Das größte und modernste Solaranlagenwerk Europas im sächsischen Freiberg wird geschlossen. 500 Beschäftigte können sehen, wo sie bleiben, der Konzern Meyer Burger sieht in den USA bessere Anlagemöglichkeiten. Die Politik greint, die "taz" fordert neben "Kanonen statt Butter" Steuergeschenke für die Sonnenindustrie.
1897 prägte der kaiserliche Staatssekretär von Bülow und spätere Reichskanzler den Begriff, der seitdem für deutschen Kolonialismus und Militarismus steht: "Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne." Deutschland war bei der Aufteilung der Welt ins Hintertreffen geraten und strebte an, den wenigen bislang geraubten Gebieten weitere hinzuzufügen. Der Ausgang ist bekannt.
Wenn das Säbelrasseln auch lauter und bedrohlicher wird, so wird der Kampf um die Plätze an der Sonne zwischen den imperialistischen Blöcken heute vornehmlich wirtschaftlich ausgetragen.
Relativ neu ist, daß die alten Kolonien, vor allem China, dabei mitmischen können. Sie sitzen auf den Rohstoffen, die die alten Mächte dringend für ihre Entwicklung benötigen. So müssen die ehemaligen Kolonialherren ihrerseits Bücklinge dort machen, wo sie vor nicht allzu langer Zeit ihre Ansprüche mit Kanonenbooten oder Putschen durchsetzen konnten. Sie schicken noch immer ihre Zerstörer und Fregatten, doch haben diese Aktionen zwar durchaus destruktives Potential, zugleich aber das Operettenhafte, das untergehenden Reichen anhaftet.
Was hat das mit Freiberg zu tun?
Ob aus Einsicht, aus Verzweiflung oder mit dem Kalkül neuer Geschäftszweige – der zur Zeit tonangebende Flügel des internationalen Kapitals hat sich darauf verlegt, die extraktivistische Wirtschaftsform durch vermeintlich weniger umweltschädliche grüne Technologien schrittweise abzulösen. Ein Kernstück dabei ist die Solarenergie.
Der Schweizer Konzern Meyer Burger eröffnete im Mai 2021 mit großem Tamtam in Anwesenheit von Ministerpräsident Kretschmer "und weiteren hochkarätigen Gästen aus Politik und Wirtschaft" die Produktionsstätte in Freiberg (meyerburger.com, 26.5.21) – "vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie digital". Neben einem weiteren Betrieb in Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) konnte sie zu günstigen Bedingungen aus der Konkursmasse Pleite gegangener Vorgänger übernommen werden (pv-magazine.de, 31.7.20).
Wie in allen "strukturschwachen" Regionen der Welt bei derartigen Gelegenheiten war die Begeisterung groß. (Wie beim Begriff "sozial schwach" werden die Verursacher der Schwächung versteckt und geschützt.) Was kann es Erstrebenswerteres geben im Kapitalismus als Arbeitsplätze, egal ob für Panzer oder Junk Food, vor allem, wenn sie grün angestrichen werden? Solaranlagen zu bauen, ist dabei wahrlich aller Ehren wert.
Blöd ist, daß dieses Wirtschaftssystem nicht an Umwelt oder Klima interessiert ist, so wenig wie an Gesundheit oder Überwindung des Hungers in der Welt. Sein Kriterium ist der Profit; ob seine Quellen grün oder braun oder andersfarbig sind, ist völlig nachrangig. Hin und wieder können Staaten und Staatengruppen steuernd eingreifen, indem sie eine gewisse Gewinnmarge garantieren. Nur gibt es das leidige Problem der Konkurrenz, die trotz aller Monopolisierungstrends eine Kernfunktion des Kapitalismus ist. Konkret heißt das: China kann effizientere und billigere Anlagen anbieten. Und auch die Vereinigten Staaten stecken Riesensummen in die Subventionierung der Produktion in den USA.
Folgerichtig hat sich der Konzern, der wie alle anderen von "nationaler Verbundenheit" nichts wissen will und auch gar nicht anders kann, für die Annahme eines Dollar-Angebots entschieden, das er nicht ablehnen konnte. Das Unternehmen bekräftigt, es wolle "vom hochattraktiven US-Markt profitieren", teilt n‑tv.de am 23.2.24 unter der Überschrift "Meyer Burger macht kurzen Prozess" mit.
Unverhohlene Erpressung
Seit Monaten spricht die Unternehmungsleitung von der Schließung des Standorts. Nun fährt sie nach Gutsherrenart fort, was mdr.de unter der makabren Zwischenüberschrift "Noch ist die Tür nicht ganz zu" so formuliert:
»Sollte es bis zum 14. März einen Beschluss über Resilienzboni oder vergleichbare Hilfen geben, um wieder faire Wettbewerbsbedingungen zwischen chinesischen und europäischen Produzenten herzustellen, bestehe die Möglichkeit, das Werk in Sachsen zu erhalten. Es sei schließlich supermodern, sehr effizient und die Belegschaft erfahren und hochmotiviert. Die Produktion könne dann bis zum Herbst schrittweise wieder hochgefahren werden. Handele die Politik nicht, werde der Standort definitiv und dauerhaft geschlossen.«
Die Reaktionen sind die zu erwartenden. Wie in allen "strukturschwachen" Regionen der Welt, die nur wenige Kampferfahrungen haben, kommt es vor Ort zur Unterwerfung. Ganz ähnlich der AfD, deren Antwort auf die Frage nach den Verantwortlichen für Probleme jeglicher Art stets "Ausländer" lautet, erklärt Freibergs Oberbürgermeister Sven Krüger:
»… [Die] Bundesregierung lässt zu, dass chinesische Hersteller mit nicht kostendeckenden Preisen den heimischen Solarmarkt zerstören…
Dabei steht für mich außer Frage, dass die zerstörerische Preispolitik der chinesischen Solarindustrie nicht der letzte Angriff auf heimische Produktionen oder Industrien sein wird und damit die Deindustralisierung Deutschlands und Europas unaufhaltsam weitergeht.
Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich für gleiche Bedingungen im Solarmarkt hier in Europa zu sorgen, die zerstörerische Preispolitik chinesischer Hersteller zu stoppen und sich für die Zukunft von Schlüsseltechnologien in Europa einzusetzen und damit die Arbeitsplätze zu sichern.
Die notwendigen Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ich unterstütze den CEO von Meyer Burger, Herrn Dr. Gunter Erfurt, bei seinem Bemühen, das Werk und die Arbeitsplätze in Freiberg und damit in Deutschland zu erhalten.«
freiberg.de (17.1.24)
Ähnlich klingt er am 23.2.24 (freiberg.de), noch nach der Entscheidung des Konzerns. Der Reflex gestandener Linker läßt "Klassenverrat!" rufen, die Erfahrung fragt: Welche Chancen hat die Arbeiterbewegung bei geringem Organisationsgrad und nach jahrzehntelanger Gehirnwäsche? Danach waren ihre einst sicheren Arbeitsplätze mit Stasi und Diktatur erkauft, während die wirtschaftlichen Verheerungen nach der Wende der, bitte schön, gerne gezahlte Preis für Freiheit und Demokratie seien.
Doch warum reicht es nicht, Investoren goldene Teppiche auszurollen und demütig ihre Bedingungen zu akzeptieren? Warum muß es gleich in Nationalismus ausarten? Auch MP Kretschmer stößt ins gleiche Horn:
»"Es ist unerträglich, dass trotz Solarboom die deutsche Industrie so in Bedrängnis gerät. Wir haben als deutsche Ministerpräsidenten einen konkreten Vorschlag für den Schutz der heimischen Wirtschaft unterbreitet", sagte der CDU-Politiker.«
t‑online.de (24.2.24)
Die kurze Antwort: Wer verhindern will, daß von seinen Fehlentscheidungen gesprochen wird, baut einen äußeren Gegner auf. Das kann ein Virus sein, ein russischer Autokrat oder die wirtschaftlichen Emporkömmlinge in China. In allen Fällen muß sich das Volk der Deutschen zusammenschließen und für Gesundheit, Freiheit und Selbstbestimmung einstehen.
Eine ausschweifendere Variante: Wir sollen vergessen, daß die Drohung mit Produktionsverlagerung und ihre Umsetzung, sollten die geforderten staatlichen Zuschüsse nicht umgehend geliefert werden, zum Standardrepertoire der Unternehmen weltweit gehören. Niemals brauchte es dafür Lieferkettenprobleme wegen eines Virus, einen russischen Despoten oder erfolgreiche chinesische Unternehmen. Biontech läßt inzwischen in Großbritannien entwickeln, weil dort Kontrollen und Auflagen lockerer sind. Hunderte Millionen Subventionen aus der deutschen Steuerkasse und Milliardengewinne durch deusche Regierungs-PR erzeugen keine Anhänglichkeit; selbst das Bundesverdienstkreuz für die HeldInnen der Pandemie hilft da nicht. Üblicherweise ist die Begründung aber schlicht die: Woanders verkaufen die Leute ihre Arbeitskraft billiger. Das schöne Bild der Volksgemeinschaft und ihrer guten "Arbeitgeber" soll jedoch aufrecht erhalten werden. Deshalb steht auch hier der Gegner jenseits der Grenzen.
"Die Linke macht Schuldenbremse für Schließung verantwortlich"
Es kann nicht überraschen, daß solche Töne von rechts wie von ganz rechts kommen. Und nur, wer die Entwicklung der Linkspartei verschlafen hat, mag sich wundern über den inhaltlichen Absturz der Partei, die groß und verankert war, als sie noch um Arbeitsplätze und gegen die gezielte Diskriminierung fast der gesamten vormaligen DDR-Bevölkerung kämpfte. Ebenfalls laut t‑online.de ist von ihrem Vorsitzenden zu hören:
»Die Schuldenbremse müsse zumindest ausgesetzt werden, damit Deutschland in den sozial gerechten Umbau der Wirtschaft investieren könne. Bundeskanzler Olaf Scholz solle dafür seine Richtlinienkompetenz einsetzen, forderte Schirdewan. Zur Förderung der Solarbranche unterstützte er die Idee eines Bonus für die europäische Produktion.«
Ist das billig? Ja, das ist billig. Die Schuldenbremse, von der Linkspartei überall lautlos akzeptiert, wo sie mitregiert(e), und leider, leider als Begründung herhalten mußte für Kürzungen aller Art, soll nun ausgesetzt werden. Das Instrument, das aller ideologischen Verkleidung zum Trotz genau zu diesem Zweck geschaffen wurde, soll nicht etwa auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Nein, es soll ein Stück weit, ein Weilchen ausgesetzt werden, um den sozial gerechten Umbau der Wirtschaft zu gewährleisten. Womöglich lebt Schirdewan nicht im gleichen Paralleluniversum wie beispielsweise Lindner. Daß seine Lebenswelt mit der der Menschen ohne Diäten, die jeden Tag ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, nichts zu tun hat, ist offenkundig. Allen Ernstes verlangt er vom Doppel-Wumms-Zeitenwende-Kanzler, zum Behufe der sozialen Gerechtigkeit seine Richtlinienkompetenz einzusetzen. Wofür? Damit europäische Unternehmen, er sollte ehrlicherweise von deutschen sprechen, einen Bonus erhalten.
Ob man (deutsche) Solarzellen für notwendig hält, um "das Klima" zu schützen oder nicht, ob man (deutsche) "Impfstoffe" für unabdingbar für die Weltgesundheit hält oder nicht, so wird an beiden Beispielen deutlich: Wenn es sich in diesen Fällen wirklich um für die Gesellschaft notwendige Aufgaben handelt, dann darf man sie nicht dem Markt und dessen Akteuren überlassen. Sollte die Welt untergehen ohne Solarzellen, dann müssen wir Solarzellen herstellen und das nicht von den Renditeerwartungen privater Unternehmen abhängig machen. Wenn wir Medikamente brauchen, um bedrohliche Krankheiten auszurotten, dann müssen wir sie produzieren. Die Fabriken sind in beiden Fällen vorhanden. Sie müssen nicht in der Hand ihrer offenkundig asozialen Besitzer verbleiben. Belegschaften und sich kundig machende BürgerInnen können sie nach regionalen und gesellschaftlichen Bedürfnissen führen. Sie könnten gemeinsam entscheiden, in welche Bereiche ihre Steuermittel fließen. Dabei kann sogar herauskommen, wir kaufen effiziente Solaranlagen günstig bei den Chinesen und finden etwas, das in Freiberg produziert wird, was vielleicht China oder sonst wer auf der Welt benötigt. Einen Versuch wäre es wert und allemal besser als den vaterlandslosen Gesellen des Kapitals und ihren Geldeintreibern und ‑schleusern die Verfügung weiter zu überlassen.
Zum Abschluß aus einem Kommentar der olivgrünen "taz" vom 26.2.24:
Der "Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren" fordert
»… eine grundsätzliche und überparteiliche Strategie zum Erhalt der industriellen Basis im Land.
Die wird freilich Geld kosten und das wird man woanders einsparen müssen. Wo das möglich ist, muss intensiver diskutiert werden. Der Ökonom Clemens Fuest sagte kürzlich zum Konflikt der Finanzierung von Militär versus Konsum den Satz: „Kanonen und Butter, das wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht.“ Bei diesem Satz kann man getrost das Wort Kanonen durch Industrieförderung ersetzen.«
"Einer der besten Ökonomen" erklärt Frau Lang durchaus verständlich die Welt, bei Frau Illner am 232.24 (youtube.com):
Clemens Fuest gehörte zu den UnterzeichnerInnen des Papiers "Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV‑2 infections" aus dem Dezember 2020, mit dem de facto ein immerwährender Lockdown gefordert wurde. Siehe dazu Drosten und Wieler radikalisieren sich immer mehr.
Das Papier war ein Vorläufer der berüchtigten NoCovid-Initiative, der Fuest führend angehörte, siehe Wenn WissenschaftlerInnen wahnsinnig werden: Zonengrenzen, aber kein Intershop. Noch im April 2021 hielt er im Gegensatz zu vielen anderen Ökonomen daran fest (s. hier). Zugleich nutzte sein Institut Corona als Legitimation für Sozialabbau:
Wegen Corona: Führende Wirtschaftsinstitute fordern höheres Rentenalter – "eleganteste Lösung"
(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)
@aa:
Danke für die Erinnerung an das 2020-Jahresend-GaGa!
Schon der erste Satz des Lancet-Artikels
"Across Europe, the COVID-19 pandemic is causing excess deaths"
erzeugt bei mir jetzt Zyklen aus Schmunzeln, Hohngelächter und Wut, die (wenn ich den Artikel damals gelesen hätte) ausgeblieben wären, da ich – trotz fehlender "excess deaths" in meinem überschaubaren Umfeld – davon ausging, dass es sich um harte Zahlen handelte, deren "cause" tatsächlich eine "pandemic" (mit gewissem "panic"-Anteil) war.
Eine Mischung aus Harmoniebedürfnis und der Prämisse, dass ein solcher "Aufruf" ausschließlich von vernunftbegabten "homo sapiens sapiens mult." erdacht und verfasst werden kann, hätte meinen Fokus wohl auf die darin enthaltenen "vernünftigen" Aspekte gelegt, nämlich der (sogar "vor-pandemischen") Erkenntnis, dass "consequential damage to health, society, jobs, and businesses" zu vermeiden/minimieren seien.
Diese waren ohnehin im selbigen Jahr sogar in den Zentralorganen der Rechtgläubigen immer wieder mal en vogue:
https://www.spiegel.de/psychologie/coronavirus-auswirkungen-des-corona-lockdowns-auf-die-psyche-a-2ba964d0-1538–45a9-ba88-c7581c924674
Dass sich die Rechtgläubigen (a posteriori) auf Hilfskonstrukte (wie ein bayrisches Bad-Kaff) zurückziehen
https://kodoroc.de/2024/01/21/dann-kam-die-pandemie/
um ihre (mittlerweile) widerlegte Ausgangsthese zumindest ein bisschen aufrechterhalten zu können ist verständlich, angesichts ihres jahrelangen fanatischen Glaubenskriegs – incl. heiliger Inquisition – allerdings ebenso erbärmlich wie der Lancet-"Aufruf" im nachhinein wirkt.
Deren letzte Verteidigungslinie wird in dieser Generation allerdings kaum mehr zu überwinden sein: dass es dann eben doch die "Maßnahmen" gewesen seien, die die "excess deaths" verhindert hätten.