Profitentwicklung zugleich wertlos. Es kommt darauf an, schneller zu sein als Frankreich oder China. Mit Sicherheit wird das der jeweilige Microsoft-Vertreter in diesen Ländern in Bezug auf Deutschland ganz ähnlich verkaufen.
Auch investiert
"Dabei gebe es gute Start-ups in Deutschland. In einige Unternehmen hat Dohmke auch investiert". Allerdings, so beobachtet er, gehen sie in die USA, sobald sie erwachsen geworden sind. Ob wenigstens die "klugen Köpfe", die einer frühen Werbung zufolge die "FAZ" lesen, glauben, er wolle das ändern? Es ist zu befürchten, daß der Unsinn noch weiter verbreitet ist. Am 12.1.24 war auf br.de ganz Ähnliches zu lesen. Unter der Überschrift "GitHub-Chef auf der DLD: Bald programmieren wir alle mit KI" hieß es ganz unbesorgt:
»Flugzeuge, Krankenhäuser, Finanzgeschäfte: die ganze Welt basiert auf Software. Wenn es nach GitHub-Chef Thomas Dohmke geht, werden Computerprogramme in Zukunft zunehmend von KI geschrieben. Dabei laufe Deutschland Gefahr, abgehängt zu werden.«
Wie beim Narrativ der guten "Impfung" wird ein Fortschritt, den man nicht verpassen dürfe, unhinterfragbar gesetzt. Munter werden ausgerechnet die Bereiche genannt, deren Digitalisierung sie zu bevorzugten Angriffszielen für Cyberkriminalität macht, ob aus politischen und wirtschaftlichen Beweggründen. Putzig ist, mit welchen Unsinns-Apps der Bayerische Rundfunk uns das Thema nahebringen will:
»"Also, jedes Mal, wenn ich mit dem Flugzeug fliege, sehe ich hier alle Flugnummern und dann sehe ich immer das Nummernschild, die sogenannte Tail Number des Flugzeugs und dann weiß ich immer, ob ich in dem Jet schon mal drin war oder nicht." Die Smartphone-App, die Thomas Dohmke gerade zeigt, hat er selbst programmiert. Ein Hobby, zu dem er dieser nicht mehr oft kommt – Dohmke lebt in Seattle, ist viel im Silicon Valley, fliegt um die Welt, zum Beispiel nach Singapur und jetzt gerade in München auf der DLD-Konferenz. Morgen geht es dann weiter nach Skandinavien.«
Wir erkennen jedenfalls: Der Mann muß wichtig sein. Auch in diesem Beitrag erfahren wir, daß EntwicklerInnen mit KI gar "im Schnitt 55 Prozent schneller programmieren". Darauf kommt es im Kapitalismus schließlich an. Mit der menschlichen Arbeitskraft soll ein immer größerer Mehrwert erzeugt werden. (Von wegen, moderne Technologie habe Marx den intellektuellen Todesstoß versetzt.)
KI schreibt den Code direkt selbst
Werden die Software-Produkte damit besser, ist das überhaupt das Ziel? Angesichts der Arbeitsweise sind Zweifel angebracht:
»GitHub Copilot ist ein KI-Chatbot, der beim Programmierern beim Coden hilft, eine Art ChatGPT für Programmiersprachen. Wie die automatische Textvervollständigung am Handy schlägt die KI beim Schreiben weitere Textzeilen und Befehle vor – oder schreibt den Code direkt selbst, basierend auf einer Beschreibung in natürlicher Sprache.«
Das ist zweifellos der feuchte Traum eines jeden Kapitalisten: Maschinen arbeiten direkt selbst, ohne daß die Eigner menschliche Arbeitskraft bezahlen müssen. Das mag sogar eine kurze Zeit für einige Unternehmen funktionieren, muß aber aus mindestens zwei Gründen gesellschaftlich scheitern. Einesteils hat noch niemand entdecken können, wie Waren ohne menschliche Arbeit entstehen können, sei sie auch nur vermittelt in Maschinen oder Wissenschaft im Wertschöpfungsprozeß anwesend. Andererseits gilt das hier abgewandelte Bonmot von Henry Ford, "Apps kaufen keine Apps". Waren, die sich nicht auf dem Markt realisieren können, also keine Käufer finden, sind wertlos.
Maschinenstürmerei?
Es soll hier keiner Maschinenstürmerei das Wort geredet werden. Das, was als Künstliche Intelligenz verstanden wird, kann zweifellos sinnvolle Anwendungsbereiche finden. KI wird nicht in die Flasche gezwungen werden können, der sie entkreucht ist. In ihr kulminiert zugleich ein Grundwiderspruch des Kapitalismus:
Schon seit geraumer Zeit ist zu beobachten, daß die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht wie in den Gründerzeiten von tüftelnden, wagemutigen und oft genialen privaten Unternehmern und Erfindern gewonnen werden, sondern der gesellschaftlich organisierten und finanzierten Forschung in Hochschulen entspringen. Sehr deutlich konnte man bei der Entwicklung der Corona-"Impfstoffe" erkennen, wie diese in die private Nutzung übergehen, sobald sie rentabel erscheinen. Nur ein Bruchteil der oftmals hoch subventionierten Forschung wird in Unternehmen erbracht. KI ist nun völlig undenkbar ohne die gesellschaftliche Produktion einer unüberschaubaren Menge von Daten, zu der wir permanent, willentlich und wissend oder nicht, beitragen. Noch gibt es öffentliche Zugänge zu ihrer Auswertung, wobei nur wenige Angebote kostenlos sind. Der Trend zur Privatisierung und trotz zahlreicher Angebote zur Oligopolisierung wird sich aber nicht aufhalten lassen.
Die Intransparenz bei der Arbeitsweise der Algorithmen, ihre Kontrolle, soweit dies bei KI prinzipiell überhaupt möglich ist, durch die Besitzer der Systeme, führt zu weitreichenden Konsequenzen. Wer sich von einem beliebigen Chatbot die Sicherheit von Impfstoffen oder irgend einen geopolitischen Konflikt erklären lassen will, wird sofort bemerken, daß die Wertungen des politischen und wissenschaftlichen Mainstreams wie im wirklichen Leben übermächtig sind. Mehr noch, KI stellt sicher, und zwar ganz und gar intransparent, daß sich die Meinungen der Herrschenden als die allein gültigen verfestigen. Ähnlich wie bei Google oder den "sozialen Medien" fließt Unliebsames gar nicht erst in den Wissensschatz ein.
Doch nicht nur im unmittelbar Politischen wird Erkenntnis zwangsläufig kanalisiert. KI soll nicht nur Programmierer entlasten und ihnen auf eine faszinierende Weise in jeglicher Sprache Code zur Verfügung stelle, mit dem beispielsweise Primzahlen berechnet werden. Sie ist so mächtig, daß auch eine Aufgabe gelingt wie "Stelle mir das Design einer Studie zur Impfstoffentwicklung zusammen". Ein schwerwiegendes Problem dabei ist, daß die Algorithmen nach Verfahren suchen, die als (wirtschaftlich) erfolgreich gelten. Dabei werden sämtliche Fehler der Vergangenheit wie zu kurze Untersuchungszeiten, frühzeitige Entblindungen, Vernachlässigung weiblicher Besonderheiten und des Alters, Ausblendung von absoluter Wirksamkeit zugunsten willkürlich festgelegter relativer Effizienz usw. übernommen und als wissenschaftliche Standards dargestellt.
Nicht zuletzt fördert die Anwendung von KI die Abgewöhnung des Denkens. (Diese zentrale Aufgabe der Gegenwart übernimmt nicht nur sie, tut es aber sehr wirksam.) ProgrammiererInnen, die für Verschlüsselungsaufgaben Primzahlen verwenden, müssen diese nicht mühsam selbst generieren. Sie sollten aber vom Sieb des Eratosthenes, der grundlegenden Technik dafür, gehört haben. Sie sollten wissen, daß eine Division durch Null zu Abstürzen ihres Programms oder, was eher schlimmer ist, zu falschen Ergebnissen führt. Es war schon immer so, daß unvorhergesehene Parameter, gerne in den Untiefen des Codes auftauchend, derartige Probleme hervorriefen. Insbesondere, wenn der Code nicht von einem selbst stammt und er, was inzwischen die Regel ist, nicht oder schlecht dokumentiert ist, tritt dies auf. Vermutlich wird KI, wenn sie das vermeintlich perfekte Programm liefert, auch Randbedingungen abbilden können (was passiert, wenn ein User falsche oder eigentlich unzulässige Eingaben macht?). Voraussetzung ist, man bestellt dies bei ihr. So wie schon heute ausführliche Testumgebungen aus Kostengründen nur noch sehr selten anzutreffen sind, so wird die mit KI verbundene Aufforderung, zu 55 Prozent schneller zu programmieren, zu weiteren verheerenden Fehlern führen.
»Doch Dohmke gibt sich optimistisch, dass es noch nicht zu spät ist. "Wenn wir wirklich wollen, schaffen wir das auch!"«