Long Covid der Linken

Unter die­sem schö­nen Titel zieht der ehe­ma­li­ge Pressesprecher der ZeroCovid-Kampagne eine Bilanz der Corona-Politik vie­ler Linker. Der Beitrag erschien am 16.1.24 in "ana­ly­se & kri­tik – Zeitung für lin­ke Debatte & Praxis". Er konn­te damals nicht die aktu­el­le Demowelle vor­her­se­hen (die nicht von Linken initi­iert wur­de, was aber ein ande­res Thema ist). In sei­ner Darstellung, die zunächst unkom­men­tiert zusam­men­ge­faßt wer­den soll, heißt es deshalb:

»Kaum besuch­te Demonstrationen, geschrumpf­te Gruppentreffen, Rückzug ins Private, Hoffnungslosigkeit. Das sind Situationen, die der­zeit vie­le Linke erleben..

Leicht drän­gen sich psy­cho­lo­gi­sche Erklärungen auf: Rückzug und Resignation erschei­nen als tau­send­fa­che pri­vat gezo­ge­ne Konsequenzen aus Isolation, Social Distancing und Versammlungsbeschränkungen zu Beginn der Covid-19-Pandemie. Doch war dies eine unver­meid­ba­re Folge? Der Literaturwissenschaftler Sebastian Schuller erin­nert in sei­nem neu­en Buch "Die Freiheit, die sie mei­nen" (sie­he Seite 35) dar­an, dass die Covid-19-Pandemie, die mitt­ler­wei­le zu Dutzenden Millionen Toten und der lang­fri­sti­gen Etablierung einer wei­ter schwe­ren Infektionskrankheit neben Tuberkulose, Grippe, Malaria geführt hat, zunächst auch einen Moment neu­er poli­ti­scher Möglichkeiten jen­seits der kapi­ta­li­sti­schen Alternativlosigkeit eröff­ne­te…«

Beispiele dafür sei­en u.a. "kol­lek­tiv orga­ni­sier­te Nachbarschaftshilfen" oder "die Kampagne #StayTheFuckHome, die ein von Solidarität getra­ge­nes indi­vi­du­el­les Handeln dem Scheitern von Regierungen bei der Eindämmung des Virus ent­ge­gen­setz­te". In sei­ner Wahrnehmung fand dies statt:

»Dass es eine poli­ti­sche und nicht bloß tech­ni­sche Frage ist, ob man ein Massensterben von Alten und Vorerkrankten weit­ge­hend hin­nimmt, durch "flat­ten the cur­ve" ver­sucht, auf kur­ze Sicht fah­rend, den Status quo zu sta­bi­li­sie­ren, oder ob man durch wei­test­ge­hen­de Unterdrückung der Infektionen und Vermeidung neu­er Ausbrüche ver­sucht, so vie­le Leben wie mög­lich zu ret­ten, wur­de öffent­lich kaum debat­tiert

Entpolitisierung der Linken in der Pandemie

Statt den in der Pandemie mani­fe­stier­ten gesell­schaft­li­chen Stoffwechsel mit der Natur selbst zu poli­ti­sie­ren, die neu­en Erfahrungen uni­ver­sel­ler Verletzlichkeit und über die Natur ver­mit­tel­ter glo­ba­ler Abhängigkeiten zu ver­ar­bei­ten, zog sich das Gros lin­ker Akteur*innen auf Verteilungsfragen und die Skandalisierung der Lage jener zurück, die aus den Sicherungsnetzen aus­ge­schlos­sen blie­ben… So ent­po­li­ti­sier­te am Ende das Vertrauen in bzw. die Hoffnung auf eine tech­ni­sche Lösung, ins­be­son­de­re die Impfung, auch die Linke.

Dabei war von Anfang an zu erwar­ten, dass die gleich­zei­tig ver­früh­te Aufhebung von Eindämmungsmaßnahmen die Wirkungen der Impfkampagne kon­ter­ka­rie­ren, die Bildung neu­er, resi­sten­ter Covid-Varianten begün­sti­gen und nicht genü­gend Zeit las­sen wür­de, hin­rei­chen­de Produktionskapazitäten auf­zu­bau­en, um die gesam­te Weltbevölkerung mit Impfstoff zu ver­sor­gen…«

Hätte man auf ZeroCovid und NoCovid gehört, hätten

»dadurch zwar noch etli­che Tote ver­mie­den wer­den kön­nen, doch für vie­les war es bereits zu spät. Europa war längst zur Drehscheibe des Virus gewor­den, die anfäng­li­che Eindämmungserfolge vie­ler asia­ti­scher oder afri­ka­ni­scher zunich­te mach­te, bis schließ­lich noch in den letz­ten Ländern die Unterdrückungsstrategien in die Knie gezwun­gen wur­de [sic] durch die inzwi­schen im Rest der Welt her­an­ge­züch­te­ten Delta- und Omikron-Varianten…«

Unter der Zwischenüberschrift "Nächste Krise: Klimakollaps" benennt der Autor aus sei­ner Sicht posi­ti­ve Entwicklungen:

»Die durch die Pandemie aus­ge­lö­ste Krise hat zuvor unge­ahn­te staat­li­che Handlungspielräume offen­ge­legt, ja die Regierungen sogar gezwun­gen, auf Instrumente zurück­zu­grei­fen, die poten­zi­ell über den Kapitalismus hin­aus­wei­sen. Damit setz­te eine neue Phase in der Verwaltung der seit 2008 fort­wäh­ren­den Krise des glo­ba­len Kapitalismus ein.

Am Problem feh­len­der Produktionskapazitäten für Gesundheitsartikel lässt sich das gut ver­an­schau­li­chen: Die glo­ba­le Mangelsituation brach­te etwa die US-Regierung dazu, auf den Defense Production Act zurück­zu­grei­fen, um Unternehmen zur Kooperation bei der Maskenproduktion zu zwin­gen – also die pri­va­te Kontrolle über die Produktionsmittel vor­über­ge­hend auf­zu­he­ben. Die direk­ten Investitionen in Milliardenhöhe ins­be­son­de­re der USA in den früh­zei­ti­gen Aufbau von Kapazitäten zur Impfstoffproduktion, noch bevor Wirksamkeit und Profitabilität der ver­schie­de­nen Vakzine bekannt waren, nah­men bereits die jetzt dis­ku­tier­te "neue Industriepolitik" vor­weg, waren jedoch eben­so widersprüchlich.

Widersprüche der Welt nach Corona

Insbesondere Deutschland ver­such­te, sich als Biotechnologie-Standort zu eta­blie­ren. Zudem dien­ten die Impfstoffe, ins­be­son­de­re die hoch­wirk­sa­men mRNA-Impfstoffe, zunächst vor allem der Versorgung der reich­sten Nationen, Lieferversprechungen für den Globalen Süden wur­den weit ver­fehlt. Die glo­ba­le Versorgungslage wur­de erst bes­ser, als deut­lich wur­de, wie vie­le Menschen in den rei­chen Ländern sich ohne eine Impfpflicht gar nicht imp­fen las­sen woll­ten – sei es auf­grund irra­tio­na­ler Ideologien oder auf­grund von Zweifeln ange­sichts fal­scher Versprechungen über die Schutzwirkung der Impfung.«

Ähnliche Widersprüche sieht der Autor im Zusammenhang mit den "Klimaschutzzielen" etwa zwi­schen "plan­wirt­schaft­li­cher Gasrationierung" mit "pro­gres­si­ven Potenzialen" und "altem Neoliberalismus". Er schließt daraus:

»Gelingt es nicht, die­se Widersprüche zu ana­ly­sie­ren und von ihnen aus­ge­hend eine lin­ke Antwort zu for­mu­lie­ren, so droht sich die in der Pandemie gemach­te Erfahrung der Bedeutungslosigkeit der Linken zu wie­der­ho­len und die Gefühle der Resignation zu verschlimmern.

Die gegen­wär­ti­gen Verwerfungen des kapi­ta­li­sti­schen Weltsystems trei­ben häss­li­che Erscheinungen her­vor: Verschwörungsideologen, deren Anhängerinnen hin­ter jeder die­ser Verwerfungen, aber auch hin­ter jedem klei­nen Ansatz zu kol­lek­ti­ven Akten der Solidarität einen Feind am Werk sehen, zu des­sen Bekämpfung sie bereit sind, sich jeder Autorität zu unter­wer­fen. Wie wenig es der Linken gelun­gen ist, in der Pandemie die Verschwörung zur kol­lek­ti­ven, ratio­nal gelei­te­ten Solidarität zu orga­ni­sie­ren, zeigt sich aber auch dar­an, dass in der brei­te­ren Bevölkerung noch die mini­ma­le Einsicht, dass es sinn­voll ist, bei Husten in Bahn oder Arztpraxis eine Maske zu tra­gen, ver­lo­ren gegan­gen ist…«


Reaktionär bis auf die Knochen

Kommen wir zur Polemik. Aus dem "ak" erfah­ren wir, daß der Autor Jonathan Schmidt-Dominé "der­zeit an einer sprach­phi­lo­so­phi­schen Dissertation" arbei­tet. Warum immer das für den Kontext mit­tei­lens­wert erscheint, pro­vo­ziert es die Beschäftigung mit sei­ner sprach­li­chen Artistik. Besonders ergie­big sind dafür sei­ne letz­ten Worte.

Was tun die Verwerfungen des Kapitalismus? Sie trei­ben her­vor, nament­lich die häss­li­che Erscheinung der Verschwörungsideologen. Noch der klein­ste Ansatz zu kol­lek­ti­ven Akten der Solidarität wie das Husten in die FFP-2-Maske wird von ihnen bekämpft. Derart erkenn­bar ist ihre Bereitschaft, sich jeder Autorität zu unter­wer­fen. Und was macht die brei­te­re Bevölkerung? Auch sie wider­setzt sich mini­ma­len Einsichten. Kein Wunder, daß sich bei denen, die Herr Schmidt-Dominé für "die Linken" hält, "die Gefühle der Resignation ver­schlim­mern".

Hartnäckig hält sich die Vermutung, daß die "Impfungen" oft­mals zu men­ta­len Schädigungen geführt haben. Sollte dies zutref­fen, kann man von min­de­stens drei Boostern bei Schmidt-Dominé ausgehen.

Kommen wir zum Inhaltlichen. Die ein­gangs gestell­te Frage nach den Auswirkungen der "Maßnahmen" und deren Befolgung bis zur Selbstverleugnung durch vie­le Linke, ja der Stilisierung der Maske als Erkennungszeichen von Antifaschismus und Wissenschaftlichkeit, wird leicht­hin abge­tan. Dabei liegt es auf der Hand, daß eine jah­re­lan­ge Isolation, ob erzwun­gen oder bereit­wil­lig ein­ge­gan­gen, bei allen Menschen ver­hee­ren­de Auswirkungen haben muß­te. Wie soll­ten eine Analyse und Bewertung, gar eine poli­ti­sche Praxis, unter der Bedingung von "sozia­ler Distanz", die nicht umsonst so genannt wur­de, gelin­gen? Vor allem bei einer anhal­ten­den Medienkampagne, die jeg­li­che Fragen und Zweifel unter­drück­te und als rechts, anti­de­mo­kra­tisch, unso­li­da­risch und ver­schwö­rungs­ideo­lo­gisch brandmarkte.

Das Verbrechen von ZeroCovid besteht dar­in, daß die Kampagne die­sen Zustand nach anfäng­lich nach­voll­zieh­ba­rer Verunsicherung bru­talst mög­lich auf­recht­erhal­ten woll­te. Über ihre Positionen hät­te man dis­ku­tie­ren kön­nen, doch war ihr Anliegen das Gegenteil. Wer sie nicht teil­te, war Nazi oder "rechts­of­fen", und mit sol­chen Leuten spricht man nicht. Selbst über Sprech- und Denkverbote gin­gen die AnhängerInnen von ZeroCovid hin­aus und ver­such­ten, Demonstrationen, Spaziergänge und Veranstaltungen zu ver­hin­dern. Neben die reak­tio­nä­ren Forderungen nach Grenzschließungen und noch här­te­ren Einschränkungen der Bewegungsfreiheit trat – Arm in Arm mit den Montgomerys und Spahns, Brinkmännern und Lauterbächen – eine gna­den­lo­se Hetze.

Analyse? Fehlanzeige

An kei­ner Stelle des Aufsatzes lesen wir eine Analyse der wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen und ideo­lo­gi­schen Kräfte hin­ter den jewei­li­gen Positionen zur Corona-Politik. Noch nach vier Jahren bleibt es bei Glaubenssätzen. Corona wird in einem Atemzug mit Malaria genannt. Umstandslos wer­den alle "an und mit" Verstorbenen "zu Dutzenden Millionen Toten" ver­klärt. Der Autor igno­riert, daß das "Massensterben von Alten" gera­de unter der Bedingung von Lockdown, Isolation und Besuchsverboten statt­fand. Es wur­de übri­gens durch noch so vie­le "Impfungen" kei­nes­falls beendet.

Der im besten Fall pater­na­li­sti­sche Ansatz, die Armen der Welt mit Spritzen vor Krankheit und Tod zu bewah­ren, blen­det in atem­be­rau­ben­der Weise deren all­täg­li­ches Leiden und Sterben an der kapi­ta­li­sti­schen Weltordnung aus. ZeroCovid scher­te es einen Dreck, daß der Globale Süden viel­fach erheb­li­che­re Probleme als die "Pandemie" für sich sah und die wohl­mei­nen­den Spritzen gar nicht nach­frag­te. Ganz ähn­lich stand es mit den (glück­li­cher­wei­se weit­ge­hend geschei­ter­ten) Rollkommandos, die in migran­ti­schen Vierteln zum soli­da­ri­schen Pieks auffuhren.

Dieser im Kern kolo­nia­li­sti­sche Ansatz, der neben­bei der hei­mi­schen Pharmaindustrie in die Hände spiel­te, macht sich auch in oben zitier­ten Formulierungen deut­lich. Die "neu­en Erfahrungen uni­ver­sel­ler Verletzlichkeit" sind nicht nur sprach­lich dane­ben, son­dern zeu­gen von einem euro­zen­tri­sti­schen und wohl­stands­ge­blen­de­ten Egotrip. Um die Verletzlichkeit der Armen und Verlassenen nicht nur im Globalen Süden wahr­zu­neh­men, braucht es kei­ne Phrase von Universalität. Schon gar nicht soll­te die Wahrnehmung dazu füh­ren, daß im Sinne der "Philanthropen" die Ursachen von Hunger und maro­den Sozialsystemen unan­ge­ta­stet blei­ben und statt­des­sen Milchpulver, Vakzine oder Sterilisationen zum Einsatz kommen.

Da sich der Autor mit den Verwerfungen des kapi­ta­li­sti­schen Weltsystems gar nicht beschäf­tigt, bleibt ihm nur der Griff zu der Legende, wonach die "ver­früh­te Aufhebung von Eindämmungsmaßnahmen" zu "inzwi­schen im Rest der Welt her­an­ge­züch­te­ten Delta- und Omikron-Varianten" führ­te. Eine bemer­kens­wer­te Parallele zu rech­ten Bedrohungserzählungen! Wie wenig Schmidt-Dominé vom Kapitalismus wis­sen will, zeigt auch die Phrase von den "über die Natur ver­mit­tel­ten glo­ba­len Abhängigkeiten". Das soll nach Systemkritik klin­gen, ist aber wie das gesam­te Narrativ des Virus als Naturgewalt, dem alle, arm wie reich, aus­ge­lie­fert sei­en, eine Verschleierung von Machtverhältnissen.

Selbst wenn auch dies nur wie ein sprach­li­ches Unglück erscheint, ist es bezeich­nend für den Ansatz von ZeroCovid: "Noch in den letz­ten Ländern [wur­den] die Unterdrückungsstrategien in die Knie gezwun­gen".


Als wäre das alles nicht pein­lich genug, wirkt der Mann wie zuvor oder noch Drosten, Ciesek, Cichutek und Stürmer (s. hier) nach Angaben der Frankfurter Goethe-Universität daselbst:

uni​-frank​furt​.de

Die letz­te Spur, die er dort hin­ter­ließ, betrifft einen Vortrag des von ihm erwähn­ten Sebastian Schuller im Juni 2021. Schmidt-Dominé kün­dig­te ihn so an:

»Der ideelle ‚Gesamtavantgardist‘

Die Wiederkehr der Avantgarde im glo­ba­len Kapitalismus
Öffentlicher Online-Vortrag von Dr. des. Sebastian Schuller, Dienstag, 29. Juni 2021, 14h c.t. im Rahmen des Seminars Dichtung und Leben in der Avantgarde

„Kunst ist auch system­re­le­vant!“ Unter die­sem Schlagwort pro­te­stier­ten im Sommer letz­ten Jahres zahl­rei­che Kulturschaffende immer wie­der gegen die Lockdown-Maßnahmen der Bundesregierung. Es wird dar­auf insi­stiert, dass Kunst und Kultur beson­de­re Räume im Gesellschaftlichen offen­hiel­ten, in denen poli­ti­sche Debatten und Dissidenz frei sich ent­fal­ten kön­ne – es hand­le sich hier um Residuen des Widerstands, die durch die hygie­ne­po­li­ti­schen Maßnahmen der Regierung nun bedroht sei­en

Kunst und Kultur sind in die Maschinen des glo­ba­len Kapitalismus ein­ge­bun­den, sie sind struk­tu­riert von der Logik des Kapitals. Und mehr: Es lässt sich die Emergenz eines „ästhe­ti­schen Kapitalismus“ (Lipovertsky) beob­ach­ten, in dem Kunst nur mehr eine Form kul­tu­rel­ler Produktion des Kapitals wird. Den Hoffnungen auf Heteronomie, oder Autonomie des Ästhetischen, sowie der Idee eines wider­stän­di­gen Potentials von Kunst und Kultur wird so eine Absage erteilt. Gleichsam in iro­ni­scher Erfüllung der Avantgarde hat der Kapitalismus Kunst und Leben ver­ei­nigt – wenn auch nicht unter dem Vorzeichen der Emanzipation, son­dern in einem glo­ba­len Regime unhin­ter­geh­ba­rer Kommodifizierung…«

Ich ken­ne den Vortrag nicht. Ist es abwe­gig, hier eine Denunziation zu ver­mu­ten? Der "ak"-Artikel ver­weist auf die Rezension eines Essays von Schuller, der den Titel "Die Freiheit, die sie mei­nen. Verschwörungsideologien und die Entstehung des auto­ri­tä­ren Neoliberalismus" trägt. Dort sei zu lesen:

»Ausgangspunkt sei­ner Analyse ist ein Denken, das Schuller als "deut­sche Corona-Ideologie" bezeich­net und das von einem radi­kal-indi­vi­dua­li­sti­schen Freiheitsbegriff und einem sozi­al­dar­wi­ni­sti­schen Menschen- und Gesellschaftsbild geprägt ist. Seinen Ausdruck fin­det die­ses Denken in der Ablehnung sämt­li­cher kol­lek­ti­ver Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus. Covid-19 und des­sen Folgen wer­den indi­vi­dua­li­siert und ganz in der Tradition der neo­li­be­ra­len Ideologiegeschichte wird jeder Eingriff in das Marktgeschehen, jede Einschränkung der Wirtschaft oder des Konsums als tyran­ni­scher Angriff auf die indi­vi­du­el­le Freiheit gedeutet.

Verschwörungsideologische Corona-Leugner*innen fun­gie­ren dabei als Avantgarde der Bewahrung des Status quo des Kapitalismus neo­li­be­ra­ler Prägung. Mit einem Programm aus Marktradikalismus und sozi­al­dar­wi­ni­sti­scher Abwertung von mensch­li­chem Leben machen sie als kon­for­mi­sti­sche Rebellen mobil zur Verteidigung eines neo­li­be­ra­len Freiheitsbegriffs. Schuller dekon­stru­iert damit auch den Mythos, Verschwörungsideologien lie­ßen sich fein säu­ber­lich von der Mitte der Gesellschaft abgren­zen, und ver­weist immer wie­der auf die zahl­rei­chen Übereinstimmungen von Querdenken und Co. mit libe­ra­len Vertreter*innen der deut­schen Corona-Ideologie in Wissenschaft, Presse und Politik…

Schuller [geht] zu Recht davon aus, dass sich der auto­ri­tä­re Neoliberalismus und der damit ver­bun­de­ne blu­ti­ge Sozialdarwinismus ange­sichts kom­men­der glo­ba­ler Krisen wie der Klimakatastrophe wei­ter radi­ka­li­siert…«

Vermutlich sind die Personen, die ihren Lebensunterhalt mit der­ar­ti­gem Bullshit bestrei­ten, begei­stert auf den Demos zur Rettung der Demokratie mit­ge­lau­fen. Von Faschismus dürf­ten sie eben­so wenig Ahnung haben wie von der Corona-Kritik.

Vielleicht gibt es eine klit­ze­klei­ne Hoffnung. Es ist ja die Bundesregierung, die die Mittel für das, was sie "poli­ti­sche Bildung" nennt, rigo­ros zusam­men­streicht. Dafür braucht es gar nicht die AfD. Möglicherweise kom­men die Herren, wenn man ihre Dienste nicht mehr bezahlt, dazu, ihre Analysen zu Verschwörungen und Instrumentalisierung von Kultur durch das Kapital auf ihr Wirken anzu­wen­den. Eigentlich hal­te ich aber nichts von Verelendungstheorien.

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

2 Antworten auf „Long Covid der Linken“

  1. Wenn das die näch­ste Generation von lin­ken Akademikern sein soll, braucht sich der Kapitalismus ja kei­ne Sorgen machen. 

    Wahnwitzig…Bologna hat´s voll gebracht;-)

    1. @Spaghetti Bologna
      Ja, dem kann ich lei­der nur zustimmen.

      Bologna und Pisa (nicht min­der ver­ant­wort­lich für die syste­ma­ti­sche Vernichtung kri­ti­scher Intelligenz in all den Generationen, die nun bei­des durch­lau­fen haben) – Bologna und Pisa aber haben wir über 50-Jährigen zu ver­schul­den, die wir damals nicht mas­sen­wei­se dage­gen auf die Straße gin­gen, in den Institutionen (in denen wir beschäf­tigt waren) nicht dage­gen arbei­te­ten und es durch unser Versagen nicht verhinderten.
      (Ich war damals an der Uni im Mittelbau beschäf­tigt und habe gegen Bologna gear­bei­tet – ver­ge­bens und allein auf wei­ter Flur.)

      Es ist unser Versagen. 

      Dadurch auch konn­te die Faschismusbeschleunigungsmaschine "Corona-Maßnahmenregime" über­haupt erst ihren Betrieb aufnehmen.

      PS: Ich wür­de gern mit irgend­ei­ner Hoffnung schlie­ßen. Doch gera­de heu­te wur­de ich auf unse­rem Montagsspaziergang von jeman­dem ange­spro­chen, der uns sei­nen vol­len Respekt zoll­te, aber lei­der sehr weit weg lebt. Er woll­te wis­sen, war­um bei unse­rem Spaziergang kei­ne jun­gen Leute seien …
      Manchmal den­ke ich wirk­lich, dass unser Versagen damals nun das Ende unse­rer Gattung im her­ge­brach­ten Sinne bedeu­tet und regime­kon­for­me Wisch-und-Weg-Einheiten sie erset­zen wer­den bzw. schon dabei sind.
      Wenn das der Weg der Gattung "Mensch" ist, dann bin ich froh, dass mei­ner zuvor been­det sein wird.

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