Prof. Michael Wolffsohn versteht es schon lange, sich mit Provokationen in die Medien zu bringen. Der lange Jahre an der Münchener Bundeswehrhochschule Lehrende tritt dabei als ganz rechts-konservativer "deutsch-jüdischer Patriot" auf. Bevor hier auf seinen Kommentar in der "Berliner Zeitung" vom 28.2.24 unter dem Titel "Die Berlinale als Nahost-Posse: Von dummen Jubeldeutschen und nützlichen Idioten der Hamas" eingegangen wird, sei auf seine Positionierung aus dem Jahr 2004 verwiesen, aus deren Aufbau mehr noch als der Aussage ein Muster erkennbar wird.
"Als eines der Mittel im Kampf gegen den Terrorismus halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim."
Das hatte er am 5.5.2004 bei "Maischberger" vertreten (spiegel.de, sueddeutsche.de). Pflichtgemäß empörte sich die Politblase öffentlich, Wolffsohn hatte wohl einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Der Pranger, an dem die BRD dreißig Jahre zuvor international stand, als ihr weltweit Isolationsfolter der RAF-Gefangenen vorgeworfen wurde, sollte im Vergessen bleiben. Deshalb endete der Eklat überaus schnell. Zwei Wochen später kam es zu einem Treffen mit dem damaligen Verteidigungsminister Struck, nach dem sich Wolffsohn "völlig rehabilitiert" sah (spiegel.de).
Und Wolffsohn legte nach. Aus der Kritik an einer verfassungswidrigen und dem Völkerrecht Hohn sprechenden Äußerung konstruierte er einen antisemitischen Angriff auf das jüdische Volk und ihn als einen Repräsentanten. Er stellte einen ganzseitigen Artikel in der "FAZ" am 28.6.2004 unter die Überschrift "FOLTERDEBATTE. J'accuse!". Selbst bei einem noch so eitlen Historiker ist diese vermeintliche Parallele zu Émile Zolas gleichlautender Kampfschrift anläßlich der antisemitischen Kampagne gegen Alfred Dreyfus Ende des 19. Jahrhunderts ein dreistes Stück. Während Zola von der antisemitischen bürgerlichen Rechten ins Exil getrieben wurde, setzte der bürgerliche Rechte Wolffsohn seine Karriere bei der Bundeswehr und in den Medien bis zu seiner Pensionierung fort.
Seine Selbstinszenierung führt er weiter mit den einleitenden Worten des Artikels:
»Es war einmal ein total assimilierter Jude, der 1860 in Budapest geboren wurde, erstmals 1897 keinen Weihnachtsbaum aufstellte, sondern Kerzen des neunarmigen Chanukka-Leuchters anzündete, deutsch-österreichischer Patriot war und Zionist wurde – der Zionist: Theodor Herzl. Seines hundertsten Todestages gedenken wir in diesen Tagen.
Es war einmal ein 1947 in Israel geborener deutsch-jüdischer Patriot, der trotzdem Zionist im Sinne fester Israel-Verbundenheit war und es in jüngster Zeit noch mehr wurde: ich. Nicht aus Unbescheidenheit sei hier von mir die Rede. Meine persönlichen Erfahrungen der jüngsten Zeit verdeutlichen, wie mir scheint, die Gegenwärtigkeit und Wirksamkeit Herzls…«
Bevor er zur inhaltlichen Argumentation schreitet, bringt er diese Beschreibung an, die dazu nicht zu passen scheint:
»Wir [bleiben] für Deutsche und andere Nichtjuden "die Juden", also doch Die-irgendwie-Anderen. Und wir selbst? Auch wir, seien wir noch so "deutsch" oder "englisch" oder "amerikanisch" oder "französisch", auch wir verstehen uns nicht zuletzt als Juden, als "Juden in Deutschland" oder "deutsche Juden" oder "deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens".
Unser Irgendwie-Anderssein wollen wir selbst nicht ablegen, selbst wenn es die anderen zuließen. Doch sie lassen es nicht zu, auch unsere besten Freunde nicht, die wirklichen ebenso wie die vermeintlichen Freunde. Wir sind wie die anderen und sind doch anders. Wir wollen das, und die wollen das.«
Seine Kernthese lautet dann:
»"Die Deutschen", jawohl, die meisten Deutschen, also "die" Deutschen, sagen nach dem Holocaust auch "Nie wieder!". Doch sie meinen: "Nie wieder Täter!". Deshalb lehnen sie Gewalt als Mittel der Politik kategorisch ab. Das ist ebenso verständlich wie sympathisch und bringt sie uns näher. Meinen sie, hoffen sie. Das Gegenteil ist der Fall.
Wie die Deutschen aus ihrer Geschichte lernten, nie wieder Täter sein und Gewalt anwenden zu wollen, so haben wir Juden gelernt, daß wir Gewalt anwenden müssen, um nicht und nie wieder Opfer zu sein.«
Der letzte Gedanke ist nachvollziehbar. Die Eingangsbehauptung dagegen ist, vor allem aus dem Mund eines Bundeswehr-Lehrenden, eine Lüge. Nicht nur die Beteiligung am Zweiten Golfkrieg 1991 und am Angriff auf Jugoslawien 1999 belegen das. Davon unabhängig bleibt die Berechtigung der Position: Nach Jahrhunderten der Verfolgung und dem industriellen Massenmord der Nazis werden wir nicht zulassen, jemals wieder Opfer zu sein. Wie problematisch die Umsetzung eines solchen Prinzips sein kann, wird auch an der Politik der russischen Führung erkennbar, die mit einer ganz ähnlichen Argumentation – die Völker der Sowjetunion waren wie die Juden und Jüdinnen Opfer der rassistischen Vernichtungsfeldzüge – ein "Nie wieder!" postuliert.
"Eine Hetzjagd begann"
Bevor er von dieser Grundhaltung auf die Berechtigung von Folter kommt, formuliert Wolffsohn unter der Zwischenüberschrift "Haß jenseits analytischer Kritik" einen Rundumschlag gegen seine Kritiker. Westerwelle war "zunächst bedenklich passiv geblieben" gegen Möllemann, die PDS nahm ihm übel, daß er "die antisemitische Juden- und Israel-Politik der DDR" dokumentiert habe, die SPD verübelte ihm seine Behauptung, Saddam hätte über Massenvernichtungswaffen verfügt, weshalb er "den Waffengang positiv bilanziert" hatte, Joschka Fischer habe sich zwar "wie sonst kaum jemand in Deutschland für Israel engagiert", verkörpere aber als ehemaliger Gewalttäter "die Botschaft an die gegenwärtigen Nazis…: heute Gewalttäter, morgen oder übermorgen Bundesminister".
Lassen wir dahingestellt, auf welcher Seite hier Haß jenseits analytischer Kritik vorliegt.
»Man hatte also gute Gründe, gegen mich als Ruhestörer, jüdisch oder nicht (wenngleich vor allem jüdisch motiviert), vorzugehen und meinen Kopf zu fordern, meine beamtete Professur einzufordern, also meine und meiner Familie Existenzgrundlage zu zerstören…
Eine Hetzjagd begann, und dabei waren die Jäger bereit, sich sogar über Artikel 5 des Grundgesetzes hinwegzusetzen, der die Meinungsfreiheit sowie die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert…
Angehörige der Bundesregierung geben einen ihrer Bürger, zumal einen jüdischen, regelrecht zum Abschuß frei…
Braune und islamistische Terroristen fühlten sich von echten deutschen Demokraten ermutigt…«
"Das galt dem Juden"
Wolffsohn führt Stimmen an, die gleich ihm die Relativierung von Grundrechten befürworteten: den Soziologen Niklas Luhmann, den Grundgesetzkommentar "Maunz-Dürig-Herzog" von 2004, der Folter legalisiert habe, und Otto Schily, der bereit gewesen sei "die Todessehnsucht von Terroristen zu erfüllen". Nur er, der Jude, sei aber kritisiert worden. Pikant ist, was Wolffsohn damals noch nicht wissen konnte: 2021 verzichtete der C.H. Beck Verlag darauf, den Kommentar nach dem frühen NSDAP- und SA-Mitglied Maunz zu benennen; auch weitere Altnazis wurden bei der Namensgebung getilgt, was allerdings nichts an den Inhalten änderte (haufe.de, 1.8.21). Nicht nur das, Ergebnis einer jahrelangen Kritik am Verlag, verweist die Behauptung in das Reich der Legenden: "Kaum jemand hat sich über jene Gedanken und Handlungen der erwähnten Nichtjuden aufgeregt. Nur mein Nachdenken löste eine Haupt- und Staatsaktion aus."
Die Jäger und die Tradition des Abendlands
Triumphierend kann Wolffsohn feststellen:
»Die meisten meiner Jäger haben am 18. Juni 2004 (zu Recht und dankenswerterweise) das "Luftsicherheitsgesetz" und das Gesetz zur nächträglichen [sic] Sicherungsverwahrung im Bundestag verabschiedet. Das alles betrifft Legalität und geht erheblich weiter als mein Nachdenken über die Legitimität der Folter in Notwehrsituationen. Mein Nachdenken steht in der ethischen Tradition des Abendlands. Ich nenne die Stichworte: Tyrannenmord, Widerstandsrecht (Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz), finaler Rettungsschuß. Gibt es Denkverbote in Deutschland?«
Einige ethische Traditionen des Abendlands hat er unterschlagen. Etwa die Hexenverbrennungen und die Folter der Heiligen Inquisition, aber auch die Terrorstätten in den NATO-Ländern Spanien, Griechenland und Portugal sowie die US-Geheimgefängnisse im "Kampf gegen den Terror" und die nach US-Recht legale Folterstation Guantanamo.
Der demagogische Schluß lautet:
»... Jüdische Ruhestörer sind auszuschließen, so die Sicht der nichtantisemitischen nichtjüdischen Entscheidungsträger, oder gar abzuschießen, so die ewige Sicht der Ewigen Antisemiten.
Daran hat sich seit Herzl nichts geändert. Das beklagen wir, das beklage ich, und deshalb klage ich an, wie Herzls Zeitgenosse Émile Zola am 13. Januar 1898 im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre. "J'accuse … !" Ich klage an.«
"Sympathiekundgebungen für die Mordorgien der Hamas-Täter"
So, wie er vor 20 Jahren das Selbstverteidigungsrecht des jüdischen Volkes als alleinige Maxime allen anderen Rechten gegenüberstellte, negiert er heute die Rechte der nichtjüdischen Bevölkerung in Palästina und Israel. Er diskutiert nicht die Dilemmata, die sich aus dem Existenzrecht Israels und dem Palästinas ergeben, sondern verharrt ganz ähnlich wie die Hamas bei unhistorischen Schwarz-Weiß-Bildern. Liest man ihn, so muß man vermuten, die Palästinenser hätten die Gaskammern errichtet und nicht die Deutschen, in deren kaum verarbeiteten (militärischen) Tradition seine Bundeswehrhochschule steht, und es gebe keine rechtsradikalen und rassistischen Minister in Israels Regierung. Es kann und soll nicht um das Aufrechnen des Terrors der Hamas und dem der israelischen Armee gehen, sondern um die Lügen, die von Wolffsohn in der "Berliner Zeitung" verbreitet werden:
»… Indem sie mehrfach (nicht nur bei der Preisverleihung) einseitige, kontextfreie Sympathiekundgebungen für die Mordorgien der Hamas-Täter und gegen die sich wehrenden israelischen Opfer unwidersprochen und sogar bejubelt gewähren ließen, entblößten sie die nicht vorhandene Substanz ihrer geschichts- und tagesethischen Positionen…
Dass die Berlinale, die Preis-Gala und besonders das Publikum das Leid der Gaza-Palästinenser thematisierten, ist in dieser Wucht zwar ungewöhnlich, aber weder unmoralisch noch pietätlos. Es ist verständlich. Selbst einen Steinwurf vom Holocaust-Mahnmal entfernt. Das Palästinenser-Leiden kann aber unverzüglich aufhören, wenn die Hamas kapituliert und die israelischen Geiseln freilässt. Die Palästinenser wären dann von ihrer Führung befreit, welche – wie einst die Nazis – die eigene Bevölkerung als Kanonenfutter missbraucht. «
Pietätlos ist die Erwähnung des Holocaust-Mahnmals. Sie ist so demagogisch wie der ähnliche Vorwurf in zahlreichen Medien, daß Corona-Demonstrationen "ausgerechnet" an diesem Mahnmal vorbeiführten. Verblüffend ist die Verve, mit der die Kapitulation der Hamas als Lösung des Problems benannt wird, angesichts der herzzerreißenden Bekenntnisse der Nomenklatura zum Kampf bis zum Sieg der keineswegs als Kanonenfutter mißbrauchten ukrainischen Bevölkerung bei der Eröffnung der Berlinale.
Der sich vor zwanzig Jahren als "Gejagter" halluzinierte, gibt jetzt den Richter:
»Unter den Politik-und-Kultur-Hegemonen gibt es zwei Kategorien: Die einen kennen diese Elementargesetze der asymmetrischen Kriegsführung nicht und die anderen wollen sie – Aus Hass auf Israel oder gar „die“ Juden? – nicht kennen.
Daraus folgt: Jene sind nützliche Idioten der Hamas-Terroristen und diese subjektiv Antizionisten und objektiv als solche Antisemiten…
Wenig Empathie in Berlin? O ja, wie sonst kann man extrem Antijüdisches in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Mahnmals erklären? Selbst der Regierende und die Staatsministerin für Kultur beklatschten manche der antiisraelischen Tiraden…«
Die Elementargesetze der asymmetrischen Kriegsführung heißen für ihn: "Das eigene Zivil wird regelrecht verheizt."
So dumm wie seine Jubeldeutschen ist auch der israelische Preisträger
Jenseits der unpassenden Kalendersprüche hat Wolffsohn hier Recht:
»Der israelische und der palästinensische Preisträger forderten Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Das deutsche Publikum jubelte. „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Warum? Deutschland ist mehr von Israels Waffen abhängig als Israel von deutschen. Israels Arrow-3-Raketen und Heron-TP-Drohnen schützen Deutschland, und ohne Israel wären Deutschlands Terrorprävention oder IT-Fortschritte quasi nicht existent. „Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“«
Der jüdische Preisträger ist dumm, denn:
»Er beklagte, dass sein palästinensischer Kollege nicht in Israel wählen dürfe. Natürlich nicht, denn der ist Palästinenser, und in Palästina gab es seit 2006 keine Wahlen. Er weiß wohl auch nicht, dass Deutsche nicht in Frankreich wählen dürfen…
Was zu Heines Zeiten für Juden die Taufe als „Entréebillet zur europäischen Kultur“, ist heute der jüdische Antisemitismus oder der israelische Antiisraelismus…«
Um das Mißverständnis zu vermeiden, der Titel bezöge sich auf die Fabeln und Erzählungen, in denen ein Wolf im Schafspelz getötet wird, verweise ich auf den stattdessen gemeinten Text in Matthäus 7:
»Warnung vor falschen Propheten
15 Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen! Inwendig aber sind sie reißende Wölfe. 16 An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Liest man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? 17 So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber der faule Baum bringt schlechte Früchte. 18 Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, noch ⟨kann⟩ ein fauler Baum gute Früchte bringen. 19 Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. 20 Deshalb, an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. 21 Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich[2] der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. 22 Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke[3] getan? 23 Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter!«
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