Unter dem Titel "Übersterblichkeit. Die Toten der Pandemie" versuchen auf sueddeutsche.de am 10.1.24 gleich drei RedakteurInnen, etwas Grusel von den Bildern von Bergamo in die Gegenwart zu retten. Niemand von ihnen nennt sich Relotius. Sie tragen die Namen Hanno Charisius, Soren Miiller-Hansen und Natalie Sablowski.
Dabei verwenden sie nicht die oben gezeigte und eher zu Verharmlosung anstiftende Grafik, sondern zeigen zwei Abbildungen, die gleich viel bedrohlicher wirken, weil sie andere Maßstäbe nutzen:
Es soll die Zahl der jährlichen Toten insgesamt bzw. der "Coronatoten" gezeigt werden. Eine Manipulation liegt schon deshalb vor, weil das zweite Diagramm kumulierte Zahlen zeigt.
"Es wurde überraschend viel gestorben"
Eigentlich, so wird überzeugend erklärt, sei der Anstieg seit der Jahrtausendwende erwartbar bei einer wachsenden Bevölkerung, die immer älter werde. Doch ein Experte weiß:
»Es sei unklar, ob es in Deutschland im Jahr 2020 insgesamt eine Übersterblichkeit gegeben habe, weil zu Jahresbeginn außergewöhnlich wenige Menschen starben, sagt Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. „Seit dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland, also von März bis Dezember 2020, stelle ich eine Übersterblichkeit fest. Auch 2021 und über den gesamten Zeitraum bis jetzt wurde überraschend viel gestorben.“
Doch wie groß die Übersterblichkeit während der Pandemie gewesen ist, darüber herrscht in der Wissenschaft längst keine Einigkeit. Die Zahl der offiziell erfassten Corona-Toten allein gibt darüber keinen Aufschluss, weil unklar ist, wie viele Menschen in den drei Jahren auch ohne Covid-19 verstorben wären.«
Wohl wahr, der letzte Absatz. Auf den ersten wird zurückzukommen sein. Die "Süddeutsche" macht an der Stelle eine Denkpause und zeigt drei große Fotos aus Bad Feilnbach. Dort
»... befinden sich der Gemeindefriedhof und ein „Gedenkwaldgarten“, in dem Verstorbene am Fuße des Wendelsteins beigesetzt werden können, auch wenn sie nicht aus der Gemeinde kommen. Anfang 2020 wurden hier die ersten Gräber angelegt…
Mehr als 1000 Menschen sind hier bereits beigesetzt worden, sagt Axel Lask, der die Anlage pflegt und Begräbnisse vorbereitet.
Es ist kalt, gelegentlich bläst der Wind etwas Nieselregen ins Gesicht.
[Man] stößt häufig auf Sterbedaten aus dem April 2020. Lask bestätigt den Eindruck.
Das kann natürlich Zufall sein. Oder hat es doch etwas damit zu tun, dass Bad Feilnbach zu Beginn der Pandemie einer der Virus-Hotspots in Deutschland war?«
Es folgt eine Grafik zu Toten im Landkreis Rosenheim, zu dem der Ort gehört. Ohne Quellenangabe heißt es: "Im Landkreis Rosenheim starben in der ersten Welle viele Menschen, viele weitere sollten in den kommenden Wellen folgen." Woran starben sie, wie alt waren sie? Im Oktober 2020 hatten sich die Stadt Rosenheim und das zuständige Klinikum gegen die RKI-Zahlen gewehrt (s. hier):
»Im RoMed-Klinikverbund für die Region würden laut Rosenheims städtischen Wirtschaftsdezernenten und Pressesprecher Thomas Bugl rund 40 Intensivbetten für Corona-Patienten vorgehalten. "Wir haben null Patienten auf Intensiv mit Corona, und wir haben null Corona-Patienten an einem Beatmungsgerät", sagte Bugl. Es gebe eine "völlig überdrehte Einschätzung der tatsächlichen Lage durch die Medien."«
Ein Jahr später, die rettende "Impfung" war verfügbar, in der Region aber wenig beliebt, teilte der Landkreis mit (s. hier):
»Acht von zehn Fällen wären durch eine (zeitgemäße) Impfung grundsätzlich vermeidbar gewesen…
Besorgniserregend ist dabei der hohe Anteil vollständig geimpfter Bewohner bei den positiven Fällen und den Hospitalisierten.«
Einen Kommentar zu den "zeitgemäßen Impfungen" verkneife ich mir. Mehr zu merkwürdigen Ereignissen in und um Rosenheim gibt es hier zu lesen.
Die Drei von der "Süddeutschen" wissen:
»Die deutschlandweite Zahl der Sterbefälle nahm erst gegen Ende des ersten Pandemiejahres drastisch zu, als sich die Regierung nicht zu einem weiteren harten Lockdown entschließen konnte.«
Wäre jemals ermittelt worden, wie viele Menschen an Corona und nicht mit gestorben sind, könnte man diese Korrelation, die doch arg nach Kausalität klingt, stehen lassen. Mit der gleichen Berechtigung läßt sich sagen: Der überwiegende Teil der Todesfälle ereignete sich, als sich die Regierung zu einem harten Impfkurs entschlossen hatte.
Dann gibt es doch eine Grafik, die eine Annäherung an die Wahrheit beinhaltet:
Beim besten Willen ist da für das "Pandemiejahr" 2020 wenig Besorgnis Erregendes zu entdecken. Ob der weitaus höchste Peak bei der Sterblichkeit im Winter 2022/23 mit der Boosterkampagne zu erklären ist, mit nachholenden Todesfällen wegen unterlassener Vorsorgeuntersuchungen oder mit ganz anderen Gründen, interessiert bei der SZ nicht. Abgesehen davon: Mit den Zahlen, die das Statistische Bundesamt am 9.1.24 veröffentlichte und die an dieser Stelle als Beleg angeführt werden, hat die Darstellung nur am Rande zu tun. Das Amt teilt vorsorglich mit: "Die Daten wurden nicht plausibilisiert und es wurde keine Vollständigkeitskontrolle durchgeführt."
Bilder lügen mehr als tausend Worte
Gemäß dieser goldenen Regel zeigt das Blatt dieses Diagramm:
Im Text erklärt der erwähnte Statistiker, daß es hier um Unfug geht:
»Doch die Methode hat offensichtliche Nachteile, sie ergibt für so gut wie jedes Jahr eine Übersterblichkeit.
Denn seit etwa 2010 steigt die Zahl der jährlichen Todesfälle mit zunehmender Geschwindigkeit. Die berechneten Werte des Statistischen Bundesamts folgen diesem Trend zwar, aber mit Verzögerung. Die erwartete Sterblichkeit, so Schöley, werde auf einer „rollenden Basis“ berechnet – jedes Jahr wird ein Jahr weiter gegangen. Für das Jahr 2024 würde sich die so berechnete Sterblichkeitserwartung demnach an der Pandemie orientieren. „Unsere Erwartung von einer normalen Sterblichkeit ist damit nicht gegeben“, sagt Schöley.«
"Kollateralschäden"
Immerhin erfahren wir:
»So wie Axel Lask nicht weiß, woran jemand gestorben ist, der im Gedenkgarten von Bad Feilnbach seine letzte Ruhestätte fand, so lässt auch die Übersterblichkeitszahl allein keine Rückschlüsse auf die Todesursache zu. „Tote durch andere Infektionskrankheiten, Unfälle, Todesfälle aufgrund überlasteter Kliniken und ambulanter Gesundheitseinrichtungen, unterlassener Vorsorgeuntersuchungen oder verschobener Operationen oder anderer Behandlungen fließen in diese Zahl ebenfalls ein als Kollateralschäden der Pandemie selbst sowie der Schutzmaßnahmen“, sagt die Epidemiologin Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. „Das alles lässt sich nur differenzieren, wenn man die genauen Todesursachen untersucht.“«
Dummerweise hat sich um diese Uralt-Forderung der Corona-Kritik niemand geschert, schon gar nicht Melanie Brinkmann, die ebenfalls an Langes Institut arbeitet und eine der Frontfrauen von #NoCovid und Panikmache war. Doch, eine Studie gab es, die Frau Lange sogar erwähnt. Sie stammt aus dem August 2023 und wurde vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden durchgeführt. Daß sie von der Politik nicht zur Kenntnis genommen wurde, mag an ihren Ergebnissen liegen. Zu lesen ist dort, hier in der Übersetzung aus dem Englischen und ohne Fußnoten:
»Wir fanden heraus, dass die Übersterblichkeit in den deutschen Hotspots des Jahres 2020 im Dezember besonders hoch war und eng mit dem Alter und COVID-19 zusammenhing. Wir stellten jedoch auch fest, dass in den am stärksten betroffenen Gebieten eine erhöhte Sterblichkeit durch psychische/nervöse und kardiovaskuläre Erkrankungen auftrat, was auf ein erhöhtes Maß an psychosozialem Stress durch die Ausbreitung der Pandemie und/oder die Umsetzung politischer Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung hindeutet. Unsere Ergebnisse zeigen daher, dass politische Maßnahmen sorgfältig daraufhin geprüft werden müssen, ob der Nutzen die potenziellen Risiken überwiegt, und zwar unter Berücksichtigung der unterschiedlichen demografischen und sozioökonomischen Bedingungen in den einzelnen Regionen. Um dies rechtzeitig zu tun, ist es jedoch unerlässlich, die Erhebung detaillierter Sterblichkeitsdaten zu beschleunigen, damit nationale und lokale politische Entscheidungsträger im Falle aufkommender Epidemien oder Krisen früher mit relevanten Informationen versorgt werden können…«
Der Zweite Weltkrieg und sein Einfluss auf die Übersterblichkeit
Wer bis hier durchgehalten hat, erfährt Selbstverständliches, aber von der Politik und den Medien meist Ausgeblendetes:
»Wie massiv das Alter die erwarteten Sterbezahlen beeinflusst, haben die Statistiker Göran Kauermann und Giacomo De Nicola von der Ludwig-Maximilians-Universität München berechnet...
De Nicola deutet auf einen Bildschirm an der Wand. Er zeigt die deutsche Bevölkerungspyramide, die gar nicht wie eine Pyramide aussieht. Er fährt mit dem Finger die Beule nach, die sich deutlich in den hohen Altersgruppen abzeichnet. Die Form der deutschen Altersstruktur wird daher gerne mit einer Urne verglichen. Genau genommen hat die Urne aber einen deutlichen Fertigungsfehler, der Zweite Weltkrieg zeichnet sich ab – genau in den Altersgruppen, in denen die Sterbewahrscheinlichkeit auch unabhängig von Corona rapide steigt...
Als die Pandemie in Deutschland besonders stark wütete, im Jahr 2021, waren viele dieser Menschen bereits über 80 Jahre alt. Die Bevölkerung altert nicht nur insgesamt, sondern auch ungleichmäßig.
„Ab 80 geht die Sterbewahrscheinlichkeit einfach deutlich hoch. Die erhöhte Sterblichkeit, die wir in der Pandemie gesehen haben, ist zum Teil auch erklärbar durch eine alternde Bevölkerung“, sagt Kauermannn.«
Wird dies berücksichtigt, stellt man fest: "Für 2020 ergibt die Methode keine Übersterblichkeit, für zwei folgenden Pandemiejahre [sic] nur leicht erhöhte Werte." Richtig überzeugend klingt der Einwand des Statistikers des Vertrauens der SZ nicht. Schöley wird so zitiert:
»Die Argumente seien zwar alle korrekt, die Bevölkerungsstruktur müsse bei der Berechnung berücksichtigt werden. Es fehle aber ein entscheidender zweiter Einflussfaktor: „Ich denke, sie unterschätzen drastisch, wie schnell sich das Sterberisiko in einer Bevölkerung verändert.“«
Die heilige Kuh
Das Team der Zeitung meint, ganz neutral vier Methoden mit vier unterschiedlichen Ergebnissen vorgestellt zu haben. Unerbittlich bleibt es beim Thema "Impfungen" und startet mit der bekannten faustdicken Lüge über die Jahre 2021 und 2023:
»Zwar wurden in diesen Jahren bereits die meisten Menschen ein- oder sogar mehrfach gegen das Coronavirus geimpft, allerdings erreichten auch die Infektionszahlen Rekordwerte. Wer in diesen Monaten an dem Virus starb, war in der Regel nicht geimpft...
Schätzungen zur Übersterblichkeit werden von Interessengruppen instrumentalisiert. Im vergangenen Sommer wurde beispielsweise über eine Studie des Oldenburger Mathematikers Matthias Reitzner gemeinsam mit dem Psychologen Christof Kuhbandner von der Universität Regensburg diskutiert, die ebenfalls eine Übersterblichkeit in den Jahren 2021 und 2022 erkannte. Doch die nach Altersgruppen aufgeteilte Datenanalyse der beiden Forscher deute nach ihrer Auffassung auf eine Korrelation mit dem Start der Impfungen hin.
Eine solche Zuordnung hält die Epidemiologin Berit Lange hingegen nicht für sinnvoll, „es gibt ja viele besser geeignete auf individuellen Daten und längerfristigen Untersuchungen beruhenden Vergleichsstudien, die zeigen, dass Geimpfte im Vergleich zu Ungeimpften ein geringeres Sterberisiko hatten“. Man dürfe nicht vergessen, dass sich im zweiten und dritten Pandemiejahr mehr verändert habe als der Beginn der Impfungen: Schutzmaßnahmen wurden zurückgenommen, neue, infektiösere Virusvarianten tauchten auf, das Kontaktverhalten normalisierte sich – und all dies regional sehr unterschiedlich...«
Auch hier verzichten die AutorInnen auf Belege. Der feste Glaube muß reichen.
Kronzeugin Berit Lange verbreitete im Juni 2020 Auffassungen zu Demonstrationen, die bereits damals widerlegt waren. Demonstrationen seien zwar wichtig »für eine funktionierende Demokratie« ,aber:
»Doch ist klar: Je weniger Menschen auf so einer Veranstaltung immun gegen das Virus sind, je weniger Abstand sie zueinander halten und je stärker das Virus in der Region kursiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass es bei solchen Veranstaltungen zu Übertragungen des Virus kommt...
Es existieren wahrscheinlich keine Teilnehmerlisten. Und wenn sich Infektionsketten nicht mehr nachverfolgen lassen, wird es problematisch. Im Falle eines Ausbruchs können Personen nicht darüber informieren werden, dass jemand in ihrer Nähe infiziert war.«
Im Dezember 2021 stimmte sie in den Panikchor von Brinkmann et el. ein. Ein "Anboostern" gegen Omikron werde nicht reichen, auch für "Ungeimpfte" seien Kontaktbeschränkungen erforderlich:
Und noch im Mai 2022 hieß es von ihr: "Epidemiologin zu Corona-Lage im Herbst: 'Man muss sich hüten'".
Danke, lieber Artur, einfach nur Tausenddank!
Warum wird diese Nachfolgeseite nicht auf Corodok verlinkt/publik gemacht?
Oder soll das hier nur für Eingeweihte sein?
@Fragen…: Die Seite soll der Verständigung von Linken dienen. Das Publikum von corodok ist ein anderes.