Dunkle Wolken und zusammengereimte Forschung

Christina Berndt weiß, was aktu­ell in die Köpfe muß. Unter einem Foto eines rosa Bonbons mit der denk­wür­di­gen Bildunterschrift "Das Gehirn ist wie ein Bonbon: Es kann einen jeden Tag erfreu­en, aber wenn ein Unglück pas­siert oder man nicht gut dar­auf auf­passt, wird es unbrauch­bar" und dem Titel

sued​deut​sche​.de (25.10.24)

schreibt die "Wissenschaftsredakteurin" der SZ:

»Das Thema Alzheimer erscheint der­zeit noch düste­rer als sonst. Als wären Demenzerkrankungen nicht schon bela­stend genug, sind zuletzt wei­te­re dunk­le Wolken auf­ge­zo­gen. Da hör­te man von jah­re­lan­ger Forschungsfälschung auf die­sem Gebiet. Noch dazu wur­den zwei neue Alzheimer-Medikamente, die in den USA und Japan längst ver­füg­bar sind, in der EU bis­her nicht zuge­las­sen. Einem der Medikamente hat die EU-Arzneimittelbehörde EMA sogar eine kla­re Absage erteilt: Zu gering sei der Nutzen, zu groß die Risiken. So schlägt sich der Nebel, den Demenzen im Gehirn ver­ur­sa­chen, gera­de auch auf die Seelen all derer, die die Krankheiten immer stär­ker auf sich zukom­men sehen…

Die Zahl der Betroffenen könn­te enorm steigen.

Aber es gibt durch­aus Hoffnung. Auch wenn es offen­kun­dig Forschende gibt, die sich ihre Daten zusam­men­rei­men wie man­cher Demenzpatient die bösen Geister, die er sieht, so hat die Forschung erheb­li­che Fortschritte gemacht. Das zei­gen auch die neu­en Medikamente.

Diese Arzneien sind gewiss noch nicht die Lösung. Sie kön­nen Alzheimer weder stop­pen noch hei­len, und sie kön­nen gefähr­li­che Nebenwirkungen haben. Aber sie stel­len hof­fent­lich einen Anfang dar…«

Neben der Pharma-PR gibt es gute Tips:

»Man kann etwas tun. Da ist zual­ler­erst der Lebensstil. Wer gei­stig, kör­per­lich und sozi­al aktiv ist, senkt sein Risiko erheb­lich. Schutz bie­tet auch der Verzicht auf Rauchen und Alkohol und die Behandlung von ver­schwä­ger­ten Krankheiten wie Bluthochdruck, Hörstörungen und Depressionen. So las­sen sich bis zu 40 Prozent aller Alzheimerfälle ver­hin­dern. Das muss stär­ker in die Köpfe.«

SZ-Gesundheitsforum

Am 25.11.24 wird Frau Berndt zu die­sem Thema ein Online-Forum mode­rie­ren, für das man sich kosten­los anmel­den kann. Dort soll u.a. dis­ku­tiert werden:

Drei ExpertInnen wer­den teil­neh­men. Einer ist Prof. Dr. Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie des Klinikums der Universität München. Er wuß­te am 27.3.20 von Belastungen sei­ner PatientInnen durch die Corona-Maßnahmen:

»… Woran zeigt sich die Belastung?

Falkai: An Schlafstörungen zum Beispiel, an Angst und inne­rer Unruhe. Bei Patienten, deren psy­chi­sche Krankheit gut kon­trol­liert war, keh­ren Symptome zurück. Manche spü­ren auf ein­mal Druck auf der Lunge und fürch­ten, das sei Corona. Es ist aber ein Symptom ihrer Angst. Eine älte­re Patientin sag­te mir: Es ist wie­der Krieg. Es ist genau wie frü­her. Wir haben Angst. Das kann zu Retraumatisierungen füh­ren, zu einem Wiederaufleben von Traumata.Auch die Zahl von Personen aus der gesun­den Bevölkerung, die sich bei uns mel­den, steigt.

Die Ausgangsbeschränkungen in Bayern ver­bie­ten es, Freunde zu tref­fen. Wer allein wohnt, bleibt allein. Welche Auswirkungen hat die­se Maßnahme auf die psy­chi­sche Gesundheit der Betroffenen?

Falkai: Chronischer Konflikt plus Einsamkeit: Das trifft die psy­chi­sche Gesundheit emp­find­lich. Alleinsein kön­nen Menschen ganz schlecht, wir sind im Kern sozia­le Wesen, die sich am wohl­sten in klei­nen Gruppen füh­len. Ältere Menschen, die kei­ne Kontakte haben, wer­den krank. Vier Wochen lang kann man das aus­hal­ten. Hält es län­ger an, wird es schwierig…

Was ist Ihre Hoffnung?

Falkai: Ich hof­fe, in vier Wochen wer­de die Maßnahmen etwas gelockert. Denn wenn wir lan­ge so wei­ter fah­ren, steigt die Gefahr psy­chi­scher Erkrankungen mehr und mehr an. Die Politik muss den Menschen das Gefühl geben, dass sie die Sache im Griff hat und sich jemand um sie küm­mert. Virologische Maßnahmen allein genü­gen nicht. Man muss die psy­chi­sche Gesundheit und Resilienz stär­ken. Menschen brau­chen Zuversicht, das ist ganz wich­tig…«
lmu​.de (27.3.20)

Im Oktober 2020 erklär­te er:

»… Da sehen wir beun­ru­hi­gen­de Bilder aus China und Italien. Dann sehen wir die Kanzlerin, die sich mit einer besorg­ten und mah­nen­den Ansprache an die Bevölkerung wen­det. Den Ministerpräsidenten, der immer wie­der betont, wie ernst die Lage ist. Da kann man schnell das Gefühl bekom­men: Oh Gott, die Welt geht unter. Es ist ganz natür­lich, dass der­zeit vie­le Menschen Angst haben. Derjenige, der momen­tan gar kei­ne Sorgen hat, der hat ziem­lich gute Nerven.

Was kann man gegen die­se Angst tun?

Prof. Dr. Peter Falkai: Natürlich kann man ver­su­chen, sich abzu­len­ken. Aber man kann sich auch ratio­nal fra­gen: Was kann mir und mei­ner Gesundheit wirk­lich pas­sie­ren? Ja, es kann sein, dass ich krank wer­de. Aber 80 Prozent der Infizierten haben einen leich­ten Verlauf. Wenn ich gesund und fit bin, wer­de ich wahr­schein­lich einen leich­ten Verlauf haben. Und, wie schon gesagt, leben wir in einem Land mit einem sehr guten Gesundheitssystem. Diese ratio­na­len Gedanken kön­nen hel­fen…«
tz​.de (19.10.20)

Das Gerede über das "Wissen von heu­te" und daß damals doch nie­mand von den Schäden der Maßnahmen etwas ahnen konn­te, wird auch hier wider­legt. Der Psychiater beschreibt die Angstmache der Regierenden und die Folgen, die dar­aus ent­stan­den. Doch wie bei so vie­len mün­det die Erkenntnis nicht in einen Appell an die EntscheiderInnen, dem Wahnsinn ein Ende zu berei­ten. Falkai beschränkt sich auf gut­ge­mein­te Tips zum Überleben und posi­ti­vem Denken.

Wider besseres Wissen

Gleichzeitig mach­te Falkai sich die medi­al ver­brei­te­ten Legenden zu eigen. In einer am 22.8.20 mit­ver­faß­ten Arbeit "Patienten mit psy­chi­schen Erkrankungen und einer SARS-CoV-2-Infektion" behaup­tet er: "Auch in Deutschland steigt erneut die Zahl der posi­tiv auf SARS-CoV‑2 gete­ste­ten und auch der sta­tio­när behand­lungs­be­dürf­ti­gen Personen dyna­misch an []". Hätte er wirk­lich die ver­link­ten RKI-Dokumente ange­se­hen, dann wäre ihm im Lagebericht vom 22.8.20 die­ses Diagramm aufgefallen:

rki​.de (22.8.24)

Halbwegs rele­vant sind ledig­lich die blau­en Balken. Die gel­ben zei­gen "Fälle", bei denen "der Erkrankungsbeginn nicht bekannt bzw. sind die­se Fälle nicht sym­pto­ma­tisch erkrankt" [sic]. Dennoch beschreibt Falkai einen "5‑stufigen Pandemieplan" sei­ner Hochschule, der auch "Erlösausfälle sowie Defizite der Krankenhäuser" ver­mei­den soll. Einschränkungen des Betriebs resul­tie­ren aus "Erkrankungen der Mitarbeiter, Quarantäne sowie der Schließung von Schulen". Schon hier wird erkenn­bar, daß nur ein klei­ner Teil "durch die Pandemie" ver­ur­sacht wird und ein erheb­lich grö­ße­rer durch inad­äqua­te "Maßnahmen". Doch auch die fol­gen­de Beschreibung der Herausforderungen für psy­chisch Kranke zeigt ein­drucks­voll, daß nicht in erster Linie eine medi­zi­nisch ver­stan­de­ne Bedrohung im Vordergrund steht:

»Durch die Pandemie ist in hohem Maße auch die Gesundheit von Menschen mit psy­chi­schen Erkrankungen bedroht, die als beson­ders gefähr­de­te Bevölkerungsgruppe gel­ten []. Gründe hier­für sind u. a. eine sozia­le Ausgrenzung und Stigmatisierung im Zusammenhang mit chro­ni­schen Krankheiten wie Schizophrenie oder Depression und psy­chi­sche sowie soma­ti­sche Komorbiditäten (Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunschwäche unter anti­psy­cho­ti­scher Medikation wie Clozapin).

Menschen mit psy­chi­schen Erkrankungen zei­gen häu­fig einen chro­ni­schen Krankheitsverlauf mit ver­kürz­ter Lebensdauer [] und haben häu­fig mit sozio-öko­no­mi­schen Schwierigkeiten zu kämp­fen: Wohnen, Zugang zu Bildung und Beschäftigung und sozia­le Verbindungen sind auf­grund man­geln­der Kommunikations- und Beziehungsfähigkeiten deut­lich erschwert. Menschen mit psy­chi­schen Erkrankungen leben häu­fig allein, sind iso­liert und nicht leicht in der Lage, zusätz­li­che Unterstützung zu for­dern, soll­ten sie an COVID-19 erkran­ken. Aber auch eine zuneh­men­de Stressbelastung (Ausgangsperren, Quarantäne, Einsamkeit) in der Allgemeinbevölkerung sowie die Überforderung mit der Gesamtsituation wäh­rend einer Pandemie kön­nen zur Zunahme an psy­chi­schen Belastungen füh­ren. Psychiatrische Einrichtungen sind des­halb neben soma­ti­schen Krankenhäusern nicht nur system­re­le­vant, son­dern auch unver­zicht­bar in der Krankenversorgung wäh­rend einer Pandemie. Aus die­sem Grund soll­te ihre Funktionsfähigkeit unbe­dingt auf­recht­erhal­ten wer­den.«

Das klingt reich­lich hilf­los. Mit dem berüch­tig­ten Wissen von heu­te ist klar: Alle die­se Warnungen wur­den in den Wind geschlagen.

Interessant ist, daß der zwei­te Link mit­nich­ten zu einer Aufstellung von Gefährdungen "durch die Pandemie" führt, son­dern im Gegenteil die Antworten der Regierenden kri­tisch betrach­tet. Um so absur­der sind die Bestimmungen des "Stufenplans", bei dem eine strik­te Isolierung von PatientInnen schon bei einem "Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion" vor­ge­se­hen ist. Man geht sogar noch weiter:

»Wenn jedoch eine Person, die mit dem Coronavirus infi­ziert, krank­heits- oder ansteckungs­ver­däch­tig ist und auf­grund einer psy­chi­schen Störung nicht in der Lage ist, den Anweisungen des Gesundheitsamts so zu fol­gen, dass für Dritte kei­ne Gefahr von ihr aus­geht, so kann sie laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) und Bayerischem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) gegen ihren natür­li­chen Willen in einer psych­ia­tri­schen Klinik unter­ge­bracht wer­den [].«


Eine wei­te­re Expertin des Gesprächs ist PD Dr. Katharina Bürger, Oberärztin der Gedächtnisambulanz am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung am Klinikum der Universität München. Ihr Institut war an den kli­ni­schen Studien zu Aducanumab betei­ligt, einem Alzheimer-Medikament der Firma Biogen (s. hier). Es wur­de in den USA not­fall­zu­ge­las­sen, in der EU nicht. Das trifft auch auf Lecanemab des­sel­ben Unternehmens zu. Frau Berndt möch­te dis­ku­tie­ren, ob der Stoff nicht den­noch pri­vat erwor­ben wer­den soll­te. Davon hält Bürger wegen der Haftungsrisiken der Behandelnden nichts. Obwohl "zwei Patienten unter Lecanemab an Hirnblutungen [ver­star­ben]", konn­te sie die Ablehnung der EMA nicht nach­voll­zie­hen. Dies sei "ein Rückschlag" und "eine gro­ße Enttäuschung", erklär­te sie am 1.8.24 (s. hier). "Wir hof­fen auf die Zulassung eines ande­ren Antikörper-Wirkstoffs, des Donanemab". Auch der ist von der EMA nicht zuge­las­sen wor­den. apo​the​ken​-umschau​.de berich­te­te am 3.7.24: "Bei 24 Prozent der behan­del­ten Personen tra­ten in der Studie Hirnschwellungen auf, in eini­gen Fällen sogar Hirnblutungen. Drei Personen sind wohl auf­grund die­ser Nebenwirkungen gestor­ben".


Der drit­te Teilnehmer des SZ-Gesundheitsforums ist Prof Dr. Richard Dodel, Inhaber des Lehrstuhls für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen und Koordinator der Leitlinie Demenzen. Seine Erwartungen an die Medikamente sind sehr viel zurück­hal­ten­der. In einem Artikel auf welt​.de vom 22.9.23 ist zu lesen, daß nach den Rückschlägen wie­der Aufbruchstimmung herrscht:

»… Vier Jahre spä­ter herrscht wie­der Aufbruchstimmung: Zum einen wur­de bereits 2021 der Antikörper Aducanumab, des­sen Prüfung damals wegen man­geln­der Erfolgsaussicht gestoppt wor­den war, in den USA zur Alzheimer-Therapie zuge­las­sen – in einer äußerst umstrit­te­nen Entscheidung. Zum Zweiten kam Anfang 2023 in den USA der Antikörper Lecanemab auf den Markt – des­sen Zulassung in der EU der­zeit geprüft wird. Und kürz­lich ver­öf­fent­lich­te das Fachjournal „JAMA“ Resultate einer Studie für einen drit­ten Antikörper, Donanemab, des­sen Zulassung in den USA bean­tragt ist. Die Antikörper sol­len im Gehirn dazu füh­ren, dass bestimm­te Ablagerungen abge­baut werden.

Medien beur­tei­len die Entwicklung als „Durchbruch“, spre­chen von einem „Meilenstein“ und einem „Wendepunkt“. Das Urteil vie­ler Fachleute fällt nüch­ter­ner aus: „Der Nutzen der Antikörper ist der­zeit noch über­schau­bar“, sagt Richard Dodel von der Universität Duisburg-Essen, Alzheimer-Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)…

Der DGN-Experte Dodel bezwei­felt, dass Betroffene den Effekt über­haupt bemer­ken könnten…

Dodel geht im Falle einer EU-Zulassung des Antikörpers Lecanemab von einem Preis von 20.000 bis 30.000 Euro pro Jahr aus – bei poten­zi­ell 150.000 bis 200.000 infra­ge kom­men­den Menschen…«

Ob für Frau Berndt da etwas abfal­len wird?

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

2 Antworten auf „Dunkle Wolken und zusammengereimte Forschung“

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