Die Global Assembly ist abgesagt. Warum?

Nur am Rande wur­de die Nachricht von den gro­ßen Medien regi­striert. In die­sen Tagen hät­te in Frankfurt eine inter­na­tio­na­le Versammlung statt­fin­den sol­len, die sich laut Illja Trojanow, einem der OrganisatorInnen, mit den Themen "auto­ri­tä­re Herrschaft und Demokratisierung, Klimagerechtigkeit und öko­lo­gi­sche Transformation, Menschen- und Naturrechte" beschäf­ti­gen soll­te (taz​.de, 14.3.24).

Die im fol­gen­den gezeig­te Erklärung zur Absage ist inso­fern pikant, als die TrägerInnen der geplan­ten Veranstaltung fast durch­gän­gig zu den laut­star­ken Stimmen gehör­ten, die die nun beklag­te "Diskursverengung" bei Corona zum Prinzip erklärt hat­ten. Man reka­pi­tu­lie­re die dama­li­gen und bis heu­te nicht revi­dier­ten Positionen von Brot für die Welt, Die AnStifter, Friedrich-Ebert-Stiftung, Global Policy Forum, Heinrich-Böll-Stiftung, Institute of Development and Postcolonial Studies an der Universität Kassel, Institut für Politkwissenschaft der Universität Wien, Bereich Internationale Politik, med­ico inter­na­tio­nal und Rosa Luxemburg Stiftung.

So bleibt zunächst offen, ob die Organisationen Lernschritte gegan­gen sind oder ein­fach nur dar­auf reagie­ren muß­ten, daß die AktivistInnen aus dem Globalen Süden und aus Israel es satt haben, sich vor­schrei­ben zu las­sen, "wel­che Vergleiche sie bemü­hen und wel­che Formulierungen sie ver­wen­den dür­fen", weil "die Enkelkinder der rabia­te­sten Antisemiten… die aller­be­sten Anti-Antisemiten sein" wol­len (Trojanow, s.o.).

So lau­tet die Erklärung des Initiativkreises:

»Die Global Assembly ist abgesagt. Warum?

Der Initiativkreis der Global Assembly für Menschenrechte, Demokratie und glo­ba­le Gerechtigkeit hat nach aus­führ­li­cher Abwägung schwe­ren Herzens beschlos­sen, das für den 14. bis 18. März in Frankfurt geplan­te Treffen von etwa 60 Aktivist:innen aus aller Welt abzu­sa­gen. Auch die öffent­li­chen Veranstaltungen, die die Versammlung beglei­ten soll­ten, fin­den nicht statt. Der Initiativkreis begrün­det die Absage wie folgt:

Die Global Assembly war von Anfang an als ein geschütz­ter Raum für den frei­en Meinungsaustausch unter den Teilnehmenden gedacht, die sich – mehr­heit­lich im glo­ba­len Süden – gegen Autoritarismus, Umweltzerstörung, sozia­le Ungerechtigkeit, Gewalt sowie jede Form der Diskriminierung enga­gie­ren und in ihren Ländern häu­fig von schwe­ren Repressionen bedroht oder bereits betrof­fen sind.

Schon seit Längerem erle­ben wir in der poli­ti­schen und media­len Debatte in Deutschland Versuche, post­ko­lo­nia­le Perspektiven aus der öffent­li­chen Diskussion zu ver­drän­gen. Praktisch jeder Versuch, den Verbrechen der ehe­ma­li­gen Kolonialmächte einen ange­mes­se­nen Platz in der Erinnerungskultur und im Diskurs über Menschenrechte zu ver­schaf­fen, wird als Relativierung des sin­gu­lä­ren deut­schen Verbrechens, der Shoah, gebrand­markt und unter Antisemitismus-Verdacht gestellt, auch dann, wenn nicht in Frage gestellt wird, dass die Shoah ein Menschheitsverbrechen von beson­de­rem Rang ist. Gerade des­halb haben wir lan­ge an einer Versammlung fest­ge­hal­ten, die intern und in der Öffentlichkeit den frei­en Austausch unter­schied­li­cher, men­schen­rechts­ba­sier­ter Sichtweisen in glo­ba­ler Perspektive ermög­licht hät­te. Genau dies ist den Teilnehmenden bei der „Vorversammlung“ im Mai 2023 in beein­drucken­der Weise gelungen.

Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und den zer­stö­re­ri­schen Gegenschlägen Israels hat sich die Situation in Deutschland noch­mals erheb­lich ver­schärft. Kritiker:innen von Israels Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas oder Organisationen, die sol­chen Kritiker:innen das Wort nicht ver­bie­ten wol­len, wer­den mit Vorwürfen über­zo­gen sowie mit admi­ni­stra­ti­ven Maßnahmen und dem Ausschluss von öffent­li­cher Finanzierung bedroht. Dabei wird der Vorwurf des Antisemitismus bezie­hungs­wei­se des „Israel-Hasses“ auch genutzt, um Äußerungen zu dele­gi­ti­mie­ren und damit indi­rekt zu zen­sie­ren, die zwar poli­tisch umstrit­ten sein mögen, etwa weil sie den Terror der Hamas nicht aus­drück­lich erwäh­nen, die aber mit Forderungen nach Vernichtung Israels oder anti­jü­di­schem Ressentiment nichts zu tun haben und des­halb der Meinungsfreiheit unter­lie­gen und im offe­nen Austausch unter­schied­li­cher poli­ti­scher Positionen dis­ku­tiert wer­den müss­ten. Durch eine sol­che Trivialisierung und Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs wird zudem der tat­säch­li­che Hass auf Jüdinnen und Juden und die Gewalt, die ihnen wider­fährt, in nicht hin­nehm­ba­rer Weise relativiert.

Die Organisator:innen und Träger:innen der Global Assembly haben bis zuletzt dar­an fest­ge­hal­ten, die­ser Diskursverengung eine Gelegenheit zum offe­nen Austausch auch kon­tro­ver­ser Perspektiven auf die Lage von Völkerrecht, Demokratie und Menschenrechten in Zeiten von zuneh­men­dem Autoritarismus und einer in viel­fa­cher Hinsicht zer­stö­re­ri­schen öko­no­mi­schen Globalisierung ent­ge­gen­zu­set­zen. Geleitet wur­den wir dabei von eini­gen selbst­ver­ständ­li­chen Grundsätzen, die wir wie folgt formulierten:

„Wir gehen davon aus, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Universalität der Menschenrechte sowie demo­kra­ti­sche Teilhabe für alle Menschen für uns alle die zen­tra­len Bezugspunkte sind. Diesen Anspruch ver­tre­ten wir gegen­über allen, die ihn ver­let­zen, unab­hän­gig davon, ob sie mit dem Recht eines Staates auf Verteidigung oder dem Recht nicht­staat­li­cher Akteure auf Widerstand begrün­det werden.“

In der beschrie­be­nen, zuge­spitz­ten Lage in Deutschland sehen wir nun kei­ne Möglichkeit mehr, die Debatte im Respekt vor der Universalität der Menschenrechte, aber eben auch mit der not­wen­di­gen Offenheit für abwei­chen­de und aus deut­scher Sicht womög­lich pro­vo­zie­ren­de Positionen zu füh­ren. Wir tei­len die Befürchtung von Teilen der die Versammlung tra­gen­den Organisationen, dass ver­sucht wer­den könnte,die Arbeit der ein­la­den­den Hilfsorganisationen und poli­ti­schen Stiftungen sowie ihrer Partnerorganisationen im glo­ba­len Süden zu behindern.

Der Initiativkreis der Global Assembly beob­ach­tet mit wach­sen­der Sorge die zuneh­men­de Verhinderung eines offe­nen, kri­ti­schen, aber von Respekt und Wertschätzung für Andersdenkende gepräg­ten Diskurses. Unsere Absage ist eine trau­ri­ge Konsequenz aus die­ser Entwicklung. Wir wer­den damit der Verantwortung gerecht, die Möglichkeiten für eine wirk­sa­me glo­ba­le Menschenrechtsarbeit nicht zu gefähr­den, doch wir voll­zie­hen die­sen Schritt mit Trauer und star­kem Unbehagen, ins­be­son­de­re gegen­über den Teilnehmer:innen – Aktivist:innen, die in ihren Ländern mutig für Menschenrechte und freie poli­ti­sche Willensbildung kämp­fen. Wir müs­sen uns ein­ge­ste­hen, dass der kom­mu­ni­ka­ti­ve Schutz- und Freiraum für sol­che Diskurse, wie ihn die Global Assembly bie­ten woll­te, der­zeit nicht gege­ben ist. Mit den Teilnehmenden sind wir im Gespräch, wie wir die bereits bear­bei­te­ten Themen der Global Assembly – öko­lo­gisch-sozia­le Krise, Autoritarismus und Demokratie, glo­ba­le (Un-)Gerechtigkeit, Flucht und Staatenlosigkeit, Gendergerechtigkeit – in ande­rer Form öffent­lich wei­ter dis­ku­tie­ren kön­nen. Wir wer­den nicht nach­las­sen in dem Bemühen, kri­ti­schen Stimmen gegen alle Versuche der Diskursverengung Gehör zu verschaffen.

Berlin/​Frankfurt am Main, 4.3.2024
Der Initiativkreis der Global Assembly für Menschenrechte, Demokratie und glo­ba­le Gerechtigkeit«
glo​ba​las​sem​bly​.de (4.3.24) (Hervorhebungen in blau nicht im Original.)

Der jüdi­sche israe­li­sche Historiker Moshe Zuckermann kri­ti­siert auf fr​.de am 7.3.24 die Entscheidung: "Der Antisemitismus-Vorwurf ist ein Fetisch: Die frei­wil­li­ge Absage der Global Assembly ver­stärkt sei­ne Wirksamkeit."

Reaktionen aus dem Globalen Süden sind zu lesen auf kom​mu​ni​sten​.de, eben­falls am 7.3.24. Auch die­ser Fraktion der tra­di­tio­nel­len Linken fällt nicht auf, in wel­chem Maße das Einüben von Gleichschaltung und Gehorsam in den Corona-Jahren das poli­ti­sche Klima zerstörten.

Update: Wie es der Zufall will, lese ich in "Alle Tage ein Gedicht" (Aufbau-Verlag 2013) heu­te die­ses vom Geheimen Legationsrat J W. G.

3 Antworten auf „Die Global Assembly ist abgesagt. Warum?“

  1. Tja. Als du im Okt. '23 über den Text über «Gesundheitsdiktatur» von Medico inter­na­tio­nal geschrie­ben hast, hast du gehofft, die wür­den sich irgend­wann mal an ihr selbst Geschriebenes und bis heu­te Publiziertes erinnern. 

    Pustekuchen. Es ist nicht nur so, dass man die sel­ber betrie­be­ne «Diskursverengung» nicht revi­diert. Medico macht ver­schärft und absurd wider­sprüch­lich weiter.

    Im Dez. '23 hat man mit dem Drosten der Soziologie (Amlinger) eine Art Gegneranalyse von sol­chen Leuten ver­an­stal­tet, die das sagen, was man sel­ber wei­ter­hin publi­ziert. Diese Veranstaltung (glei­cher Titel, wie­der mit Amlinger) war für die Assembly noch­mal geplant! Und jetzt beklagt man sich über just die Diskursverengung, die man sel­ber wei­ter betrei­ben woll­te. Übrigens wird der Begriff ver­wen­det, nur vier Jahre nach­dem Schrappe et al. ihn im «Thesenpapier 3.0 zu SARS-Cov‑2» (Juni 2020) ein­ge­führt haben. Von den Thesenpapieren wis­sen woll­te Medico nie etwas.

    Vllt. muss man das so ver­ste­hen: Die «Linke» ist 2020 falsch abge­bo­gen und wur­de zu dem Gegenteil von dem, was sie sein will (vom «Faschismus der kei­ner sein will» schreibt Ulrich Mies inzwi­schen). Und anstatt das irgend­wann mal zu reflek­tie­ren und zu kor­ri­gie­ren, beschleu­nigt man den Schritt immer weiter.

    Wenn's gestat­tet ist: Meine Dokumentation das Falls (im dop­pel­ten Sinne) Medico. (Enth. die Links.)
    https://​welt​ex​pe​ri​ment​.com/​2​3​w​b​.​h​t​m​l​#​d​i​s​k​u​r​s​v​e​r​e​n​g​ung

    Und dann das Zentralorgan des Wokeismus (taz): «Der Vorwurf des Antisemitismus wird in Deutschland infla­tio­när ver­wen­det.» – Selber ist man nicht spar­sam mit dem gleich­be­deu­ten­den Vorwurf jemand oder etwas sei «rächts».

    Ich fürch­te, der Klausnerkiez (oder Kreuzberg oder Prenzlauer Berg oder wo sich die­ses Milieu befin­det) ist ideo­lo­gisch mausetot.

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