„Kampf gegen rechts“ als Selbstbetrug

Unter die­sem Titel hat Andreas Urban (Wertkritik & Krisentheorie) jüngst einen Beitrag ver­faßt, der sich red­lich Mühe gibt, die Proteste gegen die "men­schen­ver­ach­ten­de und ras­si­sti­sche Politik von AfD und Co." zu ver­ste­hen. Dabei wen­det er sich gegen die "abge­lutsch­ten Parolen einer 'Verteidigung unse­rer Demokratie'", ohne die Gefahr des Rechtsrucks zu ignorieren.

»… Allein der Titel der Correctiv-„Recherche“ („Geheimplan gegen Deutschland“) ist von kei­ner ande­ren Qualität als das para­no­ide Geschwurbel von „Verschwörungstheoretikern“ über einen geplan­ten „Great Reset“ des WEF oder angeb­li­che Pläne einer „Gesundheitsdiktatur“ durch die WHO. Im kon­kre­ten Fall ist dies sogar umso schwe­rer zu gewich­ten, als im Universum der „Faktenchecker“ übli­cher­wei­se schon sehr viel weni­ger aus­reicht, um als „Verschwörungstheoretiker“ denun­ziert zu wer­den, und mitt­ler­wei­le fast schon jeg­li­che Kritik am Regierungshandeln die­sen Tatbestand erfüllt. Der Begriff der Verschwörungstheorie ist dank Correctiv und Co. längst zu einem sub­stanz­lo­sen Totschlagargument gegen jed­we­de unlieb­sa­me Kritik gewor­den. Aber das ist ein ande­res Thema.

Keinesfalls mehr hin­weg­ge­se­hen wer­den kann aller­dings über die expli­zi­ten und impli­zi­ten Assoziationen des jüng­sten Rechtentreffens mit der berühmt-berüch­tig­ten Wannsee-Konferenz, auf der die Nationalsozialisten im Januar 1942 die Deportation und Vernichtung der euro­päi­schen Juden beschlos­sen. Findet sich die­se Assoziation im Correctiv-Bericht noch in recht ver­schwur­bel­ter und eher impli­zi­ter Form, hat die bür­ger­li­che Medienmeute mit ihrem bekann­ten Faible für medi­en­wirk­sa­me Schauermärchen den Wink sehr wohl ver­stan­den und bastelt sich die von einem pen­sio­nier­ten Zahnarzt orga­ni­sier­te Zusammenkunft von etwa zwan­zig Gleichgesinnten aus dem rechts­kon­ser­va­ti­ven bis rechts­extre­men Spektrum zu einem Ereignis von der Tragweite und auf sel­ber Ebene wie jene histo­ri­sche, für die Ermordung von Millionen Juden weg­wei­sen­de Nazi-Konferenz zurecht („Wannsee 2.0“). Genauso umstands­los wer­den die ohne Frage men­schen­ver­ach­ten­den und frem­den­feind­li­chen „Remigrations“-Fantasien der Rechten als Pläne zur „Deportation“ von Millionen Migrantinnen und Migranten gefr­amt. Selbst lin­ke Zeitungen wie Neues Deutschland sind dumm genug, in die­se scham­lo­se Verharmlosung von Nazi-Verbrechen im Interesse einer wohl­fei­len Abgrenzung von und Stimmungsmache gegen AfD und Co. ein­zu­stim­men (nd​-aktu​ell​.de, 15.1.2024)…

Aber selbst die histo­risch pro­ble­ma­ti­sche Gleichsetzung der von Rechten anvi­sier­ten „Remigration“ mit einer dro­hen­den „Deportation“ von Migrantinnen und Migranten könn­te unter Umständen noch hin­ge­nom­men wer­den, qua­si nach dem Motto: „Wehret den Anfängen“, als ein sich ja durch­aus abzeich­nen­des Szenario der mas­sen­haf­ten Ausweisung und Abschiebung von in Deutschland leben­den Menschen nicht­deut­scher Herkunft. Ernst zu neh­men wäre eine sol­che Kritik aller­dings nur, wenn dabei die schon sehr kon­kre­te Asyl- und Migrationspolitik der der­zei­ti­gen Bundesregierung zur Kenntnis genom­men und eben­falls zum Gegenstand der Kritik gemacht wür­de. Denn wäh­rend sich Regierungsvertreter vom Bundeskanzler abwärts, gleich­sam im Schulterschluss mit den gegen­wär­ti­gen Protesten, als „Verteidiger der Demokratie“ insze­nie­ren, hat die Ampelregierung soeben erst eine mas­si­ve Verschärfung des Asylrechts ver­ab­schie­det und setzt damit fak­tisch bereits um, wovon AfD und Co. in ihren feuch­ten Remigrations-Träumen bis jetzt nur fan­ta­sie­ren kön­nen (ein­mal ganz abge­se­hen von dem ohne­hin seit Jahren betrie­be­nen asyl­po­li­ti­schen Mauerbau der EU an den euro­päi­schen Außengrenzen…

Abschiebeanstalten euphe­mi­stisch als „Ausreisezentren“ oder „Ausreiseeinrichtungen“ zu bezeich­nen, ist in Deutschland frei­lich seit mehr als zwan­zig Jahren gang und gäbe (nach Österreich wur­den die­se Termini 2019 durch FPÖ-Chef Herbert Kickl wäh­rend sei­ner Amtszeit als öster­rei­chi­scher Innenminister impor­tiert) und gehört eben­falls in den Horizont des heu­te ubi­qui­tä­ren Orwell’schen Neusprechs. Spätestens mit dem Vorhaben, deut­schen Staatsbürgern mit „Migrationshintergrund“ unter bestimm­ten Bedingungen die Staatsbürgerschaft abzu­er­ken­nen (und sie aus­zu­wei­sen), schwin­det die Differenz zu den „Remigrations“-Plänen von AfD und Co. ins Marginale. Gegen sol­che ganz kon­kre­ten und nicht im Geringsten „gehei­men“ Initiativen und Gesetzesbeschlüsse von aktu­el­len Regierungen, ohne jeg­li­che Beteiligung einer AfD, ist jedoch nir­gend­wo Protest wahrnehmbar…

Im Übrigen han­delt es sich dabei auch um die­sel­be Regierung, die bereits wäh­rend der Corona-Krise demo­kra­ti­sche Grundrechte, wo es nur ging, mit Füßen getre­ten hat und im Stellvertreterkrieg mit Russland einen rabia­ten Militarisierungskurs fährt, nicht zu ver­ges­sen die in den ver­gan­ge­nen Jahren stark vor­an­ge­schrit­te­ne Zensur dis­si­den­ter Inhalte und die syste­ma­ti­sche Einschränkung und Diffamierung regie­rungs­kri­ti­scher Demonstrationen. Auf den „Demonstrationen gegen rechts“ wird ihnen nun jedoch gestat­tet, sich als „Verteidiger der Demokratie“ zu produzieren…

Freilich stan­den die sich heu­te gegen Rechtsextremismus auf den Straßen tum­meln­den „Demokraten“ und „Antifaschisten“ bereits in der Corona- und der Ukraine-Frage über­wie­gend auf der Seite der Regierung, haben Demonstrationen gegen ein irra­tio­na­les und destruk­ti­ves „Pandemie-Management“ oder gegen Kriegshetze und Waffenlieferungen pau­schal für „rechts­extrem“ und „ver­schwö­rungs­theo­re­tisch“ erklärt und sich nicht zuletzt der ans Faschistoide gren­zen­den Hetze gegen „Ungeimpfte“ ange­schlos­sen – Forderungen nach Suspendierung von Grundrechten durch 2G etc. und Eingriffen in die kör­per­li­che Integrität durch direk­te und indi­rek­te Formen des Impfzwangs inklusive…

Darin steckt letzt­lich auch der wah­re Kern der von Rechtskonservativen (denen die aktu­el­le „Wannsee 2.0“-Causa wie­der reich­lich Gelegenheit bie­tet, die mora­li­sche und intel­lek­tu­el­le Verkommenheit des „links­grü­nen“, „woken“ Gutmenschentums aufs Korn zu neh­men, z.B. tichys​e​inblick​.de, 21.1.2024) in jüng­ster Zeit so ger­ne bemüh­ten Feststellung, dass der Unterschied zwi­schen rechts und links inzwi­schen obso­let gewor­den sei – wenn­gleich in ande­rer Weise, als es sich die Rechten zusam­men­rei­men, die damit jeg­li­che Links-Rechts-Differenz über­haupt für gegen­stands­los erklä­ren möch­ten. Die Tatsache, dass Linke (oder sich als „links“ Verstehende) sich in ihren Inhalten und ihrer Praxis immer weni­ger von Rechten unter­schei­den, demen­tiert nicht den grund­sätz­li­chen poli­ti­schen, histo­risch gewach­se­nen Unterschied zwi­schen links und rechts, son­dern ver­weist auf den Verfall der poli­ti­schen Sphäre im Zuge der Krise des waren­pro­du­zie­ren­den Systems und ins­be­son­de­re des­sen, was dar­in ein­mal „links“ war…

Auf der „rich­ti­gen Seite“ zu ste­hen war bereits wäh­rend der Corona-Krise wie auch spä­ter im Ukraine-Krieg die wesent­li­che Haupttriebkraft der­je­ni­gen, deren „anti­fa­schi­sti­sche“ Attitüde und Praxis zum Teil kaum noch vom Denken und Handeln jener Rechtsextremen und „Faschisten“ zu unter­schei­den war, gegen die sie anson­sten und auch heu­te wie­der zu agi­tie­ren vor­ge­ben. Gerade die ver­gan­ge­nen vier Jahre haben ein­drucks­voll gezeigt, wel­cher Verfallsform kri­ti­schen (lin­ken) Denkens sich das eben­so drin­gen­de wie bor­nier­te Bedürfnis, zu den „Guten“ zu gehö­ren, ver­dankt: Insbesondere das post­mo­der­ne Denken mit sei­ner Beliebigkeitsideologie und den dar­aus resul­tie­ren­den destruk­ti­ven Effekten auf die intel­lek­tu­el­len Kapazitäten hat Kritik sowohl ihrer Inhalte als auch (in wei­te­rer Folge) ihrer Verbindlichkeit beraubt und u.a. den Antifaschismus zu einer aus­tausch­ba­ren und inhalts­lee­ren Spielmarke her­un­ter­ge­bracht. Damit Hand in Hand geht eine enor­me Verflachung der Gesellschaftskritik zu einer ober­fläch­li­chen „Gesinnungskritik“…

Anders als wäh­rend der Corona-Krise gegen all die „Coronaleugner“ und „Impfgegner“ oder spä­ter gegen die „Putinversteher“ las­sen sich mit der aktu­el­len Agitation gegen die AfD und deren „Remigrations“-Pläne nun auch rela­tiv gro­ße Massen mobi­li­sie­ren – das allein ist schon hilf­reich dabei, sich end­lich wie­der als Teil einer gro­ßen Bewegung „guter Demokraten“ im Kampf gegen „anti­de­mo­kra­ti­sche“ Kräfte zu ima­gi­nie­ren. Vor allem aber bie­ten die heu­ti­gen Proteste eine vor­treff­li­che Gelegenheit, davon abzu­len­ken (und vor allem sich selbst ver­ges­sen zu las­sen), dass gera­de das eige­ne poli­ti­sche Versagen (und ganz beson­ders jenes der Linken) wäh­rend der Krisen der letz­ten Jahre einen nicht gerin­gen Anteil am gegen­wär­ti­gen Höhenflug von AfD und Co. hat. Die not­wen­di­ge Kritik an einem irra­tio­na­len Corona-Maßnahmenregime und einem nicht weni­ger irra­tio­na­len Kurs im Krieg gegen Russland wur­de tabui­siert und weit­ge­hend den Rechten über­las­sen, wel­chen es daher auch ein Leichtes war, sich als (ein­zi­ge) Opposition zu insze­nie­ren und die Kritik zu kapern bzw. für ihre Zwecke zu instru­men­ta­li­sie­ren. Dass auf der ande­ren Seite spe­zi­ell die „Corona-kri­ti­sche“ Bewegung zu kei­ner Zeit eine eman­zi­pa­to­ri­sche Bewegung war, kann bereits dar­an abge­le­sen wer­den, dass die­se – wo sie sich nicht ohne­hin aus dem eher rech­ten Lager rekru­tier­te oder zumin­dest mit den Rechten sym­pa­thi­sier­te – ver­gleichs­wei­se weni­ge Anstrengungen unter­nahm, sich klar von Rechten oder tat­säch­li­chen Verschwörungstheoretikern abzu­gren­zen, sowie dar­an, dass von den mei­sten der­je­ni­gen, die damals gegen Corona-Maßnahmen und Impfpflicht auf die Straße gin­gen, wenig Kritisches – und eher Gegenteiliges – zu ver­neh­men ist, wenn es um Asylverschärfungen, Abschiebungen und der­glei­chen geht, staat­li­che „Maßnahmen“ und Grundrechtseinschränkungen also ande­re betreffen…

Es mag unter den Demonstrierenden (ver­mut­lich nicht ein­mal so weni­ge) Menschen geben, wel­chen die „Demonstrationen gegen rechts“ nicht bloß eine will­kom­me­ne Gelegenheit sind, um ein hoh­les (links)identitäres Bedürfnis zu befrie­di­gen und ihr in den ver­gan­ge­nen Jahren gehö­rig ram­po­nier­tes Fremd- und Selbstbild als „Demokrat“ und „Antifaschist“ auf­zu­po­lie­ren, son­dern die ernst­haft besorgt sind über den sich deut­lich abzeich­nen­den Rechtsruck und die u.a. von der AfD aus­ge­hen­de faschi­sti­sche Gefahr. Diese sind aber selbst Teil der skiz­zier­ten Erosion des Demokratischen und damit des von ihnen gefürch­te­ten Rechtsrucks, solan­ge sie über die real längst statt­fin­den­de „Remigrations“-Politik der Regierungen wie auch all­ge­mein über die unüber­seh­ba­ren rech­ten, auto­ri­tä­ren und faschi­sto­iden Tendenzen des Mainstreams hinwegsehen…«

Der gesam­te Text mit Anmerkungen und einer Literaturliste fin­det sich auf wert​kri​tik​.org.

5 Antworten auf „„Kampf gegen rechts“ als Selbstbetrug“

  1. Danke! – Wobei ich die­se Passage auch sehr gelun­gen finde:

    «Derart aller Inhalte und gesell­schafts­kri­ti­schen Dimensionen ent­klei­det, ver­kom­men der Antifaschismus und der „Kampf gegen rechts“ zu einem blo­ßen Reflex. Reflex war aber schon immer das Gegenteil von Reflexion und damit zwangs­läu­fig auch von Kritik.»

    Bloss: Genau so refle­xi­ons­los ist z.B. «Wir haben es satt», die sich nicht den ech­ten Bauerndemos ange­schlos­sen haben, u.a. um bloss nicht «rechts» zu ste­hen (s. frü­he­ren Beitrag auf die­sem Blog und die Diskussion).

    1. @Ulf Martin: Da Du dar­auf rum­rei­test, sei auch die Antwort wie­der­holt: "Wir haben es satt" ver­an­stal­tet seit etli­chen Jahren "ech­te Bauerndemos". Es lohnt sich, mit den Forderungen zu beschäf­ti­gen, die weit über das "Wir wol­len mehr Subventionen, egal was und wie wir damit pro­du­zie­ren" und die Ablehnung von Umweltschutzbestimmungen hin­aus­ge­hen, wie es auf den vom Bauernverband und ande­ren orga­ni­sier­ten Demos meist heißt. https://​www​.wir​-haben​-es​-satt​.de/

  2. NB. Der Telegram-Kanal @corodok hat immer noch > 2100 Abonnenten, wäh­rend @kodoroc nur deren 62 hat. Ggf. wäre es sinn­voll auf dem alten Kanal einen Hinweis zu schal­ten, dass es jetzt einen neu­en gibt.

      1. @aa: Es wäre einen Versuch wert, einen Hinweis auf dei­nen Nachfolger kodo­roc zu schal­ten. Eventuell fin­den sich in der coro­dok-LeserInnenschaft doch mehr Linke aller Schattierungen, als du denkst.
        Viele haben viel­leicht aus zeit­li­chen Gründen ein­fach nicht mehr kom­men­tiert, son­dern nur noch mit­ge­le­sen, da der "nor­ma­le Alltag wie­der tobt", ande­re Themen in den Vordergrund getre­ten sind… 

        Ganz herz­li­chen Dank für dei­ne so wich­ti­ge Arbeit mit corodok -
        natür­lich auch @illa – und für den so bit­ter not­wen­di­gen Nachfolger kodoroc.

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