Alles Nazis, oder was?

Peter Laudenbach ist Theaterwissenschaftler, der für so ziem­lich jedes Medium von "taz", "tip" und "Tagesspiegel" bis zur "Zeit" und der "Süddeutschen Zeitung" schreibt. Ausgerechnet das letzt­ge­nann­te Blatt, das fast jede Grundrechtseinschränkung der letz­ten Jahre ver­ständ­lich fand (Heribert Prantls mit­un­ter mah­nend hoch­ge­zo­ge­ne Augenbrauen konn­ten Ratgebern wie denen eines Psychologen – "Mit die­sen Argumenten über­zeu­gen Sie Impfskeptiker" – wenig ent­ge­gen­set­zen), erwählt der Autor für einen Artikel unter der Überschrift "Achtung, lin­ker Faschismus" am 15.9.24.

Selbstredend geht es ihm nicht um die media­le Ausgrenzung in der Coronazeit, die von der orga­ni­sier­ten Linken mit­ge­tra­gen wur­den. Mit dem inzwi­schen belie­big ver­wen­de­ten Begriff belegt er, der Staatsdoktrin fol­gend, Proteste gegen die israe­li­sche Politik in Palästina und deren Unterstützung durch die Bundesregierung.

Dafür bemüht er, inve­sti­ga­tiv wie in den gro­ßen Medien üblich, einen Polizeibericht:

»Am ver­gan­ge­nen Donnerstag attackier­te eine Gruppe soge­nann­ter Aktivisten laut­stark den Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU). Chialo woll­te eine freund­li­che Festrede zur Wiedereröffnung einer sozi­al­kri­ti­schen Kultur- und Forschungseinrichtung hal­ten, dem „Zentrum für Kunst und Urbanistik“ im nicht sehr hip­pen Stadtteil Moabit. Laut Polizeibericht bedräng­ten ihn dabei etwa 40 Demonstranten, aus der Gruppe her­aus wur­de Pyrotechnik gezün­det…«

Der Artikel steht in der Rubrik "Debatte", wird also einen Kommentar dar­stel­len. In eine unab­hän­gi­ge Berichterstattung wür­de das Framing "laut­star­ker soge­nann­ter Aktivisten" ver­sus Senator mit "freund­li­cher Festrede" kaum passen.

»Zu den Pöbeleien, die er sich davor anhö­ren durf­te, zähl­te neben „Shame on you“-Sprechchören laut Presseberichten auch die bizar­re Beleidigung, er sei „Rassist“. Chialo ist Afrodeutscher, was Rassismus bedeu­tet, wird er in sei­nem Leben oft genug erlebt haben.«

Der Aufruf, sich zu schä­men, ist eine Pöbelei und bizarr ist es, einem Schwarzen Rassismus vor­zu­wer­fen. Schon das zeigt die ver­eng­te Gedankenwelt Laudenbachs, in der Platz für schwarz und weiß ist, Grautöne aber nicht vor­kom­men. Ihm scheint unvor­stell­bar, daß es unter Verfolgten und Unterdrückten Menschen gibt, die ver­fol­gen und unter­drücken. Danach kön­nen Schwule kei­ne Schwulenfeinde sei, der schwar­ze US-Verteidigungsminister Colin Powell kein Lügner und Kriegsverbrecher und vor allem ein jüdi­scher Staat kei­ne Menschenrechtsverletzungen begehen.

Die da Zweifel haben mögen, "hal­ten sich ver­mut­lich irgend­wie für Linke, was immer das in ihrem beto­nier­ten Weltbild bedeu­ten mag". Die näm­lich gehen gegen alle vor, "die es wagen, sich nicht der anti­is­rae­li­schen Ideologie der selbst ernann­ten Freunde Palästinas zu unter­wer­fen". Womit der Autor en pas­sant die UNO-Generalversammlung und ihre Gerichte in Netanjahus "Achse des Bösen" ver­weist und ein­mal mehr zeigt, daß allein der deut­sche sich zum Antifaschisten erklä­ren­de Mainstream die Deutungshoheit für sich beansprucht:

»Auslöser des Übergriffs war offen­bar, dass die Kulturverwaltung die eigent­lich bis 2025 zuge­sag­te öffent­li­che Finanzierung des Kulturzentrums Oyoun im Berliner Stadtteil Neukölln Ende ver­gan­ge­nen Jahres recht abrupt been­det hat. Seitdem ist Chialo so etwas wie das Lieblingsfeindbild der Berliner Palästina-Aktivisten. Der Grund für die Entscheidung des Senators war unter ande­rem, dass das Kulturzentrum sei­ne Räume BDS-nahen Akteuren zur Verfügung stellt.«

Daß BDS, die Kampagne für einen Boykott israe­li­scher Produkte, die aus den besetz­ten Gebieten stam­men, böse ist, hat­te schließ­lich der Bundestag, bekannt­lich der Hort des Antifaschismus, fest­ge­stellt. In jenem Kulturzentrum fand im letz­ten November "eine Veranstaltung der BDS-nahen 'Jüdischen Stimme für gerech­ten Frieden in Nahost' statt." Nicht für eine Sekunde kommt ihm der Gedanke, daß eine jüdi­sche Organisation (jue​di​sche​-stim​me​.de) mög­li­cher­wei­se eine gewis­se Legitimation für eine Stellungnahme haben könnte.

»Die isra­el­kri­ti­sche Kleingruppe zählt zu den Organisatoren des im Mai nach weni­gen Stunden von der Polizei been­de­ten Berliner „Palästina Kongresses“, bei dem auch Aktivisten aus dem Umfeld der Hamas spre­chen soll­ten. Das macht das Misstrauen des Senators nach­voll­zieh­bar. Spätestens seit die­ser Veranstaltung im November steht das Kulturzentrum nicht nur aus Sicht der Kulturverwaltung unter Antisemitismusverdacht.«

Damals hat­te ein Großaufgebot der Polizei die Veranstaltung gewalt­sam been­det; meh­re­re Einreiseverbote, u.a. gegen den ehe­ma­li­gen grie­chi­schen Finanzminister Varoufakis wur­den ver­hängt (zdf​.de).

Der Senator hat­te nicht nur die Finanzierung des Kulturzentrums ein­ge­stellt und "den Mietvertrag für die Räumlichkeiten zum Jahresende" kün­di­gen las­sen, son­dern ist mit sei­nen Zensurmaßnahmen weit dar­über hin­aus gegan­gen. Laudenbach umschreibt das vor­nehm so:

»Chialos Entscheidung mag wie sei­ne in der ersten Fassung juri­stisch nicht halt­ba­re „Antisemitismusklausel“ für öffent­lich geför­der­te Kultureinrichtungen poli­tisch rüde sein.«

Er geht nicht wei­ter dar­auf ein, daß – wie einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (!) zu ent­neh­men ist – "Tausende Künstlerinnen und Künstler in einem offe­nen Brief pro­te­stiert [hat­ten], Kulturschaffende war­fen ihm 'Gesinnungsschnüffelei' und 'Bekenntniszwang' vor." Lauter Linke mit "beto­nier­tem Weltbild"?

»Im Berliner Subventionsparadies bestehen offen­bar selbst die Staatsfeinde auf eine öffent­li­che Alimentierung ihrer Aktivitäten – Weltrevolution als Subventionstheater, Antiimperialismus mit Projektanträgen, radi­ka­le Posen auf Spesenabrechnung. Wo sind sie geblie­ben, die auf­rech­ten Anarchisten, die auf eige­nes Risiko das System stür­zen wollen?

Die Empörung über das Ausbleiben Steuergeld-finan­zier­ter Planstellen für den anti­im­pe­ria­li­sti­schen Kampf zeig­te sich bei der Demo in Form eines Plakats mit der Parole „Zensurhauptstadt“. Damit ist ver­mut­lich nicht Teheran gemeint, die Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, die den Terror der Hamas finan­ziert, son­dern das noto­risch libe­ra­le und für Spinner aller Art sperr­an­gel­weit offe­ne Berlin…«

In die Gefahr, nicht mehr "öffent­lich ali­men­tiert" zu wer­den, wird Laudenbach kaum gera­ten. Nur ein klit­ze­klei­ner Ausschnitt aus der Wirklichkeit des "noto­risch libe­ra­len" Berlin:

Der Autor setzt fort, was in der "Süddeutschen Zeitung" etwa so zele­briert wurde:

sued​deut​sche​.de (13.12.21)

Zu lesen war dort:

»Der Terrorismusexperte Peter Neumann schloss auch ter­ro­ri­sti­sche Gefahren aus­ge­hend von die­sen Protesten nicht aus. "Was wir ver­ein­zelt bereits gese­hen haben, sind kom­ple­xe­re Anschläge auf das RKI zum Beispiel oder auf Kliniken und auf Impfstellen." Deshalb kön­ne er sich vor­stel­len, "dass wir in eini­gen Monaten tat­säch­lich mög­li­cher­wei­se von einer ter­ro­ri­sti­schen Kampagne spre­chen müs­sen", sag­te Neumann…«

Oder:

sued​deut​sche​.de (11.11.22)

In die­sem Beitrag ging es nicht dar­um, wie klug die Parole "From the river to the sea, Palestine will be free" oder die "laut Presseberichten" Titulierung Chialos als Rassist ist. Das Thema war auch nicht, ob der Vorwurf des Völkermords durch Israel, der immer­hin vor inter­na­tio­na­len Gerichtshöfen ver­han­delt wird, berech­tigt ist, und eben­so wenig, daß es unter den Protestierenden auch Menschen mit anti­se­mi­ti­schen Auffassungen gibt. Vielmehr soll­te das selbst­herr­li­che Agieren eines Kulturfunktionärs im völ­li­gen Gleichklang mit amt­li­chen Positionen dar­ge­stellt wer­den, das wie bei den Themen der Proteste gegen Coronamaßnahmen und Aufrüstung der Ukraine all­zu oft in Hetze ausartet.

5 Antworten auf „Alles Nazis, oder was?“

  1. "Nazis" geht immer! Ich lese "Gegen" und "seit … wird", sowie "Maßnahmen"
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/grenzkontrollen-auch-an-den-grenzen-zu-belgien-und-den-niederlanden-eingefuehrt-a-42742948–603f-484c-acfe-3b0680ae1c93
    und gera­te ins Gruseln, obwohl es sich erst­mal nur um Propaganda handelt.
    Die mal eben schnell mit BMW aus Brüssel kom­men­de Lobbyistin wird sich womög­lich ein Weilchen über den zusätz­li­chen Stau bei Aachen ärgern.
    Der Kleinwagen der Benelux-Bürgerinnen mit wahr­neh­men­ba­rem, ein­schlä­gi­gem Migrationshintergrund wird unwahr­schein­li­cher durchgewunken.
    Und Racial Profiling ist wie­der salonfähig.

    Hintergrund ist (neben plum­pem Populismus) nach mei­ner Einschätzung der Regierungswechsel in NL:
    https://​www​.deutsch​land​funk​.de/​n​i​e​d​e​r​l​a​n​d​e​-​w​o​l​l​e​n​-​m​i​g​r​a​t​i​o​n​s​p​o​l​i​t​i​k​-​d​e​u​t​l​i​c​h​-​v​e​r​s​c​h​a​e​r​f​e​n​-​r​e​g​i​e​r​u​n​g​s​c​h​e​f​-​s​c​h​o​o​f​-​s​p​r​i​c​h​t​-​v​o​n​-​a​s​y​l​k​r​i​-​1​0​8​.​h​tml
    Die durch deren neue "Asylpolitik" erwart­ba­re "irre­gu­lä­re Migration" soll zumin­dest teil- und zeit­wei­se "umge­lei­tet" werden.
    Es wird aller­dings ähn­lich aus­ge­hen wie 2015
    https://www.dw.com/de/fl%C3%BCchtlinge-kommen-%C3%BCber-die-gr%C3%BCne-grenze-nach-bayern/a‑18718395
    und unterm Strich bleibt es dann doch (Rechs!-)Populismus pur, plus wei­te­res Zerbröseln des "Friedensprojektes" EU (sofern es jemals ein sol­ches war)

  2. "Es hat sich ein­fach ver­hakt. Ich kann es eigent­lich gar nicht so genau erklä­ren", sagt Britta Haßelmann."

    https://​www​.tages​schau​.de/​i​n​l​a​n​d​/​i​n​n​e​n​p​o​l​i​t​i​k​/​c​o​r​o​n​a​-​a​u​f​a​r​b​e​i​t​u​n​g​-​1​0​6​.​h​tml

    Fazit:
    Am guten und rei­nen Aufklärungswillen man­gelt es offen­sicht­lich also nicht! Nicht mal bei den Olivgrünen.

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