Zeit für ONCOMA! Rechten nicht auf den Leim gehen

Welche Verantwortung Linke für das Erstarken Rechter haben, war am 31.8.20 unter obi­gem Titel nach­les­bar auf coro​dok​.de. Zum Teil haben sich die Befürchtungen bestätigt:

Ein wach­sen­der Teil der Bevölkerung hält die "Corona-Maßnahmen" nicht mehr für "Schutzmaßnahmen", son­dern für sehr wider­sprüch­lich aus­ge­präg­te staat­li­che Gängelei. Gleichzeitig hal­ten sich Angst und Vorsicht bei einer Mehrheit. Demonstrationen fin­den statt, auf denen sich oft­mals Menschen arti­ku­lie­ren, die bis­lang eher poli­tisch nicht aktiv waren und jetzt ihren Unmut über als unwahr oder ein­sei­tig wahr­ge­nom­me­ne Nachrichten aus Politik und Medien artikulieren.

Sie tref­fen auf eine Linke, die ihre Bedenken nicht ernst nimmt und sie pau­schal in die Ecke von Nazis und Aluhüten stellt. Und sie begeg­nen einer Rechten, die die Vorbehalte auf­greift. Einer ihrer Chefideologen, Martin Sellner von der Identitären Bewegung, hat aus­führ­lich Taktik und Ziel der intel­lek­tu­el­len Nazi-Szene zu die­sem Thema for­mu­liert. Er spe­ku­lier­te am 4.8:

Corona-Bewegung zur "Migrationskritik" wandeln

»Interessant wäre es, fest­zu­stel­len, wie vie­le der Anti-Corona-Demonstranten zum Zenit von PEGIDA auch in Dresden dabei waren. Tatsächlich dürf­te eine spon­ta­ne Befragung der Demoteilnehmer in Berlin mit hoher Wahrscheinlichkeit erge­ben, dass dort eine kri­ti­sche Meinung zur glo­ba­len Migrationspolitik überwiegt…

Die Masse die sich hier sam­melt, hat ein Thema, das es jedem ermög­licht mit­zu­ma­chen, und revel­utio­nä­re [sic] Luft zu atmen, ohne die bren­nen­den Themen wirk­lich anzu­spre­chen. Der Protest kann den schwe­len­den Zorn des aut­hoch­tho­nen [sic] Mittelstands und der Arbeiter sicht­bar machen und sie gleich­zei­tig mobi­li­sie­ren und politisieren…

Was, wenn die­ses laten­te iden­ti­tä­re Potential, auf­bricht und neben dem Thema Corona auch der hei­li­ge Gral der Globalisten, näm­lich ihre Bevölkerungspolitik ins Visier genom­men wird? Bereits jetzt wird die Frage der deut­schen Souveränität in der Verschwörungskritik heiß und teil­wei­se blu­mig diskutiert.
Tatsächlich gibt es hier eine kla­re sach­li­che Verbindung…

Die Gefahr, daß die Coronabeweung [sic] die­ses Thema lang­fri­stig aus­blen­det, ist eher gering. Ebenso wie die AfD vom Eurothema zur Grenzfrage wird die­se Masse mit­tel­fri­stig von der glo­ba­len Gesundheitspolitik bald zur glo­ba­len Migrationskritik kommen…

Was jetzt schon getan wer­den muß und was ich seit Monaten jedem Patrioten emp­feh­le, ist, sich in den Protest ein­zu­brin­gen, nütz­lich zu machen, dort Leute zu rekru­tie­ren und fried­li­che, loka­le Widerstandsnester auf­zu­bau­en. Daß sich eine gro­ße Zahl an Menschen in der Hauptstadt gesam­melt hat, die jeder­zeit in einen migra­ti­ons­kri­ti­schen Sprechchor ein­fal­len könn­te ist ein Risiko für das Experiment der Eliten. Ihre Hoffnung liegt dar­in, daß das den Leuten nicht bewußt wird. Unser Aufgabe lau­tet, es ihnen bewußt zu machen!«

29.8. Testballon der Rechtsradikalen

Am 29.8. war der rech­te Testballon pral­ler gefüllt als am 1.8. Am Rande der Querdenker-Demonstration gab es meh­re­re Kundgebungen der extre­men Rechten. Weder am Brandenburger Tor noch an ande­ren Stellen Unter den Linden fand irgend­ei­ne räum­li­che oder anders­ar­ti­ge Abgrenzung statt. Nicht wie am 1.8. ver­ein­zelt, son­dern in drei­stel­li­ger Zahl wur­den Reichsfahnen auf­ge­fah­ren und gedul­det. Der Zumutbarkeitstest war offen­bar geglückt. Da war eini­ges Murren im Publikum ange­sichts rie­si­ger Fahnen in Schwarz-Weiß-Rot, ger­ne zusätz­lich mit preu­ßi­schem Adler ver­se­hen. Mehr nicht.

Noch kön­nen Neonazis nicht ver­mel­den, daß ihr Lieblingsthema einer "Migrations- und Umvolkungspolitik der Eliten" auf der Bühne und im Publikum laut ange­spro­chen wur­de. Anders steht es schon mit dem von Sellers ange­bo­te­nen Thema der "deut­schen Souveränität". Mehrfach kam auch bei Hauptrednern an her­vor­ge­ho­be­ner Stelle die Reichsbürger-These zur Sprache, wonach die­se Souveränität nach einem zu erkämp­fen­den Friedensvertrag durch eine Volksversammlung zu schaf­fen wäre. Diese Versammlung sol­le das Grundgesetz abschaf­fen und durch eine "wirk­li­che" Verfassung ersetzen.

Intelligenter Antifaschismus

Nun sind Reichsbürger nicht iden­tisch mit Nazis, und Sellner zeigt auf, daß die Souveränitäts-Frage für letz­te­re auch nur ein Vehikel ist, um ihre ras­si­sti­sche "Migationspolitik" popu­lär zu machen. Daß Nazis ihre Finger im Spiel haben, wird aber spä­te­stens beim "Sturm auf den Reichstag" deut­lich (der aller­dings eher einer ange­nom­me­nen Einladung der Polizei und des Innensenators glich). Insofern haben das Ausschwitz-Komitee und AntifaschistInnen Anlass zu Besorgnis.

Allerdings haben sich die gegen­de­mon­strie­ren­den Teile der Antifa (es gibt zum Glück ande­re) nicht nur extrem dumm ver­hal­ten, son­dern sich auch noch unglaub­wür­dig gemacht mit der pau­scha­len Beschimpfung aller Demonstrierenden. Was not tut, ist Aufklärung statt Diffamierung. Es kann die These gewagt wer­den, daß Sellner irrt und der über­wie­gen­de Teil der Menschen auf den Straßen weder etwas mit Reichsbürgern noch mit Pegida am Hut hat.

Es ist rich­tig, daß die Linke sich wie­der in ande­re poli­ti­sche Bewegungen ein­bringt (in die­sen Tagen erstarkt die Umweltbewegung wie­der) und sich nicht pro­vo­zie­ren läßt, den Fokus aus­schließ­lich auf "Corona" zu rich­ten. Die berech­tig­te Kritik an Meinungsmache der Medien, an sozia­ler Spaltung durch die Regierungs-Maßnahmen, am nicht zu recht­fer­ti­gen­den Aufrechterhalten eines unde­mo­kra­ti­schen Notstandsregimes darf sie nicht den Rechten über­las­sen. Am Rande ste­hen und "Nazis raus" rufen, wird sie wei­ter isolieren.

ONCOMA – "Ohne Nazis gegen die Corona-Maßnahmen"

Die Linke braucht etwas wie ONCOMA – "Ohne Nazis gegen die Corona-Maßnahmen". Der in die­ser Frage nicht para­ly­sier­te Teil der Linken soll­te Forderungen dazu aus eman­zi­pa­to­ri­scher Sicht, aus der von Opfern der Maßnahmen im Inland wie im "glo­ba­len Süden" for­mu­lie­ren. Sie soll­te Kinder und Alte, Prekarisierte und Hungernde in den Blick neh­men und nicht aus­schließ­lich auf "Fallzahlen" star­ren. Damit kann sie die Ungerechtigkeiten einer kapi­ta­li­sti­schen Weltwirtschaft benen­nen und Angebote machen, wie sie zu bekämp­fen ist.

(Hervorhebungen nicht im Original.)

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