Zweieinhalb Seiten widmet die "Zeit" vom 23.5.24 Giorgia Meloni. Der fast liebevolle Artikel liest sich wie ein freundlicher Hinweis an die AfD, doch bitte das Rabauken–hafte abzulegen.
»Als Giorgia Meloni italienische Ministerpräsidentin wurde, war die Angst in Europa groß: eine Rechtsextreme an der Macht! Inzwischen findet selbst Olaf Scholz sie gut. Aber zeigt sie auch ihr wahres Gesicht?«
Sicher, es gab solche eher unfeinen Begebenheiten:
»… Bis heute tummeln sich mehrere Mussolinis bei den Fratelli d’Italia, die Wurzeln der Partei liegen im Faschismus. Rachele sitzt im Stadtrat von Rom, ihre Halbschwester Alessandra Mussolini – die einmal im Fernsehen rief, "es ist besser, ein Faschist zu sein, als eine Schwuchtel" – im Europaparlament. Auch der Urenkel Caio Giulio Cesare Mussolini kandidierte schon für die Fratelli d’Italia.
Medien, die bei dem Auftritt im Frühjahr 2018 dabei waren, berichteten, wie Meloni… rief: "Wir wollen diesen für die Geschichte der italienischen Rechten so symbolischen Ort zurückgewinnen!" Niemand, versprach sie den Leuten, werde unter ihrer Führung mehr illegal nach Italien eindringen. "Wenn wir eine Seeblockade einrichten müssen, werden wir eine Seeblockade einrichten. Wenn wir Schützengräben buddeln müssen, werden wir Schützengräben buddeln."«
Doch das ist, was zählt:
»Seit dem Auftritt in Latina hat Meloni einen astronomischen Aufstieg hingelegt. In nur vier Jahren baute sie ihre kleine Partei zur stärksten Italiens auf, die Wahlen im Herbst 2022 gewann sie locker…
Giorgia Meloni schoss mit einer Plötzlichkeit an die Macht, die das europäische Establishment in Unruhe versetzte. Bevor sie Ministerpräsidentin wurde, hatte sie jahrelang gegen Brüssel gehetzt, gegen die Banken, die Medien, die Eliten, gegen Migranten sowieso. Sie diktierte Kampfbegriffe in Mikrofone, "Globalisten-Ideologie" und "Klimadiktatur", "Klassenraum-Indoktrination" und "Islamisierung". Sie wiederholte die Verschwörungsideologie des "Großen Bevölkerungsaustausches". Sie warnte vor einer "deutsch-französischen Achse", die "Europa in einen Sowjetstaat transformieren" wolle. Was würde diese Frau nur tun, nun, da sie an der Macht war?
Olaf Scholz schätzt sie als zuverlässige Partnerin
Fürs Erste hat sie alle beruhigt. Sie steht zur Nato und zum Euro, sie sträubt sich gegen chinesische Einflussnahme. Sie steht hinter der Ukraine und gegen Wladimir Putin…
Olaf Scholz schätzt sie als zuverlässige Partnerin. Mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reiste Meloni nach Tunesien, Ägypten und Lampedusa…«
Damals ging es um die Remigrationspläne der EU, die nicht in Potsdamer Hinterzimmern beschlossen, sondern bei Staatsbesuchen vereinbart wurden. Dafür ist Frau von der Leyen Meloni noch heute dankbar. Während ihre Partei noch vor einigen Wochen die "Verteidigung der Demokratie gegen Rechts" simulierte, erklärt sie schon jetzt, mit der Meloni-Fraktion im EU-Parlament kooperieren zu wollen. "Die CDU-Politikerin sagte im 'Interview der Woche“'des Deutschlandfunks, das Kriterium sei, dass die Parlamentarier für Europa seien, für den Rechtsstaat, für die Ukraine – und gegen Russland." (deutschlandfunk.de, 26.5.24). Auch dafür soll der "Zeit"-Artikel das Feld bereiten.
Als ob das eine Rolle spielte, fragt die "Zeit":
»Hat Giorgia Meloni die erstaunlichste Wandlung der europäischen Politik in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen? Hat sie sich von einer rechtsextremen Ideologin zur verantwortungsbewussten Weltpolitikerin gewandelt? Oder gibt sie sich nur nach außen so, um im Inneren ungestört Italien zu einer autoritären Festung umbauen zu können? Sehnt sie sich nach einem Platz in der europäischen Familie? Oder würde sie am liebsten mit den Mussolinis Schützengräben buddeln?«
Wenn es um die Macht ihrer Auftraggeber ging, haben die von der Leyens und deren Vorgänger noch nie gezögert, mit Rechtsradikalen und Populisten zu paktieren. Gewiß, vor Wahlen hatte man Berlusconi, Trump, Orban und Kaczyński empört gescholten, um anschließend doch mit ihnen ins Bett zu steigen. Wie in jeder Beziehung gab es dabei hin und wieder Streit, doch gegen Russland und für die Festung Europa stand man so unbedingt zusammen wie gegen demokratische, soziale und ökologische Bewegungen.
Frau Meloni will nicht sprechen mit dem "Zeit"-Autor Moritz Aisslinger. Doch ihr Mentor, Gianfranco Fini ("72 Jahre alt, schlank, sportlich"), ist dazu bereit. Der war seit 1987 Chef der faschistischen Partei MSI, die 1945 von Giorgio Almirante gegründet wurde.
»Der MSI, Movimento Sociale Italiano, war die Ursprungspartei von Melonis Fratelli d’Italia… Almirante, der kurz zuvor noch propagiert hatte, "die Agenda der Juden und Mischlinge" durchkreuzen und den "Rassismus zu unserem gemeinsamen Treibstoff" machen zu wollen, saß dem MSI 40 Jahre lang vor. Meloni verehrt ihn als "geschätzten Patrioten der Vergangenheit".
In Italien gab es nie diesen deutschen Konsens, sich bedingungslos von der totalitären Vergangenheit zu distanzieren. Hört man einigen AfD-Politikern zu, wirkt auch das auf einmal wie der Vorbote einer neuen Zeit.«
Das ist nun wirklich albern. Macht die AfD etwas anderes als die Frau, die in Italien erfolgreich Geschichtsrevisionismus betreibt und der Darling von vdL, Scholz* und der "Zeit" ist? Frau Weidel mag nicht so charmant sein wie Frau Meloni, doch bis auf ihre unverzeihliche Haltung zu Putin trennt die Damen inhaltlich wenig.
Fini soll 1987 gesagt haben "Die Werte des Faschismus sind ewig". Doch da es in Italien nie diesen deutschen Konsens gab, konnte er von 2001 bis 2006 stellvertretender Ministerpräsident in den Kabinetten Silvio Berlusconis werden. Kein angeblicher deutscher Konsens hinderte eine Bundesregierung daran, freundschaftlich mit ihm zusammenzuarbeiten. Anders, als es das Gerede gegen "Globalisten" vortäuschte, gehörte er als Außenminister zu den treuesten Verbündeten der USA. Fini hatte vorweggenommen, was Marine Le Pen heute erfolgreich betreibt, sich von schmuddeligem Antisemitismus und prolligen Stiefelnazis loszusagen und sich auf das Kerngeschäft der Fremdenfeindlicheit zu konzentrieren.
Fini schwärmt von seiner Schülerin:
»Etwas Ähnliches, glaubt er, geschehe gerade mit Giorgia Meloni. "Wenn ich sehe, wie sie sich auf dem internationalen Parkett bewegt! Da kann ich nur Bestnoten verteilen."«
Selbst der 84-jährige Fausto Bertinotti, früher einmal Parlamentspräsident, der lange von seiner Vergangenheit als Kommunist zehren konnte, sagt dem Autor über Meloni: "Ich mochte sie".
»Vor wichtigen Sitzungen sei sie zu ihm gekommen und habe gefragt, Fausto, was soll ich machen, wie soll ich mich verhalten? In ihrer Autobiografie schreibt Meloni, sie empfinde bis heute eine "aufrichtige Freundschaft" zu ihm.
Bertinotti sieht das etwas anders, für ihn war Meloni eine Postfaschistin, ist es noch immer, eine sehr intelligente…«
Doch, doch, mit richtig tollen Leuten umgibt sich Meloni nicht:
»Die Tourismusministerin nannte den Propheten Mohammed "einen Pädophilen" und sagte noch 2022: "Ich behaupte stolz, eine Faschistin zu sein, die illegale Einwanderer mit einem Arschtritt fortjagt."…
Der heutige Minister für Regionale Angelegenheiten beschimpfte die französische Fußballnationalmannschaft während der WM 2006 als eine Truppe aus "Negern, Muslimen und Kommunisten". Über die erste schwarze Ministerin Italiens, eine Politikerin der Sozialdemokraten, sagte er 2013, er liebe Tiere, und wenn er die Ministerin sehe, müsse er "unweigerlich an einen Orang-Utan denken"…«
Doch über ihre Wahlversprechen läßt sich sagen:
»In Teilen haben sie Wort gehalten. Sie haben Menschen, die Bürgergeld erhielten, per SMS verkündet, dass sie in Zukunft keines mehr erhalten. Sie haben Abtreibungsgegnern den Zutritt zu Kliniken erlaubt, in denen Frauen Rat suchen für einen möglichen Schwangerschaftsabbruch. Sie haben für Leute, die unangemeldete Rave-Partys organisieren, härtere Strafen bis hin zur Haft eingeführt.
Das Hauptversprechen – keine Flüchtlingsboote mehr an italienischen Häfen, keine Ströme illegaler Einwanderer mehr in italienischen Städten – hat die Regierung nicht halten können…«
Daran arbeitet die EU mit Nachdruck.
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* Update: Hier stand ursprünglich "Schulz", was auch nicht ganz falsch war. Danke für den Hinweis!