Verwirrspiel mit Stiko-Empfehlung zu Grippeimpfung

Zahlreiche Medien ver­öf­fent­lich­ten am 31.10.24 unge­prüft eine dpa-Meldung, in der es heißt:

»Jährliche erkran­ken etli­che Menschen an einer Grippe. Bei den Impfquoten ist aber noch Luft nach oben. Ein neu­er Wirkstoff soll helfen.

Zum Schutz gegen die Grippe emp­fiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) für Menschen ab 60 ab sofort einen wei­te­ren Impfstoff. Der Influenza-Wirkstoff ent­hält laut einer Mitteilung MF-59, einen Zusatz, der die Impfwirkung ver­stärkt.«

Die dies­be­züg­lich stets über­eif­ri­gen "RedakteurInnen" von t‑online.de ersetz­ten dabei das Wort "etli­che" durch "hun­dert­tau­sen­de". Am 1.11.24 kor­ri­gier­te dpa: "Der neue Grippe-Impfstoff wird erst ab näch­stem Jahr emp­foh­len und nicht ab sofort. Die Angaben im ersten Absatz wur­den ent­spre­chend ange­passt". Doch auch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Tatsächlich teil­te die Stiko am 31.10.24 mit, inter­es­san­ter­wei­se ohne Produktnamen zu nennen:

»Die STIKO emp­fiehlt allen Personen im Alter von ≥60 Jahren im Herbst eine jähr­li­che Impfung gegen die sai­so­na­le Influenza mit einem inak­ti­vier­ten Hochdosis-(HD-)Influenza-Impfstoff oder einem MF-59-adju­van­tier­ten Influenza-Impfstoff, jeweils mit der aktu­el­len, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) emp­foh­le­nen Antigenkombination.

Anmerkung
Die Veröffentlichung die­ser Empfehlung zu die­sem Zeitpunkt, unab­hän­gig von der aktu­el­len Verfügbarkeit von MF-59-adju­van­tier­ten oder HD-Influenza-Impfstoffen, soll gewähr­lei­sten, dass der ent­spre­chen­de Impfstoffbedarf bei der Planung, Produktion und Beschaffung von Influenza-Impfstoffen ab der Saison 2025/​26 berück­sich­tigt wer­den kann…«
rki​.de (31.10.24)

Mehr weiß das Lobbyorgan phar​ma​zeu​ti​sche​-zei​tung​.de am 31.10.24: "Nun soll der Untereinheitenimpfstoff Fluad® von Seqirus hin­zu­kom­men, der einen Wirkverstärker ent­hält".

Wir wer­den noch dazu kom­men, daß die­ser Stoff bereits seit Jahren von der EMA zuge­las­sen und auf dem Markt ist. Kommen wir zunächst zur "Wissenschaftlichen Begründung" der Stiko.

Literaturrecherche

Für sei­ne Bewertung führ­te die Stiko eine Literaturrecherche durch. Von ursprüng­lich 1.093 Datensätzen blie­ben nach ver­schie­de­nen Ausschlußkriterien 7 Studien, die "Daten zur rVE der Impfstoffe", und 10, die "Daten zur Sicherheit (jeweils im Vergleich zum Standardimpfstoff)" lie­fer­ten. "rVE" steht für "rela­ti­ve vac­ci­ne efficacy/​effectiveness". Zu dem so erfass­ten "Evidenzkörper" gehör­ten wei­te­re 42 Studien, die bei der Stiko-Entscheidung von 2021 aus­ge­wer­tet wurden.

Zum jetzt emp­foh­le­nen "MF-59-adju­van­tier­ten Influenza-Impfstoff" wird fest­ge­stellt: "Die rVESchätzungen waren sehr hete­ro­gen und reich­ten von –30 bis 88%, wobei nur 2 Schätzer sta­ti­stisch signi­fi­kant waren. Aufgrund der Heterogenität wur­de kei­ne Meta-Analyse durch­ge­führt. Bei der Aktualisierung wur­den kei­ne zusätz­li­chen Studien iden­ti­fi­ziert." Das gilt für die "labor­be­stä­tig­te Influenza". Für die "Influenza-beding­te Hospitalisierung" wird berich­tet: "Im Basisreview wur­den kei­ne Studien ermit­telt, die den Einschlusskriterien der Aktualisierung ent­spra­chen". Dann kom­men zwei wei­te­re retro­spek­ti­ve Studien ins Spiel, die 2024 in den USA ver­öf­fent­licht wur­den. Sie ver­glei­chen "geimpf­te Personen (HD oder MF-59-adju­van­tiert) im Alter von ≥65 Jahren" – die Stiko-Empfehlungen rich­ten sich an Menschen ab 60 Jahren.

Schäden sollen Impfakzeptanz erhöhen

Unter "Unerwünschte Effekte (Schaden/​Harms)" wird mit­ge­teilt, daß bei dem "MF-59-adju­van­tier­ten Influenza-Impfstoff" und dem "Standard-Influenza-Impfstoff" zwei bzw. drei "Fälle eines GuillainBarré-Syndroms" auf­ge­tre­ten waren, aber "kei­ne Fälle von Narkolepsie". Für den "Hochdosis-(HD)-Influenza-Impfstoff" wer­den sechs schwe­re uner­wünsch­te Ereignisse gemel­det, "dar­un­ter Neuropathie, Hirnnerv-VI-Lähmung, Schock, Morbus Crohn, Myasthenia gra­vis und Enzephalomyelitis". 

Man redet sich ein:

»Trotz der etwas aus­ge­präg­te­ren Reaktogenität des HD- sowie des MF-59-adju­van­tier­ten Impfstoffs könn­te durch die Änderung der Empfehlung die Impfakzeptanz wei­ter stei­gen und zu höhe­ren Impfquoten füh­ren, da bei­de Impfstoffe eine kli­nisch rele­van­te, ver­bes­ser­te Wirksamkeit gegen­über kon­ven­tio­nel­len Influenza-Impfstoffen haben und durch die Öffnung der Empfehlung 2 wir­kungs­ver­stärk­te Influenza-Impfstoffe zur Verfügung ste­hen. Mit einer Minderung der Impfakzeptanz durch die Empfehlungsänderung ist nicht zu rech­nen.«

Gesundheitsökonomische Analyse

Sie darf natür­lich nicht feh­len in der "wis­sen­schaft­li­chen Begründung" und ist ellen­lang. Unverblümt wer­den den Herstellern Preiserhöhungen empfohlen:

»Die Analyse kam zu dem Ergebnis, dass unter den o.g. Annahmen die wir­kungs­ver­stärk­ten InfluenzaImpfstoffe aus gesell­schaft­li­cher Sicht kosten­ein­spa­rend wären bei einem iden­ti­schen Preis zu den her­kömm­li­chen Influenza-Impfstoffen (durch­schnitt­li­cher Preis von 15,97 Euro). Zudem blie­ben die wir­kungs­ver­stärk­ten Influenza-Impfstoffe bei einem Preisanstieg um bis zu ca. 20% aus gesell­schaft­li­cher Sicht kosten­ein­spa­rend. Ein dop­pelt so hoher Impfstoffpreis im Vergleich zu den her­kömm­li­chen Influenza-Impfstoffen läge unter­halb einem inkre­men­tel­len Kosten-Effektivitätsverhältnis von 50.000 Euro/​QALY (ent­spricht 100% Preisanstieg, sie­he Abbildung 1 der wis­sen­schaft­li­chen Begründung der STIKO aus dem Jahr 2021). Bei einer rVE von 30% wären selbst 2,5‑fach höhe­re Impfstoffpreise unter­halb einem inkre­men­tel­len Kosten-Effektivitätsverhältnis von 50.000 Euro/​QALY (ent­spricht 250% Preisanstieg). Die Annahmen für eine Modellierung wur­den auf­grund der ver­füg­ba­ren Evidenz getrof­fen…«

"Ethische Aspekte spielen bei der Empfehlung eine untergeordnete Rolle"

In der Zusammenfassung heißt es:

»Die STIKO geht davon aus, dass die Empfehlung bei­der Impfstoffe auf­grund ihrer ver­bes­ser­ten Wirksamkeit und der Verfügbarkeit zwei­er wir­kungs­ver­stärk­ter InfluenzaImpfstoffe zu einer höhe­ren Akzeptanz und Impfbereitschaft in der Zielpopulation füh­ren könn­te. Die Ergebnisse einer gesund­heits­öko­no­mi­schen Evaluation aus dem Jahr 2021 deu­ten auf die höhe­re Kosteneffizienz der wir­kungs­ver­stärk­ten InfluenzaImpfstoffe im Vergleich zu den her­kömm­li­chen Influenza-Impfstoffen für Personen im Alter von ≥60 Jahren hin, abhän­gig von den Impfstoffpreisen. Ethische Aspekte spie­len bei der Empfehlung eine unter­ge­ord­ne­te Rolle…«

Ein neuer Impfstoff?

Man könn­te den Eindruck haben, die Stiko-Empfehlung bezö­ge sich auf ein neu­es Präparat. Tatsächlich war bereits im Januar 2024 zu lesen:

»Von 65 auf 50: Den adju­van­tier­ten Grippeimpfstoff Fluad Tetra spe­zi­ell für älte­re Menschen dür­fen die­se nun bereits ab einem Alter von 50 Jahren erhal­ten. Zuvor durf­te der CSL-Seqirus-Grippeschutz erst ab 65 Jahren geimpft werden.

Bereits im Dezember 2023 erwei­ter­te die Europäische Kommission nach Empfehlung des Humanarzneimittelausschusses der EMA (9. November 2023) die Indikation für den Grippeimpfstoff Fluad Tetra®, sodass sich seit­her älte­re Menschen schon ab 50 Jahren damit jähr­lich vor Influenza schüt­zen können…

CSL Seqirus ver­stärkt die Impfwirkung bei Fluad Tetra® durch ein Adjuvans (MF59C.1)…«

Diese Empfehlung der EMA war der Stiko offen­bar zu hei­kel. Ohne Evidenz laviert sie nun bei der Altersangabe. Der Link führt zu einem Arikel, aus dem her­vor­geht, daß schon im Frühjahr 2020 der Stoff von der EMA zuge­las­sen wur­de, mit genann­ter Altersbeschränkung ab 65:

deut​sche​-apo​the​ker​-zei​tung​.de (21.4.20)

»Der Humanarzneimittelausschuss der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA hat Ende März einen neu­en Grippeimpfstoff zur Zulassung emp­foh­len: Fluad Tetra – noch nie dage­we­sen ist Fluad aber nicht. Bislang setz­te Hersteller Seqirus jedoch nur auf den tri­va­len­ten Impfschutz bei der adju­van­tier­ten Influenzavkazine. Nun wird Fluad, das nur für Ältere ab 65 Jahren zuge­las­sen ist, vierfach…«

Übrigens ver­glich eine der in der Begründung genann­ten US-Studien nur tri­va­len­te Stoffe. Insgesamt hat es den Anschein, als ob die Stiko das Thema in den Medien hal­ten will, auch wenn sie kei­ne neu­en Erkenntnisse hat. Daß die ange­deu­te­ten Lieferengpässe einen ähn­lich durch­schla­gen­den Erfolg haben wer­den wie bei Corona, darf getrost bezwei­felt werden.


Im Beipackzettel von Fluad Tetra ist zu lesen:


Seqirus hat natür­lich auch etwas gegen die Vogelgrippe im Angebot, sogar auf mRNA-Basis. Siehe:

Das Unternehmen ist damit gut im Geschäft:

Update:

6 Antworten auf „Verwirrspiel mit Stiko-Empfehlung zu Grippeimpfung“

  1. EXCLUSIVE: Stanley Plotkin on the lack of vac­ci­ne-safe­ty science
    The ‘god­fa­ther’ of vac­ci­nes responds to his pro­vo­ca­ti­ve edi­to­ri­al about the lack of vac­ci­ne safe­ty studies.
    Maryanne Demasi, PhD
    Oct 23, 2024 ∙ Paid

    Further,
    a table in the edi­to­ri­al shows the ‘bio­lo­gi­cal mecha­nism’ for most vac­ci­ne inju­ries is not under­s­tood – from the 1976 Swine flu vac­ci­ne to the 1988 Rotavirus vac­ci­ne to the cur­rent day covid-19 vaccines.
    [Link der Tabelle eingefügt
    https://​sub​stack​-post​-media​.s3​.ama​zo​naws​.com/​p​u​b​l​i​c​/​i​m​a​g​e​s​/​c​e​3​3​3​b​e​9​-​3​7​a​e​-​4​a​7​9​-​9​1​7​5​-​e​b​8​7​1​4​3​0​c​7​4​f​_​1​2​2​4​x​5​9​3​.​png ]

    https://​blog​.maryan​ne​de​ma​si​.com/​p​/​e​x​c​l​u​s​i​v​e​-​s​t​a​n​l​e​y​-​p​l​o​t​k​i​n​-​o​n​-​t​h​e​?​u​t​m​_​s​o​u​r​c​e​=​p​o​s​t​-​e​m​a​i​l​-​t​i​t​l​e​&​p​u​b​l​i​c​a​t​i​o​n​_​i​d​=​1​0​4​4​4​3​5​&​p​o​s​t​_​i​d​=​1​5​0​5​0​4​3​1​0​&​u​t​m​_​c​a​m​p​a​i​g​n​=​e​m​a​i​l​-​p​o​s​t​-​t​i​t​l​e​&​i​s​F​r​e​e​m​a​i​l​=​f​a​l​s​e​&​r​=​1​g​r​4​x​q​&​t​r​i​e​d​R​e​d​i​r​e​c​t​=​t​r​u​e​&​u​t​m​_​m​e​d​i​u​m​=​e​m​ail

    s.a.
    Suchbegrife
    "klaus hart­mann impfstoffe"
    bzw.
    klaus hart­mann impf­stof­fe adjuvantien

  2. Ja genau. Vögel sind gen­tisch unse­re näch­sten Verwandten und das Milcheiweiß von Vögeln ist genau­so auf­ge­baut wie das Milcheiweiß mensch­li­cher Muttermilch. Und man­che Menschen fan­gen spon­tan mit Gackern an nach­dem sie zum Frühstück ein Ei geges­sen haben.

  3. Auszug
    Die neu­en Grippeimpfstoffe für 2024/​25

    Die Anbieter tetra­va­len­ter Totimpfstoffe erhal­ten jedoch für die Rückumstellung auf tri­va­len­te Vakzinen ohne B/​Yamagata Aufschub bis zur Saison 2025/​26.

    https://​www​.arz​nei​-tele​gramm​.de/​h​t​m​l​/​2​0​2​4​_​0​8​/​2​4​0​8​0​6​2​_​0​1​.​h​tml

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