Am 13.6.20 erschien auf corodok.de dieser Beitrag:
Hier ein Beitrag für Liebhaber linker Selbstverstümmelung.
Das MEZ (Marx Engels Zentrum Berlin) ist eine hoch zu lobende Bildungsstätte für Menschen, die sich mit aktuellen Fragestellungen des Marxismus auseinandersetzen wollen. Seit 2013 fanden hier vielfältige und oftmals kontroverse Veranstaltungen statt. Das hatte ein jähes Ende mit Corona.
An einer Aussetzung der Veranstaltungen führte zunächst natürlich kein Weg vorbei. Ab dem 23.3. folgten dem nur noch panische Publikationen in Sachen Corona. Bei der ersten konnte man sehr gut verstehen, daß den Autor die Sorge um seine fast 90-jährige Mutter umtrieb. Er schilderte nachvollziehbar, wie er seine sozialen Kontakte unter diesem Gesichtspunkt bewußt einschränkte. Zu gut verständlich ist auch seine Empörung über eine bodenlos dumme "Satire" des alternativen Portals Rubikon, für das der Autor oft Beiträge geschrieben hatte. "Deshalb möchte ich morgen von allen offiziellen Stellen weltweit hören: Über 80-jährige mit drei Vorerkrankungen und frischer Lungenentzündung behandeln wir nicht auf Intensivstationen, die schicken wir zum Sterben nach Hause, denn sterben müssen ja alle." hieß es da.
In einem Beitrag "Geld oder Leben" vom 1.4. setzte er dann die in einem FAZ-Artikel erkannte Strategie der Kapitalseite, mit schnellen Lockerungen die Wirtschaft wieder profitabel zu machen, eins mit linker Kritik an den Einschränkungen. Mit Verweis auf den italienischen Philosophen Domenico Losurdo stellte er fest, daß
»… Liberalismus und Anarchismus nur zwei Seiten einer Medaille sind. Gemeinsamer Feind ist der Staat. Wehren sich die einen gegen verordnete Einschränkungen ihrer Wirtschaftsfreiheit, d.h. der ungehemmten Möglichkeit Geld zu machen, so stemmen sich anarchistische Libertäre gegen die staatliche Einschränkung, jetzt weiter ungehindert alles tun oder lassen zu können…
Die Debatte über die Aufhebung der Restriktionen wird mit Sicherheit bald wieder aufleben. Viel zu stark ist in diesem Land das Kapital. Und das entscheidet sich bei der Frage „Geld oder Leben“ bekanntlich für Geld. «
Das ist dünn und vor allem bar jeder Dialektik, ja letztlich absurd für einen Marxisten. Da werden die staatlichen Maßnahmen uneingeschränkt verteidigt, weil sie nach Interpretation des Autors offenbar nicht Klasseninteressen unterliegen. Der Staat als Sachverwalter des Volksganzen ist schon eine sehr abstruse Vorstellung. Wenn ein Rechts-Links-Schema hier angelegt werden sollte, dann ist diese Position eher rechts.
Am 9.4. die übliche Schelte für die "Hygiene-Demo" am Rosa-Luxemburg-Platz. Noch fehlen die Vorwürfe "alle rechts oder Aluhüte oder mindestens Antisemiten". Aber klar ist: "An den erlassenen Kontaktbeschränkungen [führt] kein Weg vorbei." Denn schließlich
»… berichten die Medien, dass im US-Bundesstaat Louisiana besonders viele Afroamerikaner vom Virus getötet werden, da sie Vorerkrankungen haben, deren Behandlung sie sich im US-Klassengesundheitssystems nicht leisten können. Und das ist nur der Anfang. Es werden weltweit noch viele sterben, vor allem Arme.«
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß auch der Autor weiß: Es braucht kein besonders perfides Virus, um die Menschen in den Slums verrecken zu lassen. Sie finden sich in einer ausweglosen Situation. Ja, das Virus verschärft ihre Situation, noch mehr tut das aber die Empfehlung aus dem bequemen Home Office "Bleibt zu Hause, haltet Abstand". Diese Empfehlung ist für sie genau so untauglich wie für Millionen indischer WanderarbeiterInnen, für die Menschen in brasilianisches Favelas und die übergroße Mehrheit derer auf dem afrikanischen Kontinent. Gewaltige Hungersnöte entstehen im Süden dieser Welt, weil der Westen ein noch nicht einmal für ihn als sinnvoll bewiesenes Prinzip des Lockdowns dem Rest der Welt verordnet. Die Kritik an den Maßnahmen hierzulande kann (aber muß nicht) ein solidarisches Potential entwickeln, wenn sie Verantwortung denkt über die eigene persönliche Gesundheit hinaus. Ein Schweigen dagegen, ja ein Mittragen, ist bei wohlmeinender Betrachtung als kurzsichtig und unpolitisch, bei fehlendem Wohlwollen als reaktionär zu werten.
Am 10.4. folgt das Hohelied "Rückkehr des Staates – China liefert die 'Blaupause' für den Kampf gegen die Corona-Pandemie". Hier lesen wir die Hoffnung, daß sich auch das Bundesverfassungsgericht ein Beispiel an China nehmen und Klagen gegen die Beschränkungen zurückweisen werde. Erfreulicherweise hat sich der Autor hier geirrt. Es folgt
»Die jetzt in der Bekämpfung der Pandemie sichtbar werdenden Erfolge des Landes werfen ihr Licht auch auf andere, zuvor errungene Siege: Mit der Ein-Kind-Politik gelang es China, eine demografische Katastrophe zu verhindern. Die geplante Politik der Armutsbekämpfung erlöste mindestens 400 Millionen Menschen aus bitterster Not. Die Lenkung der Ökonomie erlaubte in der Finanzkrise 2007 bis 2009 die Auflage eines gigantischen Konjunkturprogramms, durch das erst die weltweite Krise überwunden werden konnte. Die rigorose Unterdrückung jeglichen religiösen Extremismus, vor allem des Islamismus, verhinderte das Abgleiten ganzer Provinzen in den Terrorismus…
Die Chance nutzen!
In der Coronakrise meldet sich auch in Deutschland der Staat zurück. Er zeigt sich als Ordnungsmacht, der nicht allein nur dem Einzelnen Einschränkungen zum Schutze Aller auferlegt, sondern vor allem tief in das Wirtschaftsleben eingreift. Die konkrete Anerkennung des Schutzes des Lebens erfordert das öffentliche Eingreifen und die öffentliche Kontrolle. Verlangt wird nicht weniger als die Duldung eines Handelns gegen die Logik der kapitalistischen Ökonomie, denn nur so lässt sich menschliches Leben retten.«
Auch hier wieder der Wunderglaube an den über Klasseninteressen schwebenden Staat. Als ob nicht schon damals über TUI- und Lufthansarettung und neue Abwrackprämien debattiert, die Notwendigkeit des Abschieds einer aktiven Klimapolitik betont oder Beschäftigte im Gesundheitssystem mit Notstandsverordnungen drangsaliert wurden. Als ob nicht damals schon Hilfen für "Entwicklungsländer" nicht zustande kamen, sondern Mittel lediglich umgeschichtet wurden. Als ob in den Beratergremien der Bundesregierung nicht Pharma- und andere Konzerne säßen. Ja, der Staat hat "tief in das Wirtschaftsleben eingegriffen". Wo er mit Billionen von Hilfen an Unternehmen "gegen die Logik der kapitalistischen Ökonomie" gehandelt haben soll, erklärt der Autor nicht.
Abschließend dann "Deutschlands Corona-Politik: „Nicht gut, nur weniger schlecht als in anderen Ländern." Da geht es gleich los mit "Mit der Forderung nach der Aufhebung des Versammlungsverbots tut sich die Linkspartei derzeit keinen Gefallen." Um dann zur Sache zu kommen:
»Die nahezu ungehinderte grenzüberschreitende Mobilität ist nun einmal das Mantra des Neoliberalismus schlechthin. So hat die EU bekanntlich den Anspruch, ihren Bürgern einen unbegrenzten Binnenmarkt mit völliger Personenfreizügigkeit zu bieten. Diese Politik wollte man lange Zeit um nichts in der Welt aufgeben. Lieber nahm man die Durchseuchung des Großteils der Bevölkerung in Kauf…
Erst als Virologen und Epidemiologen Alarm schlugen und erklärten, dass man damit bis zu Hunderttausende Tote in Kauf nähme, war man zu einer Korrektur bereit. Jetzt wurden plötzlich Versammlungen jeglicher Art untersagt, Bildungseinrichtungen geschlossen und Kontakteinschränkungen eingeführt, die wir heute noch haben…
Wenn man aber genauer hinsieht, ist diese Politik der bewussten Durchseuchung der Bevölkerung in Deutschland bis heute nicht aufgegeben worden. Die ergriffenen Maßnahmen dienen ja ganz offiziell nur dazu, die Ansteckungszahlen niedrig zu halten, um das Gesundheitswesen nicht zu überfordern. Die Infektionen und damit auch das Sterben können daher – wenn auch auf niedrigem Niveau – ruhig weitergehen. An einen Sieg über das Virus, wie er in China errungen wurde, denkt hier niemand. Die Frage drängt sich daher auf: Wer ist der Barbar? China oder der Westen?
… Demonstrationen und Versammlungen untersagt man gegenwärtig deshalb, weil es dabei notwendigerweise zu unzähligen engen Kontakten zwischen Menschen kommt. Und sie begünstigen nun einmal Ansteckungen extrem. Diese Gefahr besteht ja ebenso unter Zuschauern bei Sportveranstaltungen, Konzerten, Theateraufführungen, bei den Besuchern von Messen, Gottesdiensten usw. Auch die hat man ja alle deshalb untersagt. Das sind Einschränkungen, die ausgesprochen sinnvoll sind und die das Bundesinfektionsschutzgesetz im vorliegenden Fall einer Pandemie ausdrücklich auch vorsieht. Wer diese Zusammenhänge nicht versteht oder verstehen will, der muss sich eben von der Polizei belehren lassen. Und das zu Recht, denn er gefährdet die Gesundheit und das Leben unzähliger Menschen! Die Partei DIE LINKE sollte sich daher nicht mit solchen Anarcho-Libertären gemein machen, die Woche um Woche auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz die Staatsgewalt mit sogenannten „Hygiene-Demonstrationen“ herausfordern wollen und dabei „Toilettenpapier für alle!“ rufen. Solcher Ulk ist nicht lustig, sondern hochgefährlich! Und er ist auch alles andere als links, denn links ist zunächst und vor allem einmal, wer das Recht auf Leben verteidigt…
Es ist zu befürchten, dass jetzt ausgerechnet jene von der Krise profitieren, die – wie beschrieben – über Monate hinweg sträflich versagt haben und damit für die heutige katastrophale Situation verantwortlich sind. Dies sind die Parteien der Bundesregierung und hier in erster Linie CDU und CSU. Ihnen wird jetzt vertraut, da sie gegenwärtig einiges richtig machen, etwa rigide Maßnahmen zumindest zur Eindämmung der Pandemie ergreifen. Die klare Mehrheit der Menschen will jetzt in der Not einen starken und handlungsfähigen Staat sehen. Die Partei DIE LINKE hat diesen Menschen aber wenig anzubieten. Sie hat sich in weiten Teilen in eine Bürgerrechtspartei gewandelt, die den Grünen nacheifert. Sie ist verfangen in ihrer Ideologie von „No Border – No Nation“. Damit ist aber jetzt und wahrscheinlich für lange Zeit – im wahrsten Sinne des Wortes – kein Staat zu machen. «
Damit ist der absolute Tiefpunkt erreicht. Der Ruf nach dem starken und handlungsfähigen Staat in Zeiten der Wirren hat in den dreißiger Jahren den Faschismus hervorgebracht. Wer heute genauso argumentiert und zudem Antirassismus denunziert, spielt mit dem Feuer.
Folgerichtig ist, daß das Marx-Engels-Zentrum nun eine Veranstaltung anbietet zum Thema "Noch einmal davongekommen? Über den Umgang mit der Corona-Krise in der Bundesrepublik Deutschland".
In der Einladung heißt es
»Aufgrund der bestehenden Hygienebestimmungen können wir leider nicht mehr als 12 Teilnehmer zulassen.
Beachtet bitte, dass im MEZ die Maskenpflicht gilt.«
Was unter anderen Umständen nicht zu beanstanden wäre, muß im Zusammenhang mit oben Erwähntem als öffentlicher Kotau gelesen werden.
Es ist kein Zufall, daß das MEZ nicht für die große Aktion von #unteilbar wirbt. Schließlich könnte da gegen geheiligte Regeln verstoßen werden.
(Hervorhebungen nicht im Original)
Beste Analyse:
"Weder Verschwörung noch Zufall: Was war die Corona-Krise?"
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/corona-krise-verschwoerung-oder-zufall-weder-noch-li.2256408