In gut dreißig Protokollen des RKI-Krisenstabs kommt das Wort "Sprachregelung(en)" vor. Am 24.2.20 heißt es: "Auftrag von BMG ♦♦♦♦ zunächst Sprachregelung mit ♦♦♦♦ abgestimmt, Entwurf wurde bereits ausgetauscht". Am 1.4.20 informiert die RKI-Pressestelle:
»Alle werden von Anfragen überflutet, nicht alle Anfragen können individuell beantwortet werden, auch nich diejenigen aus der Fachöffentlichkeit, das hält zu sehr auf. Eine Sprachregelung mit Dank und Standardantworten ist sinnvoll und wird schon gemacht.«
Am 8.4.20 heißt es:
»… • EpiBull zu Atemwegserkrankungen Rückgang ist seit letzter Woche online
• Abgestimmter Satz zu Risikogebieten (Interpretation) ist online…
• Sprachregelung für Umstellung der Errechnung der Genesenen (siehe auch Protokoll 07.04.) ist noch nicht an Presse gegangen, wird morgen PK berichtet, diese erhält enorme Aufmerksamkeit, Sprachregelung wichtig…
ToDo: Sprachregelung zur Umstellung der Errechnung der Genesenen für PK und Webseite an Presse (FG36, FG32, Abt.3?)«
Das zitierte Protokoll vom 7.4. geht auf das Problem stark steigender Genesenenzahlen ein, für das eine Sprachregelung gefunden wurde. Sie schlägt sich im Situationsbericht des RKI vom 8.4.20 so nieder: Nur von drei Vierteln der "Fälle" sind klinische Informationen bekannt. "Ein genaues Datum der Genesung liegt für die meisten Fälle nicht vor. Daher wird ein Algorithmus zur Schätzung der Anzahl der Genesenen verwendet."
Dieses Verfahren – Modellierung anstatt Daten – hat das RKI bis heute durchgehalten. Im zitierten Bericht wird mit der "Reproduktionszahl" ebenso verfahren: "Diese lässt sich nicht aus den Meldedaten ablesen, nur schätzen". Immerhin mußte man bereits damals zu den Todesfällen zugeben: "Der Altersmedian liegt bei 82 Jahren". Laut Statistischem Bundesamt liegt die durchschnittliche Lebenserwartung "bei 78,3 Jahren (Männer) beziehungsweise 83,2 Jahren (Frauen)". Update: Inzwischen, im Dezember 2024, lauten die Werte 78,2 bzw. 83.0 (destatis.de).
"Sprachregelung vom BMG"
Was Lauterbach vehement abstreitet, findet sich schwarz auf weiß im Protokoll vom 23.4.20. Nach zwei Seiten zur Aktuellen Lage, die angeblich zum Schutz von Personen vor Haß und Hetze so dargestellt werden…
… finden sich diese Angaben:
"Weg von Testen-Testen-Testen"
Angesichts der in den nächsten Jahren verfolgten Strategie und Kommunikation wirken diese Formulierungen vom 18.5.20 überraschend:
"Emotionalisierung, um Solidarität in der Bevölkerung zu wecken"
Am 12.8.20 wird das Thema der falschen Tests noch einmal aufgegriffen und vor "Verschwörungstheoretikern" gewarnt, trotz guter Sprachregelung:
"Niedriger Anteil der Sterbefälle" erzeugt Handlungsbedarf
Auf keinen Fall sollten diese Informationen überinterpretiert werden, heißt es am 21.9.:
Am 30.10.20 ging es um eine "Sprachregelung zur Verwendung von FFP2-Masken im privaten Bereich", am 9.11.20 erneut um eine "zum Umgang mit zurückgehenden Zahlen", am 25.11.20 erscheint die "Frage nach Sprachregelung zum sinkenden Fall-Verstorbenen-Anteil". Am 21.12.21 geht es darum, "schon jetzt eine Sprachregelung fest zu legen [sic], falls die Variante auch in Deutschland gefunden werden sollte"; der Name der Mutante fiel der Schwärzung zum Opfer. Wenige Tage später gab es die Vorgabe.
Am 12.2.21 galt es, eine "Sprachregelung zur zurückgehenden 7‑Tages-Inzidenz und dem Effekt der Impfungen" zu finden. Am 24.2.21 ging es darum, eine Sprachregelung für die "Definition des Beginns einer neuen Welle" zu finden. Diskutiert wurde "Wording 3. Welle suggeriert Handlungsunfähigkeit („nicht zu verhindern“), ist jedoch abhängig von Maßnahmen und Compliance". Dennoch entschied man sich für den Begriff. Am 12.3.21 begann man, diesbezüglich die Medien auf Kurs zu bringen:
Auch am 31.3.21 widmete man sich der Presse. Die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle ging zurück ("Altersmedian der Verstorbenen weiterhin bei 82 Jahren"). Also "Sprachregelung für Presse notwendig".
Alle Dokumente sind zu finden auf my.hidrive.com.
An die Damen und Herren vom Faktencheck: Hier wird ausdrücklich nicht behauptet, daß alle diese Sprachregelungen vom Bundesgesundheitsministerium veranlaßt wurden.