Zwei Demos in Osnabrück im Abstand von zwei Jahren. Die gleichen Veranstalter mit ähnlicher Diktion, aber etwas muß anders sein.
Die gleiche SPD-Oberbürgermeisterin, der jetzt aus Furcht vor einem Rechtsruck zehntausende BürgerInnen folgten, konnte mit exakt den gleichen Sprüchen ("Wir sind mehr und verteidigen die Demokratie") vor zwei Jahren noch nicht einmal die erwarteten 1.500 Menschen zur "Pro-Impfung"-Demo mobilisieren. Damals fanden sich fast ausschließlich sehr kurz Denkende und verpeilte Antifas ein, wie dem zweiten Link zu entnehmen ist, unter dem auch dieses Video zu sehen ist:
Es handelte sich ausdrücklich um eine Veranstaltung, mit der Menschen diskreditiert wurden, die wie im ganzen Land gegen die damals drohende "Impfpflicht" protestierten.
In Kreisen der Corona-Kritik ist zu hören, so willenlos, wie seinerzeit die "Maßnahmen" akzeptiert wurden, so wenig selbstbestimmt gehe man jetzt auf die Demo, wenn das Establishment rufe. Das Argument ist sicher nicht ganz falsch, greift angesichts der sehr unterschiedlichen Teilnehmerzahlen aber zu kurz. Andere Regierungskampagnen wie zum Ukrainekrieg oder zur Staatsräson in Bezug auf Israel fanden längst nicht dieses Echo. Man wird annehmen müssen, daß so, wie auf der konservativen Seite Wut und Enttäuschung über die Bauern-Demos kanalisiert werden sollten, heute die linksliberale (?) Seite diese Emotionen in die vermeintlich antifaschistische Richtung lenken will. Beide Proteste haben nachvollziehbare Gründe. Auffällig ist, daß sich der Bauernprotest erwartbar Ampel-kritisch artikuliert, während es auf der anderen Seite noch gelingt, einen Schulterschluß mit der Regierung herbeizuführen. Der ist nicht ungebrochen und kann langfristig kaum stabil bleiben.
Es wirkt so, als habe das jahrelange Schweigen vieler Menschen etwas im politischen Denken aufgestaut, das nun ein Ventil sucht. Da mag die Sehnsucht nach der Schicksalsgemeinschaft, die solidarisch wie gegen das Virus jetzt den Kampf gegen eine politische Bedrohung führt, eine Rolle spielen. Auf der Seite der Guten zu stehen, hat etwas Verlockendes, und man genießt das überschwengliche mediale Lob. Und doch hat das Thema des Rechtsrucks offenbar eine große Bedeutung für viele Menschen, weshalb Konformität als alleiniger Beweggrund nicht zutreffen wird.
Dabei bleibt das Phänomen, das mit kognitiver Dissonanz nur angenähert umschrieben werden kann. Wie kann es sein, daß im ganzen Land dem Regierungspersonal gestattet wird, sich als Kämpfer gegen Rechts aufzuspielen? Nimmt man die Themen Migration, Militarisierung und Sozialabbau als Eigenschaften einer Rechtsentwicklung wahr, so muß doch auffallen, welche reale Verantwortung dafür die Regierungsparteien tragen. Da gibt es gewiß sprachliche Unterschiede. Remigration heißt gepflegt Rückführungsverbesserung, Lager werden Asylzentren außerhalb der EU genannt, welche Kriege im Interesse "Deutschlands" liegen, ist umstritten, und wo die AfD Kürzungen für Nicht-Bio-Deutsche fordert, machen die bürgerlichen Parteien weniger nationalistische Unterschiede beim Sozialabbau.
Besonders krass wird der Widerspruch erkennbar am Auftritt des "Verteidigungsministers" Pistorius heute in Osnabrück. Er brachte es fertig, an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zu erinnern, ohne mit einem Wort die Rote Armee zu erwähnen. Wäre der Widerspruch zu groß gewesen zu den deutschen Panzern, die auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR wieder rollen? Noch am 24.1.24 feierte er im Bundestag die geplante Stationierung einer Brigade in Litauen. Und passend zu seiner Rede in Osnabrück veröffentlichte "Bild" ein Exklusivinterview unter dem Titel
Dort heißt es:
»… Im BILD-Interview macht Boris Pistorius klar: Bei der Diskussion um die „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands gehe es ihm nicht bloß um Debatten. Er habe den Begriff nicht in die Diskussion eingebracht, „weil ich Spaß habe an der Provokation“.
Er wolle vielmehr wachrütteln: „Wir kommen aus 30 Jahren Frieden, 30 Jahren Friedensdividende, von der wir alle profitiert haben. Und jetzt geht die Reise in die andere Richtung.“ Pistorius warnt: „Wir müssen richtig, richtig Tempo nachlegen, damit wir uns in die Situation bringen für den Fall der Fälle.“…
Pistorius [hat] kein grundsätzliches Problem damit, auch Ausländer zu rekrutieren.
„Wir reden über die Kinder in zweiter, dritter Generation, die noch keinen deutschen Pass haben, die aber fließend Deutsch sprechen, die in diesem Land leben und möglicherweise bereit sind, für dieses Land, in dem sie aufgewachsen sind oder aufwachsen, Dienst zu tun.“…
Gegenwärtig sei die Bundeswehr wie alle Streitkräfte in Europa „nicht auf einen großen Krieg, was die Stärke angeht, eingerichtet“. Deshalb sei klar: „Wir brauchen einen Aufwuchs.“…«
(Hervorhebungen in blau nicht im Original.)
Da zitiere ich den Rationalgaleristen: «Die vielbeschworene „Zeitenwende“ ist am deutlichsten darin zu erkennen, dass eine Regierung – die in ihrer militarisierten Außenpolitik und ihrer ideologisierten Innenpolitik als rechts zu erkennen ist – von den Regierungsmedien eine Massenbewegung inszenieren lässt, die sich angeblich gegen „rechts“ wendet. Ein politischer Salto der bizarren Art.»
https://www.rationalgalerie.de/home/ein-freispruch-mit-nachtreten
Doch, Konformismus ist der Beweggrund. Und der Glaube an die gerade angesagte Propaganda. Das Virus, die Ungeimpften, alle möglichen "Leugner", "Putin", die Rechten – überall Bedrohungen, denen sich die Zivilgesellschaft der guten Gesinnung entgegenstellen kann. Kognitive Dissonanz kann nur auftreten, wo es kognitives Interesse gibt.
@aa:
deiner Analyse im ersten Teil kann ich weitgehend zustimmen – wenngleich ich das mit dem "Rechtsruck" relativieren würde:
schließlich wurde bis in dieses Jahrtausend von jener Partei, die jetzt auch "besorgt" (mit) demonstriert mit Methoden, die schon damals ("im linksliberalen Milieu") verwerflich ("gesichert rechtsextrem"?) waren sogar (erfolgreich!) Wahlkampf betrieben
https://taz.de/Der-Doppelpass-Trick/!457830/
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahlkampf-in-hessen-koch-attackiert-ypsilanti-mit-anti-kommunisten-kampagne-a-529466.html
da braucht man nicht einmal die Rhetorik eines Strauß oder Dregger zu bemühen.
Apropos Strauß: diese Aussage von 1987
https://www.swr.de/swr2/wissen/archivradio/franz-josef-strauss-1987-rechts-von-der-csu-102.html
lässt sich auch abseits der offen geäußerten machtpolitischen Erwägung betrachten.
Zum "Pistorius-Teil":
Einwurf zu
"Wäre der Widerspruch zu groß gewesen zu den deutschen Panzern, die auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR wieder rollen? Noch am 24.1.24 feierte er im Bundestag die geplante Stationierung einer Brigade in Litauen."
Das mit den "rollenden deutschen Panzern" ist in der Tat (nicht nur geschichtlich) bedenklich und wird von der Kreml-Propaganda deswegen oft und gerne aus dem "Deutschland-Baukasten" geklaubt.
Allerdings zeigt bereits der zweite Satz, dass man sich mit diesem "Argument" im Zusammenhang mit manchen Ländern/Gebieten eher zurückhalten sollte, da es sich auch hervorragend als "Gegenargument" eignet.
Man muss kein Bürger Litauens sein um zu wissen, dass dieses Land(!) zu Beginn des zweiten Weltkriegs mitnichten "auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR" lag, "Deutschland" und "die ehemalige UdSSR" mindestens anderthalb Kriegsjahre Spießgesellen waren, und dass man nicht nur als geschichtsbewusster Mensch aus Litauen der Meinung sein darf, dass das Land ohne diese unheilige Allianz vielleicht niemals Teil "der ehemaligen UdSSR" geworden wäre (oder, vielleicht, Truppen starker Verbündeter auf dessen Territorium das Risiko der Besatzung vermindert hätten).
@Kassandro: Über die Geschichte Litauens ließe sich viel streiten, auch ohne in großrussische Verklitterung zu verfallen (was mir sehr fern liegt), über die Rolle deutscher Großagrarier und Militaristen im Baltikum ebenso. Richtig ist, daß Litauen zu Beginn des Überfalls auf die UdSSR nicht deren Mitglied war. Die (Ost-)Ukraine aber schon, darauf bezog ich mich mit den dort rollenden deutschen Panzern.
Manchmal verheddert sich die Lokalpresse (wohl unbeabsichtigt) sogar am selben Tag.
(Die BNN haben sich – auch wenn's manchmal offensichtlich schwer fiel – binnen 30 Jahren von "eher rechtskonservativ" auf "eher linksliberal" getrimmt)
Auf Seite 1 (am 27.1.):
https://bnn.de/nachrichten/baden-wuerttemberg/fluechtlingskrise-die-seltsame-vermehrung-von-paessen-aus-der-ukraine
wird von "Großfamilien, die mit neuen Pässen einreisten." berichtet,
"Bereits Anfang 2023 hatte der Landkreistag diese Beobachtungen gegenüber der Landesregierung thematisiert. Bei den Prüfungen fiel folgendes auf: ,,Auffällig viele" dieser nagelneuen Pässe stammen laut Staatssekretär Lorek aus der ukrainischen Stadt Beregove, einer Kleinstadt mit 27.000 Einwohnern, an der Grenze zu Ungarn. Die Stadt hat bereits andere Schlagzeilen gemacht, gilt sie doch als die Stadt, durch die Ukrainer
flüchten, wenn sie sich dem Wehrdienst entziehen wollen.".
Zudem, dass
"In vertraulichen Gesprächen von großen Schwierigkeiten mit dem Sozialverhalten dieses Personenkreises aus Südosteuropa die Rede [ist], in aller Regel Angehörige der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma, die dort am unteren sozialen Rand leben."
Selbstredend "erwarte [man], dass die ukrainischen Behörden bei der Passvergabe sorgfältig arbeiten und einen Missbrauch ausschließen. Das müsse die Bundesregierung gegenüber der Ukraine deutlich machen."
Nicht nur "woke Personen" könnten hier eine toxische Mischung aus "Wehrkraftzersetzung" und Antiziganismus interpretieren – jedenfalls waren beides eher Themen, die man "Kreml-nahen" und/oder "rechten" Portalen überließ und zuweilen als "Hass und Hetze"bezeichnete.
Im Lokalteil "Bruchsal" derselben Ausgabe dann;
https://bnn.de/kraichgau/bruchsal/meinung-demokratie-und-narretei-mobilisieren-die-bruchsaler-massen
"Fangfrage: Was fängt mit Fasch… an und bringt in diesen Tagen Tausende auf die Straße? Der Fasching, na klar Aber, sorry.
gemeint war der Faschismus. Leider.
Immerhin: Gegen seine Verbreitung, gegen Rassismus, gegen perfide Deportationspläne machen gerade Millionen Menschen
in Deutschland mobil. Ein starkes Zeichen.
Bruchsal steigt an diesem Samstag ein, in den Demo-Zug, der gerade durchs Land rollt. Von den Linken bis zur CDU will man
hier Schulter an Schulter stehen.
Ein historisches Zeichen an einem historischen Tag. Am 27. Januar gedenkt man der Millionen Opfer des Nationalsozialismus
Sie erinnern uns an das: Nie wieder, für das jetzt auch hier die Menschen demonstrieren. Natürlich geht es dabei auch um die
AfD, die sich offenbar vor unser aller Augen immer mehr radikalisiert. In deren Reihen man schon von Deportationon unliebsamer Mitbürger träumt. Aber noch mehr geht es
um die Menschen selbst, die Seit' an Seit stehen. Es geht um ihre Freiheit, ihre Demokratie. Um ihre Herkunft oder die ihrer
Großeltem geht es explizit nicht. Die Botschaft, die von dieser Bewegung ausgeht, lautet. Wir sind ja doch nicht allein". Es gibt
noch viel mehr, die sich von der Angstmacherei, von Populismus und Hass nicht kirre lassen machen wollen.
Manche sprechen gern von einem Aha-Effekt: Dieses braune Gedankengut, das gerade scheinbar durch jede Ritze dringt, das
finden gar nicht alle meine Nachbarn, meine Kollegen oder Bekannten gut. Welch wichtige Erkenntnis! Umso bemerkenswerter ist es, dass es der Bruchsaler Anmelder und
SPD Politiker Christian Holter geschafft hat, wirklich alle Kräfte guten Willens zu motivieren, mitzumachen. Die CDU ist genau-
so gefragt wie die SPD. Die Katholiken, die Protestanten und alle anderen auch. Natürlich auch alle Narren, die an diesem Wo
chenende in zig Prunksitzungen wieder richtig Gas geben wollen. Fasching und Faschismus – das geht einfach nicht zusammen:
Und angeblich sind ja Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Karnevals-Hochburgen weniger stark verbreitet.
Vermutet wird, es habe etwas mit der Konfession zu tun. Egal, wie: Narren stehen seit eh und je für eine bunte Gesellschaft (…)"
Hier hat sich hier eine besonders fleißige Missionarin des rechten Glaubens ausgetobt:
(Kostproben: https://bnn.de/mittelbaden/buehl/anonymes-flugblatt-von-corona-leugnern-verunsichert-menschen-in-buehl-und-karlsruhe
https://bnn.de/kraichgau/bruchsal/auf-corona-streife-durch-bruchsal-130-mal-gab-es-knoellchen ), die sicher besonders empört wäre, wenn man ihre Aussage:
"Es geht um ihre Freiheit, ihre Demokratie. (…) Die Botschaft, die von dieser Bewegung ausgeht, lautet. Wir sind ja doch nicht allein.
Es gibt noch viel mehr, die sich von der Angstmacherei, von Populismus und Hass nicht kirre lassen machen wollen."
auf die von ihr gerne verhöhnte "Konkurrenz" anwendet:
(egal wie man zu Schiffmann steht – imho: eher eine Art Michael Kohlhaas als ein "Schwindler" – auch wenn er sich nicht unbedingt immer in bester Gesellschaft befand)
https://bnn.de/pforzheim/autogramme-blumen-warnungen-hunderte-feiern-querdenker-star-bodo-schiffmann-in-pforzheim
Wie würde die Frau auf einen ähnlichen "Bericht" über die eher überschaubare Demo reagieren, zu der sie in ihrem (leicht närrischen) Kommentar aufgerufen hat?
Ich war kurz dort (trotz, nicht wegen der mir mehrmals gestellten Frage, ob ich denn … ?), habe Mindestabstände und Masken gezählt (beides nahe Null) und außerdem ist mir aufgefallen, dass kürzlich verstorbene "Geimpfte" nicht erwähnt wurden.
Die Empörung derer, die ich sah und hörte war echt – aber es wäre ein Leichtes, sie (vor allem jene, die in den letzten 3–4 Jahren als Verfechter des einzig wahren Glaubens oder gar "Hassprediger" gegen Nicht-Konforme auftraten) zu diskreditieren und verächtlich zu machen.
Wahrscheinlich hat sich Frau Zäpfel eben irgendwann einfach "radikalisiert" und glaubt so aus der Nummer wieder rauszukommen.
@aa:
OK. Dein Bezug auf die Panzerlieferungen in die Ukraine war so nicht erkennbar.
(Kleine Klugscheißerei, ganz ohne Streit: die
https://de.wikipedia.org/wiki/Litauische_Sozialistische_Sowjetrepublik
war zu Beginn des Überfalls auf dieselbe schon fast ein Jahr "Mitglied" der UdSSR)
@Kassandro: Wie peinlich! Aber Du hast natürlich recht.