
Es geht um das Medizinforschungsgesetz, das am 27.9.24 vom Bundesrat bestätigt wurde und damit in Kraft tritt. Darin ist u.a. festgelegt, wie BMG und Umweltministerium mitteilen: "Pharmazeutische Unternehmer erhalten befristet bis zum 30. Juni 2028 die Möglichkeit, bei neuen Arzneimitteln vertrauliche Erstattungsbeträge zu vereinbaren" (bmuv.de, 27.9.24).
Hatte der Bundesrat diese Geheimpreise ursprünglich noch abgelehnt, so war er nun eingeknickt. Das Prinzip wird auf sueddeutsche.de am 11.10.24 unter dem Titel "Auf Wunsch der Lobbyisten" so beschrieben:
»… Wenn neue, innovative Medikamente zugelassen werden, können die Hersteller den Preis zunächst frei bestimmen. Doch nach einem Jahr erfolgt eine Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA). Kommt der G‑BA zu dem Schluss, dass das neue Medikament keinen belegten Zusatznutzen gegenüber einem bereits verfügbaren Medikament hat, zahlen die Krankenkassen nur einen rabattierten Preis, der oftmals weniger als halb so hoch ist wie der Listenpreis.
In Deutschland ist dieser rabattierte Preis bisher öffentlich einsehbar – und hat Auswirkungen weit über die Grenzen hinaus: Andere europäische Länder schauen genau auf die deutschen Preise und wollen dann auch Rabatte von den Pharmafirmen. Wenn das nun künftig nicht mehr möglich ist, drohen vielen EU-Staaten steigende Pharmapreise…
Die Abnehmwilligen zahlten für ihre Spritze einen hohen Preis – und erfahren nicht, wie groß der Rabatt ist, den Krankenkassen auf das Präparat bekommen. Und Ärzte blieben im Unklaren, wie teuer Mounjaro im Vergleich zu ähnlichen Präparaten ist…«
Mounjaro ist ein Appetitzügler des US-Pharmaunternehmens Eli Lilly and Company.
Und wo ist jetzt der Skandal?
Hier setzt die Empörung von Frau Berndt an. Einem Rechercheteam von Süddeutscher Zeitung, NDR, WDR und der Journalistengenossenschaft „Investigate Europe“ liegen nämlich Dokumente vor, wonach Eli Lilly erheblichen Druck auf das BMG ausgeübt hat, um die umstrittene Regel durchzusetzen:
»Das Rechercheteam hat die Akten rund um das MFG nach dem Informationsfreiheitsgesetz bereits im Dezember 2023 angefordert, aber erst im September vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) erhalten, nachdem Investigate Europe wegen Untätigkeit Klage eingelegt hatte.
Die Dokumente sprechen eine deutliche Sprache. In einem Papier vom 13. September 2023 etwa hält das Referat 117 des BMG fest: Es „kann dem CEO von Eli Lilly, Dave Ricks, mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen“…
Im November 2023 wird dem „Herrn Minister“ mit Vermerk „EILT SEHR!“ noch einmal ein Schriftstück vorgelegt: „Befürworter einer solchen Regelung ist insbesondere die Firma Lilly, die ihre Investitionsentscheidung in Alzey an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte.“…«
In Alzey wurde im April mit großem Tamtam ein symbolischer Spatenstich für ein "hochmodernes Pharmawerk des US-Konzerns Eli Lilly mit rund 1.000 Arbeitsplätzen" zelebriert, auf den am 11.10.24 eine Fotomontage auf tagesschau.de verweist:
Unter der Überschrift "Exklusiv: Geheimpreise bei Medikamenten. Gesetzesänderung zugunsten von US-Pharmakonzern?" wird (exklusiv?) der Artikel aus der SZ wiedergegeben.
Man könnte Berndts Frage "Und wo ist jetzt der Skandal?" aufgreifen, mit der sie die Veröffentlichung der komplett entschwärzten RKI-Protokolle am 24.7.24 kommentierte (sueddeutsche.de). Spatenstiche und Grundsteinlegungen nicht nur für die Pharmaindustrie gehören zum Alltag der Regierungsmitglieder, siehe Grundsteine von Olaf Scholz. Gestern Rheinmetall, heute Merck (mRNA). Scholz' "Bekenntnis zu Deutschland als starkem Pharma‑, Industrie- und Forschungsstandort" war gerade der Auslöser für das Medizinforschungsgesetz.
Es ist gut, wenn mit den jetzt freigegebenen Dokumenten (wird die SZ sie veröffentlichen?) die Durchgriffsmöglichkeiten von Konzernen auf die Politik dokumentiert werden können. Naiv wäre es, hier einen skandalösen Ausnahmefall zu vermuten (vgl. Tesla: Naturschutz wird entbürokratisiert. Pizza für die Beschäftigten) oder gar, daß die Politik von Tesla hinters Licht geführt wurde. So klingt jedenfalls Frau Berndt:
»Hätten die Parlamentarier früher von dem Deal im Interesse des Pharmakonzerns gewusst, hätten sie das Gesetz womöglich verhindert. Der Fall zeigt erneut, wie wichtig Transparenz im politischen Betrieb ist und wie wichtig das Recht der Öffentlichkeit, voll im Bilde zu sein.«
Das Lobbyportal pharmazeutische-zeitung.de formuliert am 27.9.24, was Frau Berndt bei ihrer Empörung entgangen ist:
"Mit dem Medizinforschungsgesetz möchte die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessern…
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) plant unter anderem, Standardvertragsklauseln für die Verträge zwischen Sponsoren und Einrichtungen klinischer Arzneimittel- und Medizinprodukteforschung zu erstellen und mit den betroffenen Stakeholdern abzustimmen. Dadurch soll frühzeitig und schneller als bislang mit klinischen Prüfungen von Arzneimitteln oder Medizinprodukten begonnen werden können…
Die strahlenschutzrechtlichen Anzeige- und Genehmigungsverfahren werden nach Angaben des BMG »vollständig novelliert, entbürokratisiert und beschleunigt«. Der Aufwand für Forschende sowie für die Behörden soll so deutlich reduziert werden.
Lob von der Industrie
Über Details des MFG wurde in den vergangenen Monaten viel diskutiert. So sorgten beispielsweise die ursprünglich vorgesehen Regeln für vertraulichen Erstattungspreise für viel Kritik. Von Seiten der Pharmaindustrie wurde das Gesetz allerdings überwiegend mit Wohlwollen aufgenommen. Lauterbach selbst sieht in dem noch nicht in Kraft getretenen Gesetz einen wichtigen Grund für den aktuellen Aufschwung der deutschen Pharmaindustrie. Im Mai sprach der Minister auf der Hauptversammlung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) gar von einer »ganz neuen Ära« für den Standort Deutschland.
Auch der BPI lobt das MFG. »Das Medizinforschungsgesetz ist mit Blick auf den Innovations- und Studienstandort Deutschland vielversprechend«, sagte BPI Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen am Donnerstag. »Wissenschaft, Industrie und Patienten können, so wie in der Pharmastrategie vorgesehen, von der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und dem Abbau von bürokratischen Hürden profitieren. Das haben wir als BPI schon lange gefordert.«…
AOK befürchtet steigende Arzneimittelpreise
Eine aktuelle Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK habe gezeigt, dass Arzneimittel in den vergangenen zehn Jahren einer der größten Kostentreiber in der GKV waren. »Mir ist schleierhaft, wie die Ampel vor diesem Hintergrund mit Geheimpreisen und unter Schwächung des gerade erst eingeführten engeren Rahmens für die Erstattungsbetragsverhandlungen die Schleuse für potentielle Ausgabensteigerungen öffnen kann. Was wir im Sinne der Versichertengemeinschaft eigentlich brauchen, ist doch das Gegenteil«, klagte die AOK-Vorsitzende."
Lauterbach macht auch hier das, wofür er installiert wurde. Er tut es mit den Mitteln, die in diesem System gang und gäbe sind.
Update:

»… Am Montag reagierte die Bundesregierung auf die Recherche. Der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums Sebastian Gülde sagte, die Standortentscheidung von Lilly spiele für die Rabattregel, wie sie im Medizinforschungsgesetz festgelegt wurde, keine Rolle. Weiter sagte er: "Ich kann mich zu internen Dokumenten hier nicht äußern und bleibe bei dem, was ich dazu gesagt habe." Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner sagte: "Ich habe den Worten des Sprechers des Gesundheitsministeriums hier nichts hinzuzufügen." Auch der US-Konzern bestreitet die Vorwürfe.
Chefreporter Grill: Bundesregierung dementiert nicht die Akten
Markus Grill, Chefreporter Investigativ-Ressort von NDR und WDR, bleibt auf SWR-Nachfrage bei seinem Bericht. "Wenn man genau zuhört, was die Bundesregierung sagt, dementieren sie es nämlich gar nicht", sagte Grill dem SWR am Montag. "Sie sagen nur, für die Entscheidung, für das Gesetz, war es nicht wichtig, was Lilly wollte. Aber sie dementieren ja nicht die Akten aus dem Ministerium, in denen ganz klar steht, dass der Pharmakonzern es zur Bedingung gemacht hat, dass so ein Gesetz kommt, und dann investieren sie." Dies stehe an mehreren Stellen in Akten aus dem Gesundheitsministerium.…«
Es wird immer deutlicher: Sozialismus oder Barbarei.
@picrin:
Sozialismus? Was hat das mit "Sozialismus" zu tun. Wenn sie könnten, würden sie uns die Apetitzuegler wohl aufzwingen. Man würde zwar nicht mehr leidensorientiert behandelt, bekäme aber Apetitzuegler. So wird man nur, nicht leidensorientiert behandelt. – Immerhin!
Und jetzt die Sicht auf die Freihet dabei. Die Ärzte müssen Dich nicht behandeln, dafür darfst Du aber die angebotenen Apetitzuegler ablehnen. Allen gehts also Gut und dem Patienten könnte es (noch) schlechter gehen.
Allerdings wäre es möglich dass unsere "Regierenden" Apetitzuegler für eines der wichtigsten Medikamnte halten. – Glaubhaft! – Im "Sozialismus" war das vieleicht gar nicht mal so notwendig, auch bei "Regierenden". – Wer weiß.
> Sozialismus oder Barbarei.
Genau das ist die Frage. Und die Antwort sollte klar sein.
> Wenn neue, innovative Medikamente zugelassen werden, können die Hersteller den Preis zunächst frei bestimmen.
Was heißt denn hier zunächst? Ahja, Propaganda. Die Lüge von den Kosten usw.
@Erfordia…: Der immer gleiche Hinweis zu jedem Thema "Die lügen ja!" mag oft zutreffen, ist ohne begleitende Argumentation aber ziemlich ermüdend.
Konkret zu diesem Punkt: Es ist keine Propaganda, daß neue Medikamente auf den Markt kommen zu den Preisen, die die Hersteller festlegen. (Erst) nach einem Jahr müssen sie nachweisen, daß es sich um wirklich neue Wirkstoffe handelt und nicht um eine bloße Umetikettierung. Letzteres passiert ständig und ist eine der Quellen für große Gewinnspannen. Im Rahmen eines Systems, das von Profiten als treibender Kraft von Wirtschaft und Wissenschaft ausgeht, stellt die Bewertung nach einem Jahr und die damit verbundene Verpflichtung zu Preisnachlässen tatsächlich ein gewisses Regulativ dar. So etwas nennt man Reformen, wie Sie sich vielleicht erinnern werden. Sie haben im Kapitalismus meist einen Doppelcharakter, insofern sie einige Auswüchse des Systems mildern, um es als Ganzes zu stabilisieren. Klassisches Beispiel sind die Bismarckschen und anderen Sozialreformen. Damit wurde einerseits einer aufmüpfigen Arbeiterklasse die Spitze genommen, auf der anderen Seite aber Grundlagen geschaffen für ein Renten- und Krankenversicherungssystem, das durchaus Verbesserungen für die Arbeitenden mit sich brachte. Lauterbachs Gesundheitsreform ist das Gegenteil davon. Das zeigt, daß der Charakter von Reformen immer vom jeweiligen gesellschaftlichen Kräfteverhältnis abhängt. Um dieses steht es gerade nicht gut, auch weil den Menschen eingeredet wird, alles Übel komme von der Migration.
AA, wer die Preise bestimmt, das können Sie alles bei Marx, Engels und Lenin nachlesen. Und wenn Sie das ermüdet ist das ein deutlicher Hinweis darauf daß Sie nicht verstanden haben wie das System Kapitalismus funktioniert.
Überraschende Entwicklung? Mitnichten! Die Funktion der Kassen als (mehr oder weniger effektive) Interessenvertretung der zahlenden Mitglieder wird ausgeschaltet zwecks Durchsetzung eines verstärkten oligopolistischen Systemdesigns. Es wäre darüber hinaus interessant zu wissen, wer die Gesetzesvorlagen in Auftrag gibt und daran mitwirkt. Man darf in der heutigen Zeit erwarten, dass die entsprechenden Industrieverbände dies "kostenlos" organisieren und gerne als Gratisvorschlag an die Exekutive (und Legislative) geben.