Wäre das ein ehrlicheres Bild?
In der jüngsten Ausgabe des Mitgliedermagazins der Gewerkschaft heißt es auf Seite 1 gleich zu Beginn, jetzt müsse die Demokratie "in jedem Betrieb" verteidigt werden. Wovon spricht die Chefredakteurin? Sie wird kaum die Demokratie meinen, die aktuell tausende Mitglieder erleben, die auf Flughäfen und im Nahverkehr streiken müssen wie zuvor die Bahnbeschäftigten, um grundlegende Interessen durchzusetzen. Und sicher nicht die, die Spekulanten wie Benko das demokratische Recht erteilt, Beschäftigte auf die Straße zu setzen, wenn der Gewinn nicht wie erwartet ausfällt.
Meint sie die Demokratie bei Rheinmetall und Heckler & Koch, die den Beschäftigten das Recht gibt, für "unsere Werte" und die Profite der Investoren Mordwaffen herzustellen? Oder den demokratischen Prozeß, mit dem bei SAP, Bayer und der Deutschen Bank trotz sprudelnder Erlöse Arbeitskräfte "freigesetzt" werden?
Jüngst trafen sich im Sinne obiger Phrase beim Bundespräsidenten Gewerkschafts- und Wirtschaftsbosse. Hier wurde die Sprachregelung vereinbart: Es ist die AfD, die Arbeitsplätze gefährdet. Das ist so absurd wie deren Propaganda, Ausländer bedrohten das Sozialsystem.
Man kann spekulieren, ob damit von den Bauerndemos, den miserablen Bewertungen der Regierungsparteien oder deren realer "Remigrationspolitik" abgelenkt werden soll. Nicht zufällig wurde aber sicher gerade jetzt eine Recherche zu einem viele Wochen zurückliegenden Treffen einer Truppe von AfD- und CDU-VertreterInnen mit dem Fascho-Vordenker Sellner veröffentlicht. Wie viele Medien unterschlägt auch das ver.di-Blatt die Anwesenheit der Mitglieder einer "demokratischen Partei". Man liest Parolen, die selbst das windige correctiv-Team so nicht (mehr) vertritt:
»Es scheint, als hätte nur der eine berühmte Tropfen gefehlt. In einer Potsdamer Villa findet Ende November 2023 ein geheimes Treffen von Rechtsextremisten, auch aus höchsten Ebenen der AfD, statt. Ein Reportage-Team des Recherche-Netzwerks Correctiv ist vor Ort, schneidet die Gespräche mit und veröffentlicht Mitte Januar 2024 die Deportationspläne, die die Anwesenden in der Villa schmiedeten. Laut diesen sollen Millionen hierzulande Lebende mit Migrationshintergrund, selbst wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, abgeschoben werden können. Tatsächlich spricht die AfD in ihrem Grundsatzprogramm seit Jahren von der sogenannten "Remigration". Doch in welchem Ausmaß sie sich die Zwangsausweisung von Menschen vorstellt, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.«
Geheim, Villa, Deportation – so lesen sich Versatzstücke aus Verschwörungstheorien. Tatsächlich vertritt Sellner, keineswegs geheim, die Strategie der "Remigration" und begründet sie mit "Islamisierung, Hamas-Demos, Asyl‑, Sozialmißbrauch und Überfremdung" (s. hier). Die Wortwahl, mit der hier eine Personengruppe dämonisiert wird, finden wir bekanntlich auch bei "demokratischen" Parteien und ihrer Presse. Wie sie spricht sich Sellner gegen eine "gewaltsame Vertreibung" aus. Insofern ist kein Unterschied zu den legalen Massenabschiebungs- und Internierungsplänen von CDU/SPD/Grünen/FDP und AfD erkennbar.
"Die meisten Demonstrierenden fordern ein Verbot der AfD", behauptet ver.di und findet das "nicht verkehrt". Vermutlich ebenso wenig wie die fristlose Kündigung des CDU-Mitglieds und NRW-Chefin der "Werteunion", die arbeitsrechtlich kaum Bestand haben wird. Sie war Teilnehmerin des Potsdamer Treffens. Nicht unglaubwürdig berichtet der WDR darüber:
»Baum habe in ihrem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie dort nur Themen gehört habe, über die Bundes- und Landespolitiker von SPD bis CDU auch bereits vielfach gesprochen hätten – etwa die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber oder sogenannter Clan-Krimineller.«
Inzwischen gibt es weitere Berichte über Treffen von "honorigen" VertreterInnen aus Wirtschaft und Politik mit rechtsextremen PolitikerInnen (s. etwa faz.net am 2.2.24). Wie die mit Verboten unterbunden werden sollen und was damit erreicht würde, bleibt offen.
Der ver.di-Artikel zählt einige Punkte auf, wonach WählerInnen der AfD mit ihrer Stimmabgabe gegen die eigenen Interessen votierten, und sagt damit nichts Falsches. Nur, für welche Partei trifft die Beschreibung nicht zu? Wir lesen:
»Die Partei steht nämlich für eine extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dazu zählen Steuersenkungen, von denen nur die ohnehin Gutverdienenden und Reichen profitieren würden. Hingegen massiv streichen will die AfD bei Sozialleistungen...
Auch die Rechte von Mieter*innen will sie beschränken, obwohl gerade Menschen mit geringen Einkommen Schutz vor steigenden Mieten brauchen. Aber auch hier gibt sich die vermeintliche Partei des kleinen Mannes absolut neoliberal: Der Markt soll's regeln.«
"Die Deportationspläne der AfD hingegen würden Deutschlands Wirtschaft… schwächen", sagt die Chefredakteurin. Geschenkt, daß, wenn die Teilnahme von Parteimitgliedern am Potsdamer Treffen ein Beleg dafür sein soll, auch die CDU Deportationspläne haben muß. Aufschlußreicher ist die Sorge, die ver.di um "Deutschlands Wirtschaft" hat. Das klingt nicht nur befremdlich für eine Gewerkschaft und hört sich irgendwie ein wenig nach AfD an. Es zeigt vor allem den aus der Unterstützung der Corona-Politik bekannten Popanz gemeinsamer Interessen, für die die Volksgemeinschaft zusammenzustehen habe. Und wehe, wer da nicht mitzieht.
Man kann es als Verharmlosung des Holocaust werten, wenn auf ver.di.de zu lesen ist:
»Die correctiv.org-Enthüllungen zum konspirativen Treffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern im zurückliegenden November in Potsdam erinnern an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Denn ebenfalls in Potsdam, nicht weit entfernt von dieser Zusammenkunft, wurden am 20. Januar 1942 auf der sogenannten Wannseekonferenz von 15 hochrangigen Nationalsozialisten, die Deutschland seinerzeit regierten, die Deportation der jüdischen Bevölkerung ganz Europas in Konzentrationslager in den Osten und ihre Vernichtung beschlossen. Wer heute wieder politische und ethnische Säuberungen unseres Landes fordert, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt und tritt unsere Verfassung, Freiheit und die Grundrechte mit Füßen.
Dieses braune Gedankengut reicht längst weit in die AfD hinein. Doch wir lassen uns unsere Demokratie nicht kaputtmachen!…«
Unverhohlen gibt der ver.di-Vorsitzende dort das Ziel aus, bei den nächsten Wahlen "demokratische Kräfte zu stärken". Die SPD-Führung, bekannt für Frieden, Demokratie und soziale Rechte, hat das heute gerne aufgegriffen:
Viele Mitglieder von ver.di sind deutlich weiter als ihre Oberen. In den Streikkämpfen im ÖPNV, an den Flughäfen und anderswo erleben sie praktisch und hautnah, daß die Spaltung nicht zwischen deutscher und anderer Herkunft verläuft, sondern zwischen oben und unten. So, nur so, in der gemeinsamen Interessenvertretung läßt sich Ausländerfeindlichkeit besiegen. Regierungsdemos tragen dazu nicht bei. Ein Lichtschimmer ist es, daß heute in Berlin durchaus regierungskritische Töne von den Bühnen zu vernehmen waren.