Erste Reaktionen auf den Versuch mit diesem Blog weisen auf die genannten Fragen hin. Niemand sollte hier endgültige Antworten erwarten. Vielmehr soll es um ein Angebot gehen, diese Fragen unter Menschen zu diskutieren, die Begriffe wie links, antikapitalistisch oder sozialistisch nicht dem Zeitgeist opfern wollen.
Der Hintergrund ist eine nachvollziehbare Verunsicherung angesichts des Verhaltens der meisten sich links verstehenden Organisationen vor allem zu den Themen Corona, Ukrainekrieg und Nahostkonflikt. Öffentliches Schweigen oder faktisches Überlaufen auf die Seite der Herrschenden schufen rechten Demagogen die Möglichkeit, sich als Systemopposition darzustellen. Das Einfordern zu Bekenntnissen, oftmals im Chor mit dem "Mainstream", anstelle von Analysen führt vielfach zu dem Reflex, mit derartigen Oktrois gleich das mitunter berechtigte Anliegen zu verwerfen.
Beispiele dafür sind der Umgang mit dem Thema "Klimawandel", der kaum noch mit Umweltpolitik assoziiert wird, sondern mit Kosten und Ideologie, das "Gendern", das spätestens mit der Übernahme durch Politik und Medien seines aufklärerischen Inhalts beraubt wurde, die Beliebigkeit, jegliche unliebsame Meinungsäußerung als antisemitisch, rechtsradikal und antidemokratisch zu denunzieren, wodurch realer Antisemitismus und faschistische Organisationen verharmlost wurden.
Es sollte hier kein Übergewicht entstehen, aber am Beispiel der Coronapolitik soll aufgezeichnet werden, welche Mechanismen wirksam waren, um für aktuelle und zukünftige Auseinandersetzungen besser gerüstet zu sein. Aus welchen Beweggründen auch immer hat sich bei diesem Thema die organisierte Linke vollständig der Lesart der Regierenden angeschlossen. Selbst wenn man den anfänglichen Fragen (Warum wird bei einem lebensgefährlichen Virus das öffentliche Leben stillgelegt, während sich die Menschen in der Produktion ihm aussetzen müssen?) im Frühjahr 2020 eine gewisse Berechtigung zubilligen mag, so stellt die bedingungslose Unterordnung unter die demokratiefeindlichen Maßnahmen, ja ihre lautstarke Propagierung bis heute, eine politische Zäsur dar, die mit der Burgfriedenpolitik der Sozialdemokratie Anfang des letzten Jahrhunderts vergleichbar ist.
Die Wahrnehmung der Proteste, die durchaus auch esoterische und befremdliche Züge trugeb, einer zu Beginn überwiegend kleinbürgerlichen Klientel – sie war de facto anders als Großunternehmen und deren mit Kurzarbeitergeld pazifizierte Beschäftigte die soziale Verliererin der Lockdowns – führte nicht etwa zu den Lehren des Umgangs mit den Gelbwesten in Frankreich, sondern zum Zerrbild der individualistischen und unsolidarischen und damit mindestens "rechtsoffenen" Kräfte.
Damit erzeugte die Linke ein politisches Vakuum in der Protestbewegung, das von Beginn an von Rechten genutzt wurde. Die wenigen Linken, die in der Bewegung unterwegs waren, wurden nicht nur im Stich gelassen in ihren Bemühungen, den Rechten etwas entgegenzusetzen, sondern stigmatisiert und verleumdet.
Nun ist der desolate Zustand der Linken nicht auf einen "Sündenfall" zurückzuführen. Es gab vorausgehende Entwicklungen, die eine Abkehr von sozialen Bewegungen und einen Verzicht auf Klassenpolitik begünstigten. Allerdings haben drei Jahre überwiegend mitgetragene Vereinzelung einen erheblichen Anteil daran. Natürlich wirkte die pervese "soziale Distanzierung" und die Ausgrenzung auch auf die Protestszene. Verbissenheit und Enttäuschungen über die Linke, die ihr als Gegner entgegentrat, führten zu einer zunehmenden Distanzierung von "links" und einer Akzeptanz von Angeboten von Rechten, die auf ihrer Seite zu stehen schienen.
Wenn schon Linke verunsichert sind bei den Fragen, was Solidarität bedeutet oder was Internationalismus heute sein kann, ob Frieden noch ein anzustrebendes Ziel ist und Imperialismus nicht mehr existiert, ist diese Entwicklung so wenig erstaunlich, wie sie gefährlich ist.
Es ist also hohe Zeit zur Rückbesinnung auf die Grundlagen linker Politik. Das kann kein nostalgisches Zurück zu den 80-er Jahren sein, in denen die Welt noch übersichtlicher erschien. Es bedeutet, wieder und weiter zu fragen, wie ein Leben gestaltet werden kann, das von Solidarität und Freiheit bestimmt ist und nicht von Profit und Ausgrenzung. Das umfaßt die genauere Untersuchung von "oben" und "unten" anstelle des nationalistischen "wir" und die "anderen".
Wie schwer das in die Praxis umzusetzen ist, zeigt die Frage "Mit wem kann man noch demonstrieren?". Machen wir uns mit der islamistischen Hamas gemein, wenn wir für Frieden im Nahen Osten demonstrieren? Rechtfertigen wir den Überfall auf die Ukraine, wenn wir gegen Waffenlieferungen auf die Straße gehen? Können wir auf die Demo "Wir haben Agrarindustrie satt!" gehen, die vernünftige Forderungen aufstellt, aber von den Hetzern von campact und der taz unterstützt wird?
Wie gesagt: Hier gibt es nicht die Antworten, sondern das Angebot zur Diskussion.
Es will mir fast wie ein aufgegangener Plan erscheinen (ich muss mich immer wieder gegen dieses verschwörungstheoretische Denkmuster imprägnieren, doch die Realität macht mich zunehmend durchlässiger dafür – ein anwachsendes Dilemma):
In der sich selbst gern als "Widerstand" bezeichnenden "Bewegung" gegen die Corona-Maßnahmen ist mir immer wieder gesagt worden, dass doch "links" und "rechts" sinnlose Kategorien geworden seien, weil die sich völlig verkehrt hätten, und dass man nun als "Menschheitsfamilie zusammenstehen" müsse über alle politischen Einstellungen hinweg.
Diese Nivellierung ist aber keine bzw. eine zugunsten der rechten Ideologiebestandteile, die immer stärker wurden (und bis heute werden).
Denn Linkssein wurde und wird pervertiert: Die Begriffe "Solidarität" und "Gerechtigkeit", aber auch der emanzipatorisch-aufklärerische Kernbestand des (letztlich humanistischen) Konzepts "Wissenschaft" z.B. wurden seit 2020 mit bis dato wohl noch nicht dagewesener Wucht in ihr Gegenteil verkehrt – auch und gerade von sich selbst so deklarierenden Linken (ganz zu schweigen von Kapitalismuskritik und Klassenbewusstsein – die wurden schon vorher von den meisten stillschweigend beerdigt).
Und Rechtssein – Führerprinzip ("Experten"), ideologische Gleichschaltung, Verklärung der Gesundheit des Volkskörpers (u.a. Chauvinismen) etc. – wird im Gegenzug zum neuen hippen Standard derer, die sich für die "Guten" halten (und damit übrigens de facto für die, die besser sind als alle andern). Auch hier also eine komplette Pervertierung.
Gewinner dieser Pervertierung der politischen Kategorien "links" und "rechts" ist wie gesagt ausschließlich die Rechte.
Denn die etablierte Linke hat sich aufgegeben und der Rechten angeglichen, während letztere ihre Ideologeme unter Etiketten bewahren kann, die einst "linke" Inhalte beschrieben (gerecht, sozial, aufklärerisch-emanzipatorisch, kritisch, progressiv, auf der Seite der Schwachen stehend u.s.w.).
Meine Entgegnung auf die Aufforderungen, das mit dem "links" und "rechts" doch bleiben zu lassen und mich stattdessen zur "Menscheitsfamilie" zu bekennen (auch so eine Bekenntnispflicht …) und mit ALLEN maßnahmenkritischen Menschen zusammenzustehen, lautet stets:
>> Die Kategorien "links" und "rechts" sind in einem langen blutigen Prozess der Menschheitsgeschichte entstanden und haben nichts von ihrer Wirklichkeitserfassungsschärfe eingebüßt. Ich lasse sie mir nicht nehmen – schon gar nicht wegen ihrer Pervertierung durch ehemals Linke, die zu dumm sind zu begreifen, was die Rechten mit ihnen machen. <<
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Kleine Anekdote:
Kürzlich hatte ich es mit "Linken" zu tun, die sich ernsthaft daran stören, dass Adorno/Horkheimer trotz allen Kokettierens mit dem Sozialismus oder gar Kommunismus bürgerliche Professores waren, die sich bereitwillig von Großkapitalisten finanzieren und von US-amerikanischen Geheimdiensten in Dienst nehmen ließen.
– Ich frage mich, auf welcher Naivitätsbasis solche Kränkungen eigentlich zustande kommen können.
(Im weiteren Verlauf der Diskussion – und der Naivitätsbasis entsprechend – wurden dann auf Seiten dieser "Linken" totalitäre Gelüste laut, die mich zwar nicht überraschten, aber zutiefst erschreckten. Denn da war strukturell kein Unterschied zu den "Wir impfen euch alle"-AnhängerInnen.
Auch darüber wäre m.E. weiter nachzudenken.)
Ich denke, dass man es sehr gut am Werdegang der Partei "Die Linke" erkennen kann; ursprünglich hauptsächlich von Lafontaine initiiert als bewusste politische Gegenbewegung zum neoliberal-marktradikalen Mainstream und dem sprichwörtlichen Verrat Schröders auch ihm gegenüber. Rücktritt als Finanzminister 1999; nach wochenlangen Kampagnen gegen Lafontaine.
Die politisch Rechte ist perfekt darin, den Kern ihr gefährlich werden könnender Bewegungen durch diverse Techniken (und leider auch aufgrund der Blödheit vieler "Linker") auszusaugen, zu neutralisieren und durch ein künstliches Surrogat zu ersetzen, welches ihr nicht nur nicht gefährlich ist, sondern auf vielfältigste Weise nützt.
Das ganze Gedöns um Identität, Gender, Klima und vor allem "Solidarität" im Sinne autoritärer und menschenfeindlicher Seuchenschutzpolitik, mit dem man diesen Zombie inzwischen verfüllt hat, hat die linken Kernfragen vollständig verdrängt und beseitigt. Die sich als Drückerkolonne bzw. Sturmabteilung der Pharmafia gerierende, solid-arische "Antifa" ist hierfür nur eine der aburdesten Ausprägungen dessen, was heute noch als "links" gilt.
Übrig blieb eine Pseudo-Linke, die zwar immer noch reflexartig gegen Symptome wie die AfD schreit, aber nicht verstehen will, dass das Aufgehen dieser Saat vor allem ihrem eigenen epochalen Versagen zu verdanken ist. Die (gezielt geförderte) Verunsicherung von Menschen, welchem Geschlecht sie angehören, folgt dem gleichen Schema, wie Menschen zu verunsichern, welcher politischen Richtung sie sich zugehörig fühlen. Es dient der völligen Zersetzung des Klassenbewusstseins.
Ich bin überglücklich, dass AA sich zu diesem blog entschlossen hat! Und hoffe, dass viele der klugen KommentatorInnen von corodok wieder dabei sind!
einfacher gesagt: fast die gesamte BRD-Linke is politisch-inhaltlich bankrott..,Totalversagen.inder systemkrise , Komplettausfall ..die genossen sind bei wichtigen Themen der Propaganda der Konzerne auf den leim gegangen..haben sich in die Irre führen lassen.
Als seit Jahrzehnten politisch aktiver Antifaschist und Marxist war ich auch schwer enttäuscht von meinen linken Freundinnen und Freunden. Viele Kontakte brachen ab.
Ich kenne noch die ML-Gruppen an meiner Uni in Berlin und deren Auseinandersetzungen, war auch Mitglied im Delegiertenrat der Grün-Alternativen Liste in Berlin, war auf etlichen Demos gegen den Bau von Atomkraftwerken, gegen die Hochrüstung, gegen die Räumung besetzter Häuser in Berlin.
Schon damals zeigte sich die große Schwäche der meisten Linken: sie haben nicht gelernt, kritisch zu denken, sondern meinen, das Richtige zu denken. Doch bevor ich mich für oder gegen etwas einsetze, muss ich erst einmal prüfen, wofür oder wogegen ich mich da einsetzen will. Am Anfang meines Handelns muss immer erst eine kritische Analyse der Realität, bzw. der durch die Medien vermittelten Realität, stehen.
Anfang 2020 hat die Linke wie ein Pawlowscher Hund reagiert auf die Reizwörter: "Wir müssen die vulnerablen Gruppen schützen!" – "Wir müssen solidarisch sein!", statt zu ermitteln: wer sagt das? Welche Interessen stehen dahinter? Wie gefährlich ist die Erkrankung tatsächlich? Wie entwickelt sich das Sterbegeschehen, wirklich immer nur exponentiell?
Die Linke hat sich vor den Karren der Pharmakonzerne und des autoritären Staates spannen lassen. Sie hat sich zu deren Handlangern machen lassen. Und hat es jetzt noch immer nicht kapiert.