EU-Behörde findet in 6 % der untersuchten Kosmetika verbotene Chemikalien

VerbraucherInnen wird gera­ten, die Beipackzettel zu lesen, Firmennamen blei­ben geheim. Interessant ist, was nicht in die­ser dpa-Meldung vom 30.10.24 steht und was der eigent­li­che Skandal ist:

zeit​.de (30.10.24)

»Fast 300 auf dem euro­päi­schen Markt erhält­li­che Kosmetikprodukte ent­hal­ten gesund­heits­ge­fähr­den­de oder umwelt­schäd­li­che Chemikalien. Das geht aus einem Bericht der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) hervor. 

Die EU-Behörde mit Sitz in Helsinki fand unter ande­rem in Eyelinern und Liplinern sowie in Haarspülungen und Haarmasken Inhaltsstoffe, die in sol­chen Produkten ver­bo­ten sind, weil sie in der Umwelt nur lang­sam abge­baut wer­den oder im Verdacht ste­hen, der Fruchtbarkeit zu scha­den oder krebs­er­re­gend zu sein.

Liste der Inhaltsstoffe angesehen

Die ECHA hat im Zeitraum von November 2023 bis April 2024 knapp 4.500 Kosmetika in 13 euro­päi­schen Ländern unter­sucht – unter ande­rem in Deutschland, Österreich, Dänemark und Italien. Dabei haben sich die Fachleute vor allem die Liste der Inhaltsstoffe angesehen.

285 der unter­such­ten Produkte – rund 6 Prozent – ent­hiel­ten dem Bericht zufol­ge gefähr­li­che Chemikalien. Dabei han­del­te es sich haupt­säch­lich um die Stoffe Perfluorononyl Dimethicone und Decamethylcyclopentasiloxan, auch D5 oder Cyclopentasiloxane genannt. Der erst­ge­nann­te Stoff gehört zu den PFAS-Chemikalien. Diese wer­den auch Ewigkeitschemikalien genannt, weil sie sich in der natür­li­chen Umwelt nicht abbauen.

Laut ECHA-Bericht haben die natio­na­len Behörden Maßnahmen ergrif­fen, um die Produkte mit den gefähr­li­chen Inhaltsstoffen vom Markt zu ent­fer­nen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lie­fen die Nachforschungen dem­nach noch in etwa der Hälfte der Fälle.

Gefährliche Stoffe in Kosmetika sämt­li­cher Preiskategorien gefunden

Die Chemikalienagentur rät Verbraucherinnen und Verbrauchern, die Liste der Inhaltsstoffe bei Kosmetika auf die oben genann­ten Chemikalien hin zu über­prü­fen. Die Behörde unter­strich, dass die gefähr­li­chen Stoffe in Produkten sämt­li­cher Preiskategorien gefun­den wurden.

An dem ECHA-Projekt nah­men Deutschland, Österreich, Dänemark, Finnland, Island, Italien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Norwegen, Rumänien und Schweden teil. Wie vie­le Produkte in wel­chen Ländern gefähr­li­che Inhaltsstoffe ent­hiel­ten, ging aus dem Bericht nicht her­vor.«

Schon das hier Berichtete hat es in sich. Ein hal­bes Jahr haben die euro­päi­schen Fachleute Inhaltslisten stu­diert und dabei gefähr­li­che Chemikalien in 6 % der Proben ent­deckt. Die Untersuchung lief bis April 2024, Ende Oktober gibt es den guten Ratschlag an die VerbraucherInnen, selbst auf die Beipackzettel zu schau­en. Nachforschungen gab es dem­nach nur bei der Hälfte der Fälle. Wir wer­den gleich sehen, wel­che Maßnahmen ergrif­fen bzw. nicht ergrif­fen wurden.

Was sagt die Behörde?

Doch schau­en wir zunächst auf die Mitteilung der Behörde selbst. Dort heißt es: "Die natio­na­len Aufsichtsbehörden in 13 Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) haben fast 4.500 Kosmetikprodukte über­prüft und dabei vor allem die Liste der Inhaltsstoffe unter­sucht". Es war also nicht die EU-Behörde selbst, die die "Prüfung" durch­führ­te. In der BRD sind die Aufsichtsbehörden bei dut­zen­den Landratsämtern ange­sie­delt (s. bvl​.bund​.de), die grund­sätz­li­che Bewertung soll das Bundesinstitut für Risikobewertung vor­neh­men (s. bfr​.bund​.de). Doch damit nicht genug. In einem aus­führ­li­chen Report der ECHA vom 25.10.24 ist zu lesen:

»Jede NEA konn­te die Kosmetikprodukte, die es im Rahmen des Projekts auf ver­schie­de­ne ein­ge­schränk­te Stoffe und die damit ver­bun­de­nen gesetz­li­chen Anforderungen prü­fen woll­te, frei aus­wäh­len. Die Prüfung erfolg­te haupt­säch­lich auf der Grundlage der auf den Kosmetikprodukten selbst oder auf der Website des aus­ge­wähl­ten Produkts ange­ge­be­nen Inhaltsstoffe. Eine wei­te­re Möglichkeit bestand dar­in, Labortests durch­zu­füh­ren, um das Vorhandensein der ein­ge­schränk­ten Stoffe zu über­prü­fen.«
NEA = National enforce­ment authority

Das führ­te zu völ­lig unein­heit­li­chen Methoden und Ergebnissen:

»Die in den ver­schie­de­nen Mitgliedstaaten fest­ge­stell­te Nichteinhaltungsrate vari­ier­te stark zwi­schen 0 und 52,6 %. Dieser Unterschied lässt sich auf die unter­schied­li­chen Methoden zurück­füh­ren, die die Mitgliedstaaten zur Identifizierung der zu kon­trol­lie­ren­den Produkte anwen­den. So hat bei­spiels­wei­se ein Mitgliedstaat 54 % aller im Rahmen die­ses Projekts kon­trol­lier­ten Kosmetikprodukte über­prüft und bei 3,5 % der Produkte Verstöße fest­ge­stellt, wäh­rend ein ande­rer Mitgliedstaat nur 15 % der Produkte kon­trol­lier­te und bei 60,4 % der Produkte Verstöße feststellte.«

Kaum Tests und Firmennamen verschwiegen

Die oben genann­ten Labortests wur­den gera­de ein­mal für 2 % der Produkte durch­ge­führt, wobei "che­mi­sche Analysen im Rahmen die­ses Projekts auf frei­wil­li­ger Basis von den NEA durch­ge­führt" wur­den.

Ein Knaller ist die­se lapi­da­re Formulierung:

»Die Firmennamen, Marken, Typen (z. B. Spülung, Lippenstift) und alle ande­ren Identifikatoren der nicht kon­for­men Kosmetikprodukte wur­den für die­ses Projekt nicht gemel­det.«

Bei fast der Hälfte der gefähr­li­chen Kosmetika war im Laufe eines hal­ben Jahres die Rolle des Firmen nicht festzustellen:

echa​.euro​pa​.eu

Die Behörde meint, das sei auch nicht wich­tig, denn:

»Die wich­tig­ste iden­ti­fi­zier­te Rolle der inspi­zier­ten Unternehmen war die des Händlers oder die Rolle war „unbe­kannt“. Die hohe Anzahl der Rolle „unbe­kannt“ unter den Unternehmen war auf die Art der durch­ge­führ­ten Inspektionen (Online-Inspektionen) zurück­zu­füh­ren und dar­auf, dass es kei­ne Notwendigkeit gab, die Rolle für die effi­zi­en­te Durchsetzung der Vorschriften zu ermit­teln.«

Augenbrauen werden hochgezogen

»Durchsetzungsmaßnahmen und Folgeaktivitäten 

… Es ist wich­tig zu beto­nen, dass die Vollzugsbehörden pro Fall meh­re­re Maßnahmen hät­ten ergrei­fen kön­nen. Die am häu­fig­sten ange­wand­te Durchsetzungsmaßnahme war die Erteilung einer schrift­li­chen Empfehlung (in 80 % der Fälle, in denen Verstöße fest­ge­stellt wur­den). Dies deu­tet dar­auf hin, dass die Behörden die Pflichtenträger zur Einhaltung der Vorschriften anlei­ten, ohne auf stren­ge­re Strafmaßnahmen zurück­zu­grei­fen, oder dass die Unternehmen selbst frei­wil­lig Maßnahmen ergrif­fen haben…

In 6 % der Fälle, in denen die Vorschriften nicht ein­ge­hal­ten wur­den, erlie­ßen die Durchsetzungsbehörden behörd­li­che Anordnungen, was bedeu­tet, dass for­mel­le­re und recht­lich bin­den­de­re Maßnahmen erfor­der­lich waren, um die Nichteinhaltung zu behe­ben. Beispiele für ande­re Maßnahmen, die von den Behörden ergrif­fen wur­den, waren – um nur eini­ge zu nen­nen – die Weiterleitung des Falls an den Mitgliedstaat des Herstellers, die Durchführung che­mi­scher Analysen zur Bestimmung von Grenzwerten oder die inter­ne Weiterleitung des Falls an eine ande­re föde­ra­le Durchsetzungsbehörde.«

Für 15 Fälle wird eine "Strafanzeige/​Übergabe an die Staats­anwaltschaft" genannt.

Allen Ernstes führt die Behörde als Gründe für ihr Verhalten unter ande­rem an:

      • »… Die Umwandlung des Stoffnamens in sei­ne che­mi­sche Struktur erfor­dert detail­lier­te Informationen und che­mi­sches Verständnis, um die Auflagen durch­set­zen zu kön­nen. Diese Ressourcen kön­nen in den NEA begrenzt sein.
      • In man­chen Fällen ist es nicht mög­lich, anhand des INCI-Namens zu erken­nen, ob der Stoff Beschränkungen unterliegt. 
      • Einige Unternehmen wuss­ten nicht, dass die Stoffe in ihren Produkten Beschränkungen unter­lie­gen…«

Was behaup­tet das Bundesinstitut für Risikobewertung?

bfr​.bund​.de

Im Text heißt es hingegen:

»Müssen kos­me­ti­sche Mittel oder deren Inhaltsstoffe zuge­las­sen werden? 

Kosmetische Mittel sind nicht zulas­sungs­pflich­tig. Bestimmte Inhaltsstoffe wie Farbstoffe, Konservierungsstoffe und UV-Filter wer­den aller­dings vom Wissenschaftlichen Ausschuss Verbrauchersicherheit (SCCS) der EU-Kommission bewer­tet, bevor sie in soge­nann­te Positivlisten auf­ge­nom­men wer­den. Sind die­se Inhaltsstoffe in den Positivlisten auf­ge­führt, dür­fen sie für den jeweils ange­ge­be­nen Zweck ver­wen­det wer­den. Daneben exi­stiert auch noch eine Liste mit Inhaltsstoffen, deren Einsatz in Kosmetika ver­bo­ten ist, sowie eine wei­te­re Liste, die für bestimm­te Stoffe Einsatzbeschränkungen, maxi­ma­le Höchstkonzentrationen oder Warnhinweise vorschreibt…

Welche Aufgaben nimmt das Bundesinstitut für Risikobewertung im Zusammenhang mit kos­me­ti­schen Mitteln wahr? 

Das BfR bewer­tet Inhaltsstoffe kos­me­ti­scher Mittel hin­sicht­lich ihres gesund­heit­li­chen Risikos, ins­be­son­de­re dann, wenn neue wis­sen­schaft­li­che Daten vor­lie­gen. Bei der Bewertung wird das Institut von einem Gremium aus exter­nen Experten, der Kommission für kos­me­ti­sche Mittel, bera­ten. Die eigent­li­che Bewertung selbst erfolgt jedoch aus­schließ­lich durch Mitarbeitende des BfR…«

Es folgt eine lan­ge Liste von Unbedenklichkeitserklärungen. Kein Wunder, das BfR ist so unab­hän­gig wie das RKI:

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

Eine Antwort auf „EU-Behörde findet in 6 % der untersuchten Kosmetika verbotene Chemikalien“

  1. >> VerbraucherInnen wird gera­ten, die Beipackzettel zu lesen, Firmennamen blei­ben geheim.<<

    Da macht ja das Lesen der Beipackzettel rich­tig Sinn wenn nicht ein­mal der Firmenname draufsteht.

    Ansonsten wie­der die übli­che üble Masche mit der Behauptung daß der Käufer mit sei­nem Kauf, nach dem Lesen der Beipackzettel, über Inhalte entscheidet.

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