Die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl hat das Prinzip nur zur Hälfte verstanden. Die AfD prescht provokativ vor, es gibt (gespielte) Empörung bei den "demokratischen Parteien", bis sie, manchmal abgemildert, deren Positionen oftmals übernehmen. Die AfD kann damit WählerInnen gewinnen. Frau Barley versucht es auch, das Spielchen entwickelt sich ähnlich – mit dem Unterschied, daß die SPD an Zustimmung verliert. Das Klientel der AfD ist größtenteils ausländerfeindlich, das der SPD aber nicht kriegsgeil.
Je niedriger Umfrage- und Wahlergebnisse der SPD ausfallen, um so begeisterter lobt die Partei sich; das war bei jeder verlorenen Wahl so. "Mit Olaf Scholz haben wir einen Regierungschef mit Führungsrolle in der EU, mit Nicolas Schmit einen Arbeits- und Sozialexperten und mit mir die starke Stimme im Parlament." Da niemand sonst in diese Verklärung einstimmt, wiedeholt sie den Satz später noch einmal.
Ich mußte recherchieren, weil mir Nicolas Schmit nicht bekannt war. Der 70-jährige Luxemburger ist Mitglied der EU-Kommission, dort verantwortlich für Arbeit und Gedöns (um an Gerhard Schröder anzuküpfen) sowie sozialdemokratischer Spitzenkandidat auf EU-Ebene.
Parlamentsvorbehalt abschaffen. Das muss man diskutieren.
Wann soll die "Vision einer europäischen Armee" aus dem SPD-Wahlprogramm Wirklichkeit werden, wird Barley gefragt. "So schnell wie möglich", antwortet sie schnörkellos. Und wie will die Partei mit der Herausforderung von Mehrheitsentscheidungen in der EU umgehen? Sie sieht drei Möglichkeiten:
»Die anderen passen sich an, Deutschland bekommt eine Sonderrolle oder es ändert das Grundgesetz, schafft also den Parlamentsvorbehalt ab. Das muss man diskutieren.«
Das paßt so vorzüglich zu den Massendemonstrationen für "unsere Demokratie" ("Die Menschen demonstrieren für Themen, für die ich seit Jahren brenne") wie der Wunsch, derart am Parlament vorbei Zugriff auf Atomwaffen zu bekommen:
»Derzeit liegt die nukleare Abschreckung für Europa bei der Nato. Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg richtig bemerkte, liegt es weiter im Interesse der Amerikaner, diese maßgeblich bereitzustellen. Angesichts der jüngsten Äußerungen von Donald Trump ist darauf kein Verlass mehr. Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann also auch das ein Thema werden.«
Die Reaktionen sind wie geplant. "Braucht die EU eigene Atombomben?", fragt tagesschau.de am 13.2.24. Etwas zurückhaltender informiert faz.net: "AUCH AUS EIGENEN REIHEN. Barley erntet Kritik für Vorschlag zu EU-Atombomben". Der als linker Flügelmann posierende Ralf Stegner ist empört. Linken-Chef Martin Schirdewan wird so zitiert: "Statt über mehr Atombomben nachzudenken, forderte er die SPD-geführte Bundesregierung auf, endlich den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen". Unionsfraktionsvize Johann Wadephul gibt sich irritiert: "Der Kanzler müsse für Klarheit sorgen, sagte er dem 'Tagesspiegel': 'Ist das die Position der Bundesregierung und seiner Partei?'" "Offen für einen europäischen Nuklearschirm zeigte sich hingegen der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber. " Und Christian Lindner schreibt in einem Gastbeitrag auf faz.net am 13.2.24:
»… Die „Friedensdividende“ der Vergangenheit wurde genutzt, um insbesondere den Wohlfahrtsstaat auszubauen. Nunmehr stehen wir am Beginn der Epoche der „Freiheitsinvestition“, weshalb ein Umsteuern nötig ist…
Soziale Taxonomie ist kontraproduktiv
Vor diesem Hintergrund sind die Pläne der EU-Kommission für eine soziale Taxonomie, mit der sie die Sozialverträglichkeit von Investitionen bewerten und diese entsprechend lenken möchte, kontraproduktiv. Die Finanzierung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie darf nicht erschwert werden…«
Ganz wie Frau Barley schließt Lindner mit seiner Position zu Atomwaffen:
»Die Frage ist: Unter welchen politischen und finanziellen Bedingungen wären Paris und London bereit, die eigenen strategischen Befähigungen für die kollektive Sicherheit vorzuhalten oder auszubauen? Und umgekehrt, welchen Beitrag sind wir bereit zu leisten? Wenn es um Frieden und Freiheit in Europa geht, dürfen wir diese schwierigen Fragen nicht scheuen.«