Vom 11.5.20 auf corodok.de:
Kaum Interesse an Studie
Schon Anfang Mai machte deutsche-apotheker-zeitung.de auf eine Studie aufmerksam, die wie alle nicht die RKI-Position vertretenden kaum Beachtung findet. In dem Beitrag heißt es:
'Sechs im Gesundheitswesen nicht unbekannte Experten haben es sich bereits vor einigen Wochen zur Aufgabe gemacht, in einem Thesenpapier die epidemiologische Problemlage zu klären und Vorschläge zur Prävention zu machen. Mit Professor Matthias Schrappe und Professor Gerd Glaeske zählen zwei ehemalige Mitglieder des Gesundheitssachverständigenrats zu dieser Autorengruppe; zudem Hedwig François-Kettner, ehemalige Pflegedirektorin der Charité und bis vergangenes Jahr Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Professor Holger Pfaff, ehemaliger Vorsitzende des Expertenbeirats des Innovationsfonds, Dr. Matthias Gruhl, Arzt und Staatsrat der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz und Franz Knieps, Jurist und Vorsitzender des BKK-Dachverbandes…
Konkret stellten die Autoren in ihrem ersten Papier drei Thesen auf. Zum ersten die, dass es keine hinreichende epidemiologische Datenlage gebe – somit könnten die zur Verfügung stehenden Daten auch nur eingeschränkt der Absicherung weitreichender Entscheidungen dienen. Zum zweiten seien auch die allgemeinen Präventionsmaßnahmen (z. B. social distancing) theoretisch schlecht abgesichert; ihre Wirksamkeit sei beschränkt und zudem paradox (je wirksamer, desto größer ist die Gefahr einer „zweiten Welle“) und hinsichtlich ihrer Kollateralschäden nicht effizient. Analog zu anderen Epidemien (z. B. HIV) müssten sie daher ergänzt und allmählich ersetzt werden durch Zielgruppen-orientierte Maßnahmen, die sich auf die vier Risikogruppen hohes Alter, Multimorbidität, institutioneller Kontakt und Zugehörigkeit zu einem lokalen Cluster beziehen. Zum dritten stellten die Autoren die These auf, dass die angewandte allgemeine Präventionsstrategie (partieller shutdown) anfangs in einer unübersichtlichen Situation das richtige Mittel gewesen sein möge – sie berge aber die Gefahr, die soziale Ungleichheit und andere Konflikte zu verstärken. Grundsätze und Bürgerrechte dürfen nicht gegen Gesundheit ausgespielt werden…
[Es gelte die Erkenntnis,] dass SARS-CoV‑2/Covid-19 „eine typische Infektionskrankheit darstellt, die bestimmte Eigenschaften und – natürlich – enorme Auswirkungen auf die Gesundheit, auf die Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung und auf die sozialen Systeme haben kann“. Allerdings stelle sie keinen Anlass dafür dar, „in quasi metaphysischer Überhöhung alle Regeln, alles Gemeinsame, alles Soziale in Frage zu stellen oder sogar außer Kraft zu setzen“, heißt es im Papier…
Um ein aussagekräftiges Bild zu haben, so die Autoren, müsste die Zahl der täglichen Neuinfektionen ergänzt werden um die Zahl der im gleichen Zeitraum getesteten Personen. Zudem bemängeln die Experten, dass die Zahl der asymptomatisch Infizierten unter den Getesteten nicht ausgewiesen ist. Auch die berichtete Zahl der Genesenen sei irreführend, ebenso die der Sterbefälle, da der Bezug hier fehle…
Was das Kapitel der Prävention betrifft, so sind die Autoren überzeugt, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, die bisherige Strategie des Lockdowns grundlegend zu überdenken. Dessen positive Auswirkungen seien schwer abzuschätzen. Dafür gebe es unerwünschte Nebeneffekte: So sei infolge der Umorganisation von Krankenhäusern und Praxen die Versorgung von Krankheiten zurückgedrängt worden, die nicht im Zusammenhang mit COVID-19 standen. Nicht zu unterschätzen seien zudem die psychosozialen Folgen der eingeschränkten Freizügigkeit, die über zunehmende häusliche Gewalt bis hin zu Erkrankungen und Tod führen könnten.
Eine recht klare Meinung haben die Autoren zu Kindern: Sie würden seltener krank (Letalität nahe null) und gäben die Infektion seltener weiter, sodass der Öffnung von Kindergärten und Schulen „unter entsprechender wissenschaftlicher Begleitung nichts im Wege stehen sollte“. Sie empfehlen daher in diesem Bereich eine Rückkehr zu einer „möglichst weitgehenden Normalisierung“. Einen wichtigen Schwerpunkt bei den Präventionsmaßnahmen sollte man hingegen auf Gesundheits‑, Pflege- und Betreuungseinrichtungen legen, da sich SARS-CoV‑2 dort nosokomial und herdförmig ausbreite…
Die abschließenden Thesen befassen sich mit einer angemessenen, transparenten und positiven Kommunikation von Verantwortungsträgern sowie den derzeit stark beanspruchten Grundrechten. Was letztere betrifft, so erinnern die Autoren daran, dass Eingriffe stets einer legitimen Rechtfertigung und eines transparenten Abwägungsprozesses zwischen konkurrierenden Grundrechten sowie zwischen Grundrechten und Schutzpflichten des Staates bedürfen. „Je länger Beschränkungen andauern, desto stärker ist der Zwang zu kontinuierlicher Evaluation speziell in Bezug auf die Beachtung der Verhältnismäßigkeit ausgeprägt“.'
(Hervorhebungen nicht im Original)