So wie Winston Churchill einen ähnlichen Satz nie gesagt hat, so formuliert auch Wolfgang Niedecken ihn nicht direkt. Dennoch könnte ein Interview auf welt.de am 8.5.24 unter dieser Überschrift stehen. Zufällig (?) am Jahrestag der vorläufigen Zerschlagung des deutschen Faschismus lautet sie aber „Als ich zuletzt wieder die Ostermarschierer sah, taten sie mir richtig leid“.
Der BAP-Sänger rechnet ab mit "diesem reinen Pazifismus", den er "eigentlich schon immer naiv" fand. Als Altlinker ist mir dieser Ansatz nicht unsympathisch. Niedecken verzichtet allerdings auf jegliche Analyse. Weder imperialistische Interessen der Herrschenden in Rußland noch in den USA oder gar der Bundesrepublik erörtert er. Meine Erwartung ist nicht, daß er diese Begrifflichkeit verwendet, doch ein Aussparen der Untersuchung von Hinter- und Beweggründen führt leider, wie zu sehen ist, an die Seite einer verlogenen Moral von Kriegstreibern.
Angesprochen auf seinen alten Song "Zehnter Juni", in dem es schön hieß"Plant uns bloß nicht bei euch ein", erklärt Niedecken (ist das eigentlich ein N*-Wort?), auf die Frage:
»WELT: … Boris Pistorius forderte erst, die Bundeswehr müsse zunächst wieder verteidigungsbereit sein, inzwischen sagt er, sie müsse kriegstüchtig sein. Ist Ihr Song vor dem Hintergrund dieser aktuellen Entwicklungen noch zeitgemäß?.
Niedecken: Die Welt ist nicht stehen geblieben. Vor 42 Jahren hätte niemand voraussehen können, dass die Mauer noch in diesem Jahrzehnt fällt oder dass Russland mehr als 30 Jahre später die Ukraine überfällt. Ich hatte den Song auf unserer letzten Tour 2022 wieder gespielt, nachdem Putin die Ukraine angegriffen und eine Teilmobilmachung verfügte hatte. Viele junge Russen machten sich daraufhin vom Acker, weil sie nicht eingezogen werden und in diesen Krieg ziehen wollten. Auf einmal passte die Zeile dieses Songs wieder: „Plant uns bloß nicht bei uns ein“ – nur eben in einem anderen Kontext als damals.«
Ein oft gebrauchter rhetorischer Trick ist es, jemandem vorzuwerfen, was er nicht sagt. Wäre es in diesem Zusammenhang aber nicht nötig, neben den jungen Russen, die sich dem Krieg verweigern, auch die zahllosen jungen Ukrainer zu erwähnen, die offenbar ebenfalls nicht bereit sind, sich in einem Kampf zu opfern, der nicht der ihre zu sein scheint? Ich bin für die Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer in unserem Land (was die Bundesregierung hintertreibt) und ebenso entschieden dafür, geflohene ukrainische junge Männer nicht an die Kiewer Regierung auszuliefern (was offen diskutiert wird).
N. setzt noch einen drauf:
»WELT: Joschka Fischer sagte kürzlich auch, Europa verdankte der nuklearen Schutzgarantie durch die USA, gegen die Sie und andere 1982 demonstrierten, sieben Jahrzehnte Frieden. Hat sich Ihre Haltung ähnlich verändert?
Niedecken: Ja. Aber nochmal: Im Nachhinein ist man immer schlauer…«
Zu dem Mann, der 1999 einen nicht von der UNO mandatierten völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg auf Restjugoslawien durchsetzte, fallen N. die längst als Lügen entlarvten Vorwände ein:
»Ich war schon damals eindeutig auf Joschkas Seite. Die Massaker und ethnischen Säuberungen, die damals im Kosovo stattgefunden hatten, ließen keine andere Möglichkeit mehr zu…
Und, was Trumps Kritik an den lange Zeit zu geringen Beitragszahlungen vieler Nato-Mitgliedsländer betrifft, muss man auch festhalten, dass er zumindest in diesem Punkt nicht Unrecht hatte…
Wobei es mir, um noch mal auf Boris Pistorius zu kommen, doch lieber wäre zu sagen, die Bundeswehr sei verteidigungsbereit, statt ihre Kriegstüchtigkeit einzufordern…«
Was anfangs daher kam wie die Besorgnis über einen durch das Völkerrecht nicht gedeckten Angriff Rußlands auf die Ukraine, weshalb es verständliche Meinungsverschiedenheiten in den Resten der Friedensbewegung gibt, entpuppt sich als volle Unterstützung eines militaristischen Kurses der Regierenden in Berlin und Washington.
Seine vorgetragene Parole "Frieden schaffen ohne Waffen, das funktioniert leider nicht", begründet er so: "Wenn du… von Typen hörtest, die gerade dabei waren, eine Frau zu vergewaltigen, dann konntest du ja nicht zu ihnen hingehen und versuchen, mit ihnen ein Gespräch zu führen". Ich gehöre zu einer Generation, die nicht einfach den Kriegsdienst verweigern konnte, sondern sich dafür einer "Gewissensprüfung" unterziehen mußten. Dazu gehörten solche stumpf-populistischen Fragen, wie N. sie vorbringt: "Sie sind mit Ihrer Freundin unterwegs und werden belästigt von Männern, die sie vergewaltigen wollen. Werden sie sich wehren?". Damals wie heute schwingt dabei stets ein Bild von Untermenschen mit, das zur Dämonisierung des Gegners gehört.
Wie auch immer, nicht erst seit heute, signalisiert der Barde den Militaristen: "Plant uns ruhig bei euch ein". Er wird dafür ein zahlungskräftigeres Publikum finden als vor vierzig Jahren, viele Friedensbewegte von damals sind längst mit der grünen Partei saturiert und vergleichsweise gut betucht geworden. Für diese Klientel gedacht ist der Satz:
»Ich finde allerdings auch, dass sowohl unser Wirtschaftsminister als auch unsere Außenministerin einen guten Job machen.«
Update: Ein Leser ergänzt, daß der Song "Zehnter Juni" anläßlich der Abschlußkundgebung der großen Friedenskundgebung 1982 komponiert wurde. Bei einem Punkt irrt er. BAP singt das Lied "Stell dir vüür" immer noch (youtube.com), wenn auch eher als Schunkellied. Es handelt von der geschilderten Gewissensprüfung und endet mit "Kreiswehrersatzamt, das würde plattgemacht, Und es wäre vorbei mit der abgewichsten Fragerei". (Text auf Kölsch und Hochdeutsch hier.) Es muß sich um dieses Dissonanzdings handeln.
Vielleicht kennt Niedecken keinen Ukrainer, der schlicht kein Interesse daran hat, für die westliche Waffenindustrie gemetzelt zu werden. Aber diese Spezies gibt es tatsächlich, und zwar gar nicht so selten.
Man wird die ukrainischen Flüchtlinge sicher nicht ausweisen, aber ohne gültige Papiere wird es dann wohl auch schwer mit Arbeit und Krankenversicherung (nicht jeder ukrainische Flüchtling lebt von Sozialleistungen). Es ist schon eine perverse Vorstellung, dass Menschen in dieser Form in die Illegalität getrieben werden dürften oder aber als "Verbrauchsmaterial" auf die Reise geschickt werden.
Tacko ist anders…
Voll daneben: ?
Dass alte Männer bellizistisch werden, liegt einfach daran, dass die jüngeren im Krieg an der Front steben, während sie selbst mit den Frauen zu Hause bleiben. So schafft man sich Konkurrenz vom Hals. Nur bei russischen Kriegsflüchtlingen drückt Niedecken ein Auge zu, denn wer einen Platz am Herd oder im Bunker will, der muss auf Linie sein.
@aa: zu den russischen Kriegsdienstverweigerern: Ich meine gelesen zu haben, dass das Recht auf Kriegsdienstveweigerung in der Ukraine aufgehoben ist. Dort werden anscheinend von den Menschenjägern des Militärs Leute von der Straße weg entführt.
Wie sieht es denn in Russland aus: Gibt es ein Recht auf Wehrdienstverweigerung, und ist die Kriegsteilnahme an der Front freiwillig? (Außer für Berufssoldaten)
@reverse…: https://www.proasyl.de/hintergrund/kriegsdienstverweigerung-und-desertion-belarus-russische-foederation-und-ukraine/
@aa: Wie es aussieht, gibt es in Russland die Luxusvariante unter den drei dort genannten Ländern. Wir dürfen gespannt sein, wie das zukünftig in Deutschland aussieht.
PS: Ich kann hier nicht antworten, ohne Javascript einzuschalten.
@reverse transkriptase: Scheint ein WordPress-Feature zu sein. Wenn jemand eine Idee hat, her damit!
Wählt am 9. Juni für Frieden, für die Vernunft zu friedlichen Lösungen.
https://www.wahl-o-mat.de/europawahl2024/app/main_app.html
peoples uff the sonn ?
Um es mit einem Zitat, welches ich einmal auf einer Veranstaltungsaufzeichnung von Volker Pispers so, im Bezug auf Grünenpolitiker, gehört habe, zu versehen:
" … die hatten früher als junge Erwachsene ihren Spass vor dem Wasserwerfer, und Heute haben die ihren Spass hinter dem Wasserwerfer … – Die haben IMMER Spass!"
[Ich glaube zu wissen dass gerade bei Niedecken noch etwas mehr mitschwingt, äh ‑swingt – Das soll aber keine Entschuldigung sein, Viele Leute, celeberiten u.A. wirkten nicht bloss "wie ausgewechselt", dem Verhalten nach sind sie es sogar. Zweifelsohne! Als hätte man ihnen Angebote unterbreitet, welche sie nicht ablehnen wollten … tz …]
@aa 11.Mai 2024 um 21:10
"Scheint ein WordPress-Feature zu sein. Wenn jemand eine Idee hat, her damit!"
Auf corodok gehts. Das ist auch wordpress.
… kann man überhaupt noch einem/er trauen?
https://www.youtube.com/watch?v=Yh-tgqnZbpY
Quelle: youtube.com