Aus dem September 2020:
Natürlich darf man dem "Spiegel" nicht alles glauben. Selbstredend verfolgt er eine Agenda, wenn er über die "Anti-Corona-Demos" schreibt. Spaltungsversuche haben schon immer zu den Maßnahmen gehört, unbequeme politische Bewegungen klein zu halten.
Und doch lassen sich die Fakten nicht wegdiskutieren, die in einem Video von spiegel.tv angeführt werden. Da gibt es den Antisemiten Nikolai Nerling, wie er am 29.8. auf der Hauptbühne der Querdenker herzlich willkommen geheißen wird. Dort befindet sich auch Matthäus Westfal ("Aktivist Mann"), dessen begeistertes Video vom "Reichstagstreppensturm" ("Das ist der Wahnsinn") bekannt wurde.
Es bleibt beides richtig: Die große Masse der Demonstrierenden hat mit Nazis und Reichsbürgern nichts am Hut. Mancher Veranstalter pflegt hingegen einen recht engen Umgang mit ihnen.
(Siehe dazu "Ich kenne keine Parteien, ich kenne nur noch Deutsche" sagt nicht Ballweg, Ballwegs Distanzierung vom "lieben Nikolai Nerling", Ballweg outet sich).
Zwei Argumente sind in diesem Zusammenhang zu hören: Bei uns muß jeder mitlaufen dürfen für die gute Sache, selbst Mörder und Pädophile. Tatsächlich stehen selbst verurteilten Gewalttätern die demokratischen Grundrechte zu. Niemand hat sie danach zu befragen oder sie deshalb auszugrenzen. Doch wie steht es mit Menschen, die bereit sind und das bekennen, mörderisch und Kinder quälend fortzufahren? Der zweite Fall spielt keine Rolle auf der Demo, auf ein Kinderfest würde man sie dennoch nicht einladen.
Erstere gab es in Berlin in nicht ganz zu vernachlässigender Zahl. Die Höckes und Nerlings reden nicht nur, sie vertreten nicht nur eine Meinung. Sie sind Stichwortgeber für rassistische und antisemitische Gewalttaten und bieten den Tätern ein propagandistisches Umfeld.
Das zweite Argument lautet: Ich sehe die braunen Gestalten auch nicht gerne, aber soll ich sie etwa wegprügeln? Da muß sich jeder und jede selbst entscheiden, wie er mit Nazis umgehen will, nicht nur auf einer Demo. Sagt man der Kollegin seine Meinung, die gegen "die kriminellen Ausländer" hetzt, oder behält man sie für sich? Läßt man den Mob, der Flüchtlingsheime belagert und wo er kann anzündet, gewähren oder stellt man sich ihm in den Weg? Beim Nachbarn, der sich für den Kinderporno-Ring engagiert, dürfte die Antwort leichter zu geben sein.
Die Lösung kann nun nicht sein, den berechtigten Protest gegen die Regierungs-Maßnahmen einzustellen, weil sich Nazis ähnlich äußern. Wer sich aufmacht, der Regierung nicht bedingungslos zu folgen, sollte aber auch Wege finden, Demo-Veranstaltern mitzuteilen, was mit Einem geht und was nicht. Man kann nicht glaubwürdig widerständig sein und dann Parolen folgen, die nicht die eigenen sind.
Erstveröffentlichung corodok.de, 13.9.20