SARS-CoV‑2: Ablehnung von Verdienstausfallentschädigungen wegen Quarantäne für Ungeimpfte rechtswidrig

Das hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ent­schie­den, wie er am 27.2.24 mit­teilt. Das Urteil bestä­tigt zwei Entscheidungen von Vorinstanzen, die das Land nicht akzep­tie­ren woll­te. Als beson­de­re Niederlage für Kretschmann/​Lucha muß die Begründung gewer­tet wer­den, die swr​.de am 27.2.24 so zusammenfaßt:

Das Land hat­te laut VGH argumentiert:

»… Die Abgesonderten sei­en zum Zeitpunkt der Quarantäneanordnung nicht (bzw. nicht voll­stän­dig) gegen SARS-CoV‑2 geimpft gewe­sen. Eine Entschädigung sei nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG aus­ge­schlos­sen, da die Absonderung durch die Inanspruchnahme einer öffent­lich emp­foh­le­nen Schutzimpfung habe ver­mie­den wer­den kön­nen. In Baden-Württemberg habe jeder bis zum 15. September 2021 die Möglichkeit gehabt, voll­stän­dig (d.h. mit zwei auf­ein­an­der fol­gen­den Impfungen) gegen SARS-CoV‑2 geimpft gewe­sen zu sein. Wer die Schutzimpfung nicht wahr­ge­nom­men habe, sol­le nicht auf Kosten der Allgemeinheit und zula­sten der Solidargemeinschaft eine Entschädigungszahlung erhal­ten. Dies habe das Sozialministerium durch Pressemitteilung am 02. September 2021 auch an die brei­te Bevölkerung klar kom­mu­ni­ziert und in sei­nen FAQ auf der Homepage ver­öf­fent­licht.«

Dem setzt der VGH entgegen:

»Der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung wegen der Quarantäneanordnung besteht trotz unter­las­se­ner Impfung, weil die zu dem maß­geb­li­chen Zeitpunkt (Oktober und November 2021) zuge­las­se­nen und öffent­lich emp­foh­le­nen Impfstoffe gegen COVID-19 mit einem Schutz vor Übertragung der Infektion von ca. 70% nicht dem anzu­le­gen­den Vermeidbarkeitsmaßstab einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ genü­gen, der zu einem Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG führt.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG ent­hält eine Entschädigung nicht, wer „durch“ die Inanspruchnahme einer öffent­lich emp­foh­le­nen Schutzimpfung eine Absonderung hät­te „ver­mei­den“ kön­nen. Die Vorschrift for­dert einen Ursachenzusammenhang zwi­schen der Inanspruchnahme einer Schutzimpfung und der Vermeidung der zu einer Absonderung füh­ren­den Infektion. Bei der Frage der Vermeidbarkeit kommt es allei­ne auf die Vermeidung der Infektion als Voraussetzung für die Absonderungsverpflichtung und nicht die Erreichung wei­te­rer – wenn­gleich gesell­schaft­lich erwünsch­ter – Ziele wie etwa der Erzielung einer hohen Impfquote an…

Im Allgemeinen [reicht] der Wirksamkeitsgrad einer Schutzimpfung von 90% und mehr aus, um die Rechtsfolge des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG her­bei­zu­füh­ren, ein gerin­ge­rer Wirksamkeitsgrad hin­ge­gen jeden­falls dann nicht, wenn er deut­lich unter 90% liegt. Die vom beklag­ten Land in Bezug genom­me­nen 72% bis 75% an Schutzwirkung vor Übertragungen, die bloß dem Maßstab einer „über­wie­gen­den Wahrscheinlichkeit“ ent­spre­chen, genü­gen folg­lich nicht.

Die Urteile sind nicht rechts­kräf­tig. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wur­de zuge­las­sen und kann bin­nen eines Monats nach Zustellung der Entscheidungen vom Land ein­ge­legt wer­den (1 S 484/​23 und 1 S 678/​23)«

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