Klaus Ferdinand Gärditz, Rechtsprofessor an der Universität Bonn, hatte schon Mitte August, wärmstens gelobt von Alena Buyx und anderen Interessierten, geurteilt: "RKI-PROTOKOLLE: In diesen Akten steckt kein Skandal" (s. hier). Am 25.9.24 legt er auf faz.net hinter der Bezahlschranke mit einer Urteilsschelte nach:
Wie kommt er zu seinem ehrabschneidenden Urteil, das wie folgt lautet?
»Die juristische Schlampigkeit, mit der das Verwaltungsgericht seinen Vorlagebeschluss abgefasst hat, wird dem Ernst der damit verbundenen Probleme nicht einmal ansatzweise gerecht. Der von Einseitigkeit gekennzeichnete Umgang mit dem Rechtsstoff grenzt an einen Missbrauch der Vorlagepflicht für einen rechtspolitischen Stunt mit billigem Vorführeffekt. Sollte dieser Vorlagebeschluss die vom Bundesverfassungsgericht bislang stets hoch gehängten Hürden an die Zulässigkeit nehmen, würde dies überraschen.«
Er gibt die Chronologie so wieder: "Im März 2022 hatte der Bundesgesetzgeber eine begrenzte Impfpflicht eingeführt", am 27.4.22 wies das Bundesverfassungsgericht Klagen dagegen ab. Am 3.9.24 verkündete das Verwaltungsgericht Osnabrück, es sei "von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes über die einrichtungsbezogene Impfpflicht überzeugt". Denn den RKI-Protokollen sei zu entnehmen, daß "die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf denen das Gesetz fußte, jedenfalls im Laufe des Jahres 2022 ihre Tragfähigkeit eingebüßt" hätten.
»Will ein Gericht ein bereits bestätigtes Parlamentsgesetz gleichwohl erneut dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, sind an die Begründung erhöhte Anforderungen zu stellen. Ein Gericht muss anhand neuer Tatsachen eingehend darlegen, dass eine abweichende Bewertung notwendig geworden ist. Das Verwaltungsgericht versucht sich hieran, überzeugt aber in der Sache nicht, schon weil es an juristisch-handwerklicher Sorgfalt fehlt.«
Ein Argument für seine Wertung sieht der Autor darin, daß das Gericht "gerade die Expertise des Paul-Ehrlich-Instituts sowie der Ständigen Impfkommission beim RKI im Bereich der Impfstoffe" nicht berücksichtigt habe.
Nicht am Puls der volatilen Lage gearbeitet
»Das Verwaltungsgericht beanstandet, dass der Gesetzgeber bei der Anpassung des Infektionsschutzgesetzes nicht am Puls der wissenschaftlichen Erkenntnislage gearbeitet habe, wirbelt aber selbst die Chronologie durcheinander. Regelungsziel und Prämissen des Gesetzgebers entnimmt es dem einschlägigen Fraktionsentwurf vom 6. Dezember 2021. Die tatsächlichen Annahmen, mit denen die Impfpflicht begründet wurde, sollen aber durch die protokollierte Einschätzung innerhalb des RKI vom 8. Januar 2021 erschüttert werden, dass für die Dauer und Qualität des – damals überhaupt erst seit kurzer Zeit verfügbaren – Impfschutzes noch keine hinreichende Evidenz bestehe. Elf Monate waren in der damaligen volatilen Lage eine Ewigkeit.«
Sprich: In elf Monaten kann viel geschehen. Gärditz ignoriert, daß das Gericht weitere ähnliche Zitate aus den Protokollen bis zum 12.10.22 zur Begründung anführt. Mit dieser Lücke gelangt er zu der Auffassung:
»Soweit im Oktober 2022 offenbar ernüchtert die Schutzwirkung der Impfung relativiert wurde, dominierten im RKI Unsicherheit und berechtigte Zurückhaltung. Das Verwaltungsgericht sieht es durch die RKI-Protokolle als widerlegt an, dass „die Impfungen in jedem Fall einen wirksamen Fremdschutz darstellten“ oder „zuverlässig vor einer Ansteckung vulnerabler Personen“ mit „Absolutheit“ schützten. Das hatte freilich auch weder der Gesetzgeber noch das Bundesverfassungsgericht angenommen. Stets ging es um eine statistische Wirkung, die Ansteckungswahrscheinlichkeit belegbar zu reduzieren.«
Das mag juristisch zutreffen. Allerdings moniert das Gericht auch und zutreffend, daß "nicht einmal ein Monitoring der Effektivität der implementierten Maßnahme bezogen auf die bezweckte Reduzierung der Infektionsfälle vulnerabler Personen in Pflegeeinrichtungen" stattgefunden hatte. Das läßt Gärditz' Schluß recht schwach erscheinen:
»Wenn die Wahrscheinlichkeit, vulnerable Personen zu infizieren, nachweislich sinkt, wäre die Impflicht zunächst einmal geeignet. Ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht auch angemessen war, wenn verfügbare Evidenz der Impfung nur einen sehr geringen Fremdschutz bescheinigt hätte, stünde auf einem anderen Blatt, wird aber vom Verwaltungsgericht gar nicht thematisiert. Von einem Gericht, das ständig mit Gefahrenprognosen und Risikobewertungen zu tun hat, könnte man einen professionelleren Umgang mit Probabilität erwarten.«
In einer Anhörung des Gesundheitsausschuss des Bundestags hätten mehrere Sachverständige die Situation ähnlich wie das RKI eingeschätzt. Das ist nicht falsch, allerdings ein Zirkelschluß. Sie hatten sich dabei auf Informationen der RKI-Leitung gestützt, die die bestehenden Zweifel unterschlugen. Siehe dazu Konzil statt Wissenschaft. Heute im Gesundheitsausschuß und Mit der Peitsche durch den Gesundheitsausschuß.
Fluider Stand der Fachwissenschaften
Gärditz bemängelt, das Verwaltungsgericht hätte sich "um (rekonstruierende) Aufklärung bemühen müssen, was im Geltungszeitraum der angegriffenen Regelung jeweils dem fluiden Stand der Fachwissenschaften entsprach".
»Dass die Motive der Gesetzgebung „nicht der tatsächlichen Erkenntnislage“ entsprochen hätten, wird vom Verwaltungsgericht behauptet, aber überhaupt nicht untersucht, obwohl es dies hätte von Amts wegen tun müssen (Paragraph 86 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung).
Das Verwaltungsgericht hat lediglich den damaligen Leiter des Krisenstabs und heutigen Präsidenten des RKI als Zeugen zu den RKI-Protokollen vernommen. Eine Beweisaufnahme durch Sachverständige aus der Infektiologie fand hingegen nicht statt…«
Das wäre sicher eine Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht nachholen könnte.
Zur Entscheidung aus Osnabrück siehe:
Der Beschluß findet sich im Wortlaut auf wolterskluwer-online.de.
Dieses Beispiel verstehen selbst Juristen:
https://cdn.xcancel.com/pic/orig/media%2FGYP_aUHXgAE7ohG.jpg
Natürlich wird das Bundesverfassungsgericht den Vorlagenbeschluss zurückweisen, denn dass das RKI weisungsgebunden, und keine unabhängige Wissenschaftliche Einrichtung ist, wusste man auch schon in 2022, und die eifrigen Karlsruher Kanzleramtsdinierer, werden sich nicht selber an die Robe pissen.
Allerhöchstens weden sie ihre Zurückweisung mit weniger Schaum vor den Gehirnwindungen verfassen, denn das haben schon andere für sie erledigt. (s.o.)
Also im Gegensatz zu den Osnabrücker Richtern glaube ich nicht, das Gesetz sei erst im Verlaufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit gerutscht…
Wie unsinnig eine Gesetzesbebründung sein darf, dazu scheint Gärditz nichts zu schreiben.
Aber man kann zweifeln, ob er selbst versteht was er schreibt: 'Stehts ging es um eine statistische Wirkung, die Ansteckungswahrscheinlichkeit belegbar zu reduzieren'. Und dieses 'belegbar' bedarf keiner Evidenz inkl. Schaffung der Erhebung von Daten und auch nicht 'statistisch'? Ohne Zahlenerhebung keine Statstik und kein Beleg. Er müsste von einem erhofften zumindest statistischen Effekt sprechen, auch dazu muss man Daten erheben. Aber bei einer 'Impfung' die keine ist, sondern eine experimentelle Genbehandlung, die nie auf Verringerung der Ansteckung und Übertragung getestet und zugelassen wurde und von der man wusste seit Tests schon in der Entwicklung 2020 dass sie eben nicht vor Ansteckung und Übertragung schützt.
https://www.infosperber.ch/gesundheit/lange-offiziell-geleugnet-covid-geimpfte-waren-ansteckend/
Interessant auch, dass er hier kritisiert es habe keine weitere Beweisaufnahme stattgefunden…die haben die anderen Gerichte und das Verfassungsgericht bei bisherigen Urteilen durchgeführt?
Hier Wiki DE zu Omikron: schon im Dezember 2021 war klar, dass Omikron spätestens im Jan 22 weltweit dominieren würde, sie war Anfang Nov 2021 aufgetreten.
Es war schon im Dez 2021 publiziert, dass sie insb aufgrund Immunescape auch bei vollständig Geimpften hochgradig übertragbar ist und auch bei Geboosterten. Auch das RKI schrieb bereits in 12/21 die Variante sei sehr leicht übertragbar und führe auch bei Geimpften häufig zu Infektionen, die weitergegeben werden können.
Die Gefährlichkeit wurde gleichzeitig als reduziert beschrieben, mit 'selbst' bei Ungeimpften ohne bisherige Ansteckung nur noch 1/3tel Hospitalisierungen.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/SARS-CoV-2-Variante_Omikron
War es dies, was dann im Februar 2022 viele Länder wie die Schweiz veranlasste, das Aufheben der Massnahmen zu verkünden?
Ende Jan 2022 erschien folgender Artikel in Lancet, der ein Ende der Pandemie nahe sieht und Zahlen nennt. Ansteckung hoch, Gefährlichkeit runter.
UND: die Ansteckbarkeit sei so hoch, dass Ausweitung von Massnahmen wie mehr Maskentragen oder höhere Impfquoten keine nennenswerten Auswirkungen auf den Verlauf der Omikron Welle haben werden… !!!
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)00100–3/fulltext
Asymptomatische seien 80–90% und Infektionserkennungsrate sei von 20% auf 5% gesunken…