Ballweg outet sich

Die Reaktionen auf einen Beitrag vom 2.9.20 auf coro​dok​.de unter die­sem Titel waren typisch für die­se Zeit. Eine Auseinandersetzung mit den Positionen Ballwegs fand eher nicht statt, son­dern wur­de mit dem Totschlag-Argument der "Kontaktschuld" zurück­ge­wie­sen. Der Reichsbürger-Ansatz, der sich bei Ballweg in der Folge ver­ste­ti­gen soll­te, wur­de eher woll­wol­lend zur Kenntnis genom­men. Bis heu­te wird Kritik an Ballweg abge­wehrt, weil die (poli­tisch moti­vier­te und zu ver­ur­tei­len­de) neun­mo­na­ti­ge U‑Haft ihn sakro­sankt erschei­nen läßt. 2020 war zu lesen und zu sehen:

Es ist gut, daß Michael Ballweg sei­ne Positionen ver­deut­licht. Es ist ehr­lich, daß er dies in unmiß­ver­ständ­li­chem Kontext mit ein­deu­tig Rechtsextremen tut.

  • Michael Ballweg im Interview mit Lejeune 2.9.

Seine wei­te­ren Pläne erklärt er heu­te in einem äußerst freund­schaft­li­chen Interview mit Martin Lejeune. Der hat­te in den letz­ten Tagen eben­so zuge­wand­te Gespräche mit der "Reichstags-Stürmerin" Tamara Kirschbaum, dem Holocaust-Leugner Nikolai Nerling und den AfD-Funktionären Stefan Bauer und Andreas Wild (Links über die Fotos*).

Aufschlußreich, wenn auch nicht mehr ver­wun­der­lich, ist Ballwegs Bemühen, den "Reichstags-Sturm" aus der Wahrnehmung als rechts­extrem zu entfernen.

"Reichstags-Sturm" nicht rechtsextem?

Auf die Frage Lejeunes „Wie schätzt Du die Versammlung am Reichstag ein?“ ant­wor­tet Ballweg (ca. Minute 7:57):

»Ist ja egal, was das für ne Versammlung ist, die, die jetzt so in der Presse zir­ku­liert, sage ich mal, die wur­de vom Innensenator, der ja unse­re Demonstration, gesagt hat mit der Begründung, sie rich­tet sich gegen die Regierung, hat jetzt die­se Demonstration am Reichstag nicht ver­bo­ten… Da muß ich mich doch fra­gen, also, was ist jetzt die Botschaft, die der Innensenator sen­det, daß er letzt­end­lich sagt, rechts­extre­me Demos sind nicht gefähr­lich, also die Presse defi­niert die ja als rechts­extrem.«

Nun kommt er etwas ins Stocken. Lejeune assi­stiert: „Also die öffent­li­che Meinung“. Ballweg: „Genau.“ Da bei­de der "öffent­li­chen Meinung" nicht trau­en, wird also auch die­se Benennung falsch sein. Das ergibt Sinn. Beide spre­chen zu Recht an, daß es im Vorfeld eine dem Innensenator bekann­te Mobilisierung von Rechtsaußen zu einem Sturm gege­ben hat. Videos von der Aktion zei­gen auch Personen, die klar die­sen Gruppierungen zuzu­ord­nen sind. Die Veranstaltung, aus der der "Sturm" erfolg­te, war aber eine von Reichsbürgern, die auch den größ­ten Teil der "Stürmer" stellten.

Ballweg mit Reichsbürger-Positionen

Und deren Argumentation hat­te nicht nur Ballweg auf der Querdenken-Kundgebung ver­tre­ten: Abschaffung des Grundgesetzes und Ersetzung durch eine Verfassung, die sich eine Volksversammlung geben sol­le, für deren Kern er die gera­de ablau­fen­de Kundgebung hielt. Lejeune hat­te ihn schon am 23.8. so zitiert:

»"Wir kom­men, um zu blei­ben. Ich habe mir 14 Tage mit ein­ge­plant. Und wir wer­den natür­lich die Straße des 17. Juni nicht mehr räu­men … Ich habe so das Gefühl, daß sich um den 10./11.09. was tun wird!", kün­digt Ballweg an.«

Letztendlich, um ein Lieblingswort von Ballweg zu benut­zen, hat sich das als Großsprecherei her­aus­ge­stellt. Er muß­te zur Kenntnis neh­men, daß die aller­mei­sten Menschen nach Berlin gereist waren, um gegen die "Corona-Maßnahmen" zu pro­te­stie­ren, aber (noch?) nicht für die Abschaffung des Grundgesetzes zu instru­men­ta­li­sie­ren waren.

Lejeune, der in sei­nem Interview mit dem Holocaust-Leugner Nerling noch vom Gegenteil berich­te­te, formuliert:

Ihr mobi­li­siert wirk­lich die poli­ti­sche Mitte, Ihr sprecht ja gar nicht die Ränder an. Die Linksextremen und Rechtsextremen füh­len sich ja gar nicht von Querdenken ange­spro­chen.“

Ballweg erwähnt mehr­fach den guten Journalismus Lejeunes und for­dert auf, ihn all­seits zu unter­stüt­zen. Beide strah­len gemein­sam über die „schö­ne Zeit“ im Camp der Querdenker.

Die vie­len Menschen, die besorgt sind über Lügen und Manipulationen, die zu unsäg­li­chen "Maßnahmen" füh­ren, wel­che auf einem zutiefst unde­mo­kra­ti­schen Verordnungsweg erlas­sen wer­den, müs­sen sich fra­gen, wie sie der Vereinnahmung von Reichsbürgern ent­ge­gen­tre­ten können.

Klick auf die Fotos führt zu den Quellen. Sie sind nicht sämt­lich mehr verfügbar.


Aktuell ist Nerling so unter­wegs ("Alles nur Satire):

twit​ter​.com (8.11.23)
twit​ter​.com (1.11.23)

Auch der fol­gen­de Beitrag vo 1.9.20 traf auf Verständnis für Ballweg und Nerling:

Holocaust-Leugner lobt Michael Ballweg

Lob kann von der fal­schen Seite kom­men. Es kann ver­gif­tet sein, um zu dis­kre­di­tie­ren. Und es kann ernst gemeint sein. Ein Gelobter kann sich dar­an freu­en, es igno­rie­ren oder zurück­wei­sen. Menschen, die in einer poli­ti­schen Öffentlichkeit agie­ren, haben hier eine Verantwortung.

Der als Provokateur vor und in KZ-Gedenkstätten auf­tre­ten­de und des­halb wegen Volksverhetzung vor­be­straf­te Nikolai Nerling erklär­te* anläß­lich des "Reichstags-Sturms" (ca. 7:27):

»Was mich wahn­sin­nig gefreut hat, war die Tatsache, daß Michael Ballweg von der Verfassungsgebenden Versammlung gespro­chen hat, die jetzt ein­be­ru­fen wer­den soll… Das hier ist genau der rich­ti­ge Ort. Und er hat alle Menschen ein­ge­la­den, her­zu­kom­men aus dem gan­zen Land… Ich habe mich da auch sehr ein­ge­la­den gefühlt… Danach war für mich die Veranstaltung eigent­lich auch nicht mehr so inter­es­sant, denn das war der Kern der Sache.«

Das gei­sti­ge Niveau Nerlings, der sich als "Volkslehrer" ver­steht, wird an die­ser Passage deut­lich. Er spricht über

»… diese[n] ehemalige[n] Reporter, wie hieß der, Schabowski?, der die Grenzen damals geöff­net hat, und der die Frage gestellt hat, ab wann das gilt, der hat ja auch von sich gesagt, daß er Marxist und Sozialist sei. Und daß das hier eine Bühne bekommt, das sind für mich radi­ka­le lin­ke Positionen. Marxismus, Sozialismus, das ist eher radi­kal als gemä­ßigt.«

Auf der Kundgebung am 29.8. war zur Verdeutlichung einer ver­meint­li­chen histo­ri­schen Parallele zum bevor­ste­hen­den Untergang der Merkel-Regierung das Gestammel des SED-Politikers Günter Schabowski vor­ge­führt wor­den, mit dem er am 9. November 1989 die Öffnung der DDR-Grenze bekannt­gab. Da Schabowski 2015 ver­stor­ben war, konn­te man nicht wirk­lich von einem Auftritt des radi­ka­len Marxisten sprechen.

Die Menschen, die sich für den Schutz der Grundrechte ein­set­zen, haben einen Anspruch dar­auf, zu erfah­ren, ob Michael Ballweg sich über das Lob freut, es ihn anwi­dert oder kaltläßt.

Update 19:45: Man sehe sich auch Min. 11:00 an:

»[Ich fin­de es] groß­ar­tig, daß jetzt hier ein Prozeß ange­sto­ßen wur­de, der über­fäl­lig ist, Artikel 146 des Grundgesetzes wur­de genannt. Auch das fin­de ich groß­ar­tig, weil es auch sonst immer nur in verschwörungs­theoretischen, Reichsbürgerkreisen genannt wur­de, und jetzt eben hier bei Querdenken. Ich den­ke, das ist ein Schritt in die rich­ti­ge Richtung. Ich freue mich dar­auf, die­sen Schritt mitzugehen.«

Und zu Schabowski stellt er rich­tig, daß er nicht Schabowski gehört hat, son­dern den ihn vor­füh­ren­den Journalisten als Marxisten und Sozialisten meint, der dort nichts zu suchen habe:

»Das war glaub ich der zwei­te Redner oder der drit­te, nach dem Kennedy hat der glaub ich gesprochen.«

Interessant wird es noch ein­mal ab Min. 11:35, nach der Frage:

»Wie kam es denn dazu, daß Du heu­te auf der Bühne warst bei Querdenken?«

Hier plau­dert Nerling sei­ne Sicht aus, die nicht zutref­fen muß. Wissen soll­te man, daß die Bühne ein streng abge­schirm­ter Bereich war, auf dem sich etwa JournalistInnen eigens akkre­di­tie­ren muß­ten. Er erzählt, wer ihn umarmt und mit wem er wel­che wei­te­ren Pläne schmie­det. Alles nur ein cle­ve­rer Coup eines aus­ge­wie­se­nen Nazis?

Explizit ange­spro­chen zum Thema Holocaust-Leugnung erklärt Nerling (ca. Min. 13.00):

»Es soll­te kei­ne Denk- und Sprechtabus geben. Ich ste­he nach wie vor auf dem Punkt, daß ich mei­ne, man muß über alles reden dür­fen. Auch über Dinge, die viel­leicht sen­si­bel sind. Ich mei­ne, es ist auch Aufgabe eines jeden Kriminologen, wenn ein Mord pas­siert ist, dann muß er auch die Opfer erst mal hin­ter­fra­gen, ob die viel­leicht dar­an betei­ligt sein könn­ten… Deswegen ste­he ich nach wie vor dazu, daß die­ser Artikel des Strafgesetzbuches einer moder­nen Demokratie nicht wür­dig ist.«

Youtube setzt unter jeden Beitrag, der sich kri­tisch zu Corona-Maßnahmen posi­tio­niert, einen Warnhinweis. Hier hält der Konzern das nicht für nötig.

* Update: Das Video wur­de inzwi­schen gelöscht.


Martin Lejeune hat inzwi­schen die Seiten gewech­selt. Am 1.11.22 war von ihm zu lesen:

mar​tin​le​jeu​ne​.de (1.11.22)

Am 5.9.20 war auf coro​dok​.de zu lesen:

Ballwegs Distanzierung vom "lieben Nikolai Nerling"

Das geht Michael Ballweg zu weit. Eine Äußerung des ver­ur­teil­ten Holocaust-Leugners Nerling bringt ihn auf you­tube zu die­ser Stellungnahme:

»Lieber Nikolai Nerling, ich wur­de gera­de in einem Interview mit dem ARD-Monitor auf Deine Rede auf­merk­sam gemacht. Und mir ist es erst gar nicht auf­ge­fal­len, Du sprichst da von 6 Millionen Teilnehmern in Berlin. Und das ist natür­lich ein direk­ter Bezug, wie wenn man auf Google ein­gibt "holo­caust 6 mil­lio­nen", auf den Holocaust, was mich natür­lich ent­setzt. Ich weiß, daß Du Deine Zahlen in Deinen Reden natür­lich bewußt wählst und es kann dann auch kein Zufall sein. 

Ich bin schockiert, und des­halb möch­te ich Dir mit­tei­len, daß Du auf unse­ren Demonstrationen nicht mehr will­kom­men bist, auch nicht im Pressebereich.«

1.751 Likes ste­hen 2.137 Dislikes auf you­tube gegen­über (Stand 5.9., 13:55). Eine Flut von Kommentaren aus dem Nazispektrum fin­det sich unter die­sem Video. Siehe auch "Ich ken­ne kei­ne Parteien, ich ken­ne nur noch Deutsche" sagt nicht Ballweg.

Update: Das Video gibt es inzwi­schen nicht mehr.

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