Aus den (ungeschwärzten) Protokollen der STIKO. Wo sind die "Impfempfehlungen"?

Sie sind mir bis­her ent­gan­gen, die Protokolle der Ständigen Impfkommission. Sie sind ein­zu­se­hen auf rki​.de und bie­ten durch­aus Überraschendes. Zunächst fällt auf, daß die STIKO in den Jahren der größ­ten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg (Angela Merkel) ihren seit Jahren übli­chen Turnus von drei Sitzungen im Jahr bei­be­hielt. Im Gegensatz zu den Protokollen des RKI-Krisenstabs ist an den Unterlagen nichts geschwärzt, obwohl es sich um eine Einrichtung bei eben die­sem RKI han­delt, das aller­dings offi­zi­ell nicht wei­sungs­ge­bun­den ist. Mit viel Fleiß lie­ßen sich so vie­le geschwärz­te Namen der RKI-Papers dechiffrieren.

Verblüffender hin­ge­gen ist das Fehlen von Beschlüssen zu "Impfempfehlungen".

März und Juni 2020

Erstmals lesen wir über die "COVID-19 Pandemie" im Protokoll der 95. Sitzung vom 4./5.3.20. Danach ver­folg­te das FG 33 des RKI die "Entwicklung von COVID-19 Impfstoffkandidaten… auf­merk­sam".

Im Protokoll der 96. Sitzung vom 17.6.20 wird eine "neu gegrün­de­te STIKO-AG COVID-19" erwähnt. Erneut ist es das FG 33, das die Federführung übernimmt:

»Die Aktivitäten des RKI zur COVID-19-Impfung wer­den vor­ge­stellt. In einer AG am Fachgebiet Impfprävention wird die Modellierung des Impacts unter­schied­li­cher Impfstrategien vor­be­rei­tet, dazu soll ein pan­de­mi­sches und ein post-pan­de­mi­sches Szenario ent­wickelt werden.«

Auf die­se Modellierung wer­den wir in einem wei­te­ren Beitrag zurück­kom­men. Auch das berich­tet das FG 33:

»Für das zeitnahe/​vollständige Monitoring von Produkt-spe­zi­fi­schen COVID-19-Impfquoten und die Evaluation der COVID-19-Impfung wer­den die eta­blier­ten Systeme als nicht aus­rei­chend ange­se­hen. Daher ent­wirft das RKI in Zusammenarbeit mit dem PEI und der BZgA ein Konzeptpapier zur Einführung und Evaluation einer COVID-19-Impfung in Deutschland, in dem Aspekte der Umsetzung (Routine- ver­sus zen­tra­li­sier­tes System), Begleitkommunikation (BZgA, RKI, PEI), Impfquotenerhebung (RKI) sowie Studien und Analysen zur Impfeffektivität (RKI)) und Sicherheit (PEI) im Rahmen der brei­ten Anwendung) abge­bil­det sind…

Außerdem wer­den vom ECDC Indikatoren für das Monitoring und
die Postmarketing-Evaluation der COVID-19-Impfung erstellt…«

Im "TOP 8 – COVID-19-Impfung" wird über Wirksamkeitsstudien der WHO und die Produktionskapazitäten der Hersteller gespro­chen. Risiken sind kein Thema.

November 2020

Am 4./5.11.20 trifft sich die STIKO zu ihrer 97. Sitzung, ein letz­tes Mal vor Beginn der "Impfkampagne" am 27. Dezember. Es han­delt sich um ein "Virtuelles Meeting auf­grund der COVID-19-Pandemie". Der vor­letz­te Tagesordnungspunkt, gefolgt von "Verschiedenes", behan­delt die "COVID-19-Impfung":

STIKO, Protokolle, Impfempfehlung
rki​.de

Das sieht nicht nach erhöh­ter Priorität aus. Unter TOP 1 ist zu erfahren:

»Der Vorsitzende berich­tet über die zeit­nah geplan­te Veröffentlichung des gemein­sa­men Positionspapiers von STIKO, Ethikrat und Leopoldina zur Priorisierung beim Zugang zur COVID-19-Impfung…«

Wie es zu die­sem Papier gekom­men sein mag, ist nicht ersicht­lich. Erneut über­nimmt das RKI-FG 33:

»TOP 2 – Bericht aus dem RKI, FG 33 (17 Mitglieder anwesend)
Herr Wichmann berich­tet zunächst über die ver­schie­de­nen Aktivitäten im Fachgebiet zur COVID-19 Impfung. In dem Modellierungsprojekt „Impact of vac­ci­na­ti­on on COVID-19“ (ImVaCoV) wird die pan­de­mi­sche und post-pan­de­mi­sche Situation simu­liert mit dem Ziel des Vergleichs von ver­schie­de­nen Impfszenarien als Unterstützung bei der Entscheidungsfindung der STIKO hin­sicht­lich einer COVID-19 Impfempfehlung.«

Wieder wird das Modellierungsprojekt erwähnt, zu dem wir spä­ter kom­men. Nicht etwa die STIKO, son­dern Herr Wichmann, wird als zustän­dig ange­se­hen, die Empfehlung der WHO umzusetzen:

»Herr Wichmann arbei­tet als Experte in der „WHO/​SAGE Working Group on COVID-19 vac­ci­nes” mit, die eine Guidance für die Impfung bzw. Impfstrategien gegen COVID-19 auf glo­ba­ler Ebene aus­ar­bei­tet, sowie als Mitglied der „WHO Regional Working Group on COVID-19 vac­ci­na­ti­on and deployment“, die die SAGE-Empfehlung in regio­na­le Strategien über­setzt

Aktuell in Bearbeitung befin­den sich das Faktenblatt zur COVID-19 Impfung, zu Impfungen in der Schwangerschaft (Pertussis und Influenza) und zur Masernimpfung ent­spre­chend des Masernschutzgesetzes…«

Wir schrei­ben Anfang November 2020. Erst im Dezember wird der erste "Impfstoff" zuge­las­sen. Das RKI erstellt aber bereits ein "Faktenblatt". Es weiß mit­hin eben­so wie die WHO, wie die angeb­lich sorg­fäl­ti­gen und gewis­sen­haf­ten Prüfungen aus­fal­len werden.


Herr Wichmann ist Leiter des "FG 33: Impfprävention, STIKO". Zu des­sen Aufgaben gehört:

»Durch die im Fachgebiet ange­sie­del­te Geschäftsstelle wird die STIKO bei der Entwicklung von evi­denz­ba­sier­ten Impfempfehlungen koor­di­niert und wis­sen­schaft­lich unter­stützt. So wer­den Team-über­grei­fend zum Beispiel Systematische Reviews zur Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen erstellt, die mög­li­chen epi­de­mio­lo­gi­schen und ggf. gesund­heits­öko­no­mi­schen Effekte einer neue Impfempfehlung mit­tels Modellierung abge­schätzt, die Weiterentwicklung von Methoden der Evidenzbasierten Medizin zur Anwendung im Impfbereich und eine Begleitkommunikation über neue und bestehen­de STIKO-Impfempfehlungen sicher­ge­stellt.«

Die Zitate bele­gen, daß das FG 33 nicht bloß eine koor­di­nie­ren­de und unter­stüt­zen­de Funktion aus­übt, son­dern "die Hosen anhat". Eine Farce ist die­se Formulierung auf der RKI-Seite:

rki​.de

Der "TOP 8 – COVID-19 Impfung " soll hier voll­stän­dig zitiert werden.

»Es wer­den die Impfstofftechnologien, die jewei­li­gen Impfschemata und der Stand der kli­ni­schen Studien der für Deutschland zu erwar­ten­den COVID-19-Impftoffe (BioNTech, Moderna, AstraZeneca) vor­ge­stellt. Weiterhin wird berich­tet, dass die STIKO aktu­ell ein gemein­sa­mes Positionspapier zusam­men mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina zum Thema „Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff gere­gelt wer­den?“ erar­bei­tet. Das Papier, das kurz vor Publikation steht, soll der STIKO als Leitfaden für die Entwicklung einer Liste von vor­ran­gig gegen COVID-19 zu imp­fen­den Personengruppen (Priorisierung) dienen.

Die COVID-19-AG gibt einen Überblick über ihre bis­he­ri­ge Arbeit und den Stand der Beratung. Dazu wird die aktu­el­le Datenlage der COVID-19-Pandemie in Deutschland mit Schwerpunkt auf die Altersverteilung, die alters­spe­zi­fi­schen Hospitalisierungs- und Todesfallraten sowie hin­sicht­lich der maß­geb­lich betrof­fe­nen Institutionen bei COVID-19- Ausbruchsgeschehen dar­ge­stellt. Besonders her­vor­ge­ho­ben wird das zuneh­men­de Alter, das als wich­tig­ster Risikofaktor für einen schwe­ren COVID-19-Krankheitsverlauf anzu­se­hen ist. Neben dem alters­be­ding­ten Risiko wird das Risiko von in Alten- und Pflegeheimen leben­den Personen und das beruf­lich beding­te Infektionsrisiko von medi­zi­ni­schem Personal diskutiert. 

FG 33 stellt Ergebnisse eines Umbrella-Reviews vor, mit­tels des­sen syste­ma­ti­sche Reviews zum Risiko für einen schwe­ren COVID-19-Verlauf bei Vorliegen unter­schied­li­cher Vorerkrankungen aus­ge­wer­tet und Risikoschätzer für eine COVID-19-Hospitalisierung bzw. Krankenhausmortalität ermit­telt wer­den. Die Ergebnisse sol­len bei der Priorisierung der Indiktionsgruppen [sic] für die COVID-19-Impfempfehlung berück­sich­tigt wer­den. Weiterhin wer­den die PICO-Fragen und die kli­ni­schen Endpunkte für den syste­ma­ti­schen Review zur Sicherheit und Effektivität der COVID-19-Impfstoffe vor­ge­stellt und das Einverständnis der Kommission ein­ge­holt. Es wird über die Impfziele der COVID-19-Impfempfehlung dis­ku­tiert und eine Matrix vor­ge­stellt, die die Priorisierung der zu imp­fen­den Gruppen in ein­zel­nen Stufen unter Berücksichtigung der Impfziele (Verhinderung schwe­rer COVID-19-Verläufe, Schutz von Personen mit beson­ders hohem arbeits­be­ding­tem SARS-CoV-2-Expositionsrisiko und Verhinderung der Transmission) zeigt. Diese Matrix wird dis­ku­tiert und die wei­te­re Evidenzaufarbeitung zu den Risikogruppen für die wis­sen­schaft­li­che Begründung bespro­chen. In wel­cher Form die Entscheidung zur Priorisierung der STIKO publi­ziert wer­den soll, ist noch nicht abschlie­ßend geklärt. Die Priorisierung könn­te Teil der regu­lä­ren Empfehlung sei­en oder aber als Vorabinformation die wei­te­re Planung der Impfkampagne unter­stüt­zen.«

Das ist die voll­stän­di­ge Darstellung des Tagesordnungspunktes. Einen Beschluß über eine "Impfempfehlung" sucht man hier vergeblich.

März 2021

Ganz trans­pa­rent arbei­tet die STIKO nicht. Am 3.3.21 fin­det ein wei­te­res "Virtuelles Meeting auf­grund der COVID-19-Pandemie" statt, über das das Protokoll der 98. Sitzung Aufschluß gibt. Auch hier ist die "Pandemie" wie­der unter fer­ner lie­fen zu fin­den, weit hin­ter dem TOP 4 "Logo/​Wortmarke für die STIKO". Für des­sen Diskussion wird eine hal­be Stude auf­ge­wen­det, so viel wie für den TOP 8 "Überblick Pharmakovigilanz Covid-19 (aktu­el­ler Stand)". Das Protokoll beginnt mit:

»Der Vorsitzende begrüßt die Kommission und ihre Gäste. Er berich­tet kurz für die am Vortag nicht anwe­sen­den STIKO-Mitglieder über die am 2. März kurz­fri­stig ein­be­ru­fe­ne Beratung zu einer mög­li­chen Aufhebung der Altersgrenze beim AstraZeneca-Impfstoff.«

Ein Protokoll dar­über liegt nicht öffent­lich vor. Wer an der Sitzung teil­nahm, läßt sich also nicht ermit­teln. Nach Herrn Mertens erhält wie­der Herr Wichmann für eine Viertelstunde das Wort. Er stellt "erste Analysen zu mög­li­chen Impfstoffdurchbrüchen bei COVID-19 Impfstoffen vor, die über SurvNet ans RKI über­mit­telt wur­den". Und Ergebnisse von Telefonerhebungen über "Impfstatus und Impfbereitschaft, emp­fun­de­ne Impfnebenwirkungen,
Impfakzeptanz, Wissen und Falschwissen zur COVID-19 Impfung, Informiertheit und Informationsbedarf und Soziodemographie".

Kurz und bün­dig wird ein für­der­hin weit­ge­hend unter­schla­ge­nes Thema abgehandelt:

»TOP 8 – Überblick Pharmakovigilanz COVID-19 (aktu­el­ler Stand) (18 Mitglieder anwesend)
Eine Mitarbeiterin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) gibt einen Überblick über die Ergebnisse aus der Pharmakovigilanz der COVID-19-Impfstoffe. Sie berich­tet über die Herausforderungen der Post-Marketing-Überwachung, Routine-Aktivitäten bzgl. Pharmakovigilanz und geplan­ten Sicherheitsstudien des PEI nach Zulassung der COVID-19 Impfstoffe. Sie infor­miert über den aktu­el­len Stand der gemel­de­ten Nebenwirkungen inklu­si­ve all­er­gi­schen und ana­phy­lak­ti­schen Reaktionen nach COVID-19-
Impfungen.«

Im näch­sten Tagesordnungspunkt wird erneut auf eine Beratung ver­wie­sen, zu der es kei­ne ver­öf­fent­lich­ten Protokolle gibt:

»TOP 9 – Dritte Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung (18 Mitglieder anwesend)
Es wer­den noch ein­mal die in der Beratung vom 19.04.2021 der STIKO AG COVID-19 gezeig­ten Daten zur Impfeffektivität der AstraZeneca Vakzine im Alter ≥65 Jahre zusam­men­fas­send prä­sen­tiert und der Beschlussentwurf zur Aufhebung der Altersgrenze dis­ku­tiert. Im Beschlussentwurf steht nun­mehr, dass alle in Deutschland ver­füg­ba­ren COVID-19-Impfstoffe in allen Altersgruppen ein­ge­setzt wer­den kön­nen, für die sie zuge­las­sen sind.

Die Datenlage zur Impfung von Genesenen wird prä­sen­tiert. Aufgrund der anzu­neh­men­den Immunität nach durch­ge­mach­ter Infektion und in Anbetracht des bestehen­den Impfstoffmangels soll­ten ehe­mals an COVID-19 erkrank­te Personen nach Ansicht der STIKO unter Berücksichtigung der Priorisierung frü­he­stens 6 Monate nach Genesung und nur ein­mal geimpft werden.

Es wer­den Studien zur Impfstoff-Effektivität von Corminaty® und der AstraZeneca Vakzine unter ‚real-world‘-Bedingungen aus Israel und dem Vereinigten Königreich prä­sen­tiert.

Da die 98. Sitzung vir­tu­ell statt­fin­det, soll die Abstimmung zur Aktualisierung der STIKO-Empfehlung hin­sicht­lich der Aufhebung des Alterslimits für den AstraZeneca-Impfstoff und der ein­ma­li­gen Impfung von Genesenen unmit­tel­bar nach der Sitzung im Umlaufverfahren (per E‑Mail) mit einer Frist bis zum 04. März 12 Uhr erfol­gen.«

Auch hier­über liegt kein Protokoll vor.

Zusammengefaßt läßt sich fest­stel­len: In den ver­öf­fent­lich­ten Protokollen der STIKO bis zum Frühjahr gibt es kei­nen ein­zi­gen Beschluß, der eine "Impfempfehlung" ausspricht.

(Wird fort­ge­setzt.)

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

3 Antworten auf „Aus den (ungeschwärzten) Protokollen der STIKO. Wo sind die "Impfempfehlungen"?“

  1. "Zunächst fällt auf, daß die STIKO in den Jahren der größ­ten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg (Angela Merkel) ihren seit Jahren übli­chen Turnus von drei Sitzungen im Jahr beibehielt."

    Frau Merkel IST die größ­te Herausforderung seit dem zwei­ten Weltkrieg. DAS soll­te man Ernst nehmen!

    Selbstverständlich unge­ach­tet von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, sexu­el­ler Orientierung und Preferenzen, Abstammung, Herkunft, Muttersprache, Religion, Konfession, Konsumverhalten, Staatszugehörigkeit, Kabinett, zug.pol.Parteizug., Meinung .… habe ich was vergessen?

    Das hät­te in den "80'ern" (Spätsiebzigern) zu Bandnamen von Pop- und Tanzbands füh­ren kön­nen. Liebe jun­ge Menschen, neh­men Sie sich das .… bloss nicht .… usw. : "Modellierung des Impacts unter­schied­li­cher Impfstrategien" ; "Risiken sind kein Thema" ;
    "Umbrella-Reviews" (hier­bei Vorsicht Hollywoods Trading dings – https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​5​g​w​T​-​i​t​I​dwg – Namensrechtsregelung wohl)

    Hinweiss: Immer hübsch beach­ten, nicht wahr:
    https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​M​a​r​k​e​_​(​R​e​cht)

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