Als es in der "SZ" noch Journalismus gab

Man erin­nert sich kaum noch, weil Menschen wie Christina Berndt das Bild von "embedded jour­na­lism" in dem Blatt geprägt haben. Am 19.3.20 war ind der "Süddeutschen" zu lesen:

»… Das Fernsehen zeig­te Bilder eines lan­gen Konvois von Militärlastwagen. Das Istituto Superiore di Sanità, Italiens ober­stes Gesundheitsinstitut, hat nun eine Studie vor­ge­legt, in der es alle kli­ni­schen Daten der Opfer ana­ly­siert hat. Folgende Erkenntnisse und Mittelwerte kamen her­aus: Das durch­schnitt­li­che Alter der Verstorbenen liegt bei 79,5 Jahren. Die deut­lich am stärk­sten betrof­fe­ne Altersgruppe sind die 80- bis 89-Jährigen. Nur fünf Menschen waren unter 40 Jahre, alle waren krank, ehe sie sich mit dem Virus infi­zier­ten. 70 Prozent der Opfer sind Männer. Drei Personen (0,09 Prozent) star­ben offen­bar aus­schließ­lich "am" Coronavirus – "ohne wenn und aber", wie die Italiener sagen. Alle ande­ren lit­ten an min­de­stens einer schwe­ren Vorerkrankung. Die Hälfte hat­te drei oder mehr Krankheiten, die häu­fig­sten waren: Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, Herz- und Atembeschwerden…

Die Italiener [fra­gen sich] natür­lich, war­um es gera­de sie zuerst und so stark traf. Auch dazu gibt es vie­le Thesen und Erzählungen, die viel­leicht nur so lan­ge Bestand haben, bis Vergleichswerte aus ande­ren Ländern vor­lie­gen. Grund eins ist demo­gra­fisch: Italiens Bevölkerung gehört zu den betag­te­sten der Welt, das Durchschnittsalter liegt bei 46,3 Jahren. Fast 14 Millionen Italiener sind über 65 Jahre alt.

Grund zwei: Das "Epizentrum" der Ausbreitung umfasst jene drei Regionen im Norden, alle in der Po-Ebene, die das wirt­schaft­li­che und indu­stri­el­le Herz des Landes bil­den, die Lombardei, Venetien und die Emilia-Romagna. Nirgendwo in Europa ist die Luftverschmutzung grö­ßer. Viele älte­re Bewohner lei­den an Atemwegsbeschwerden… Motiv drei: Italien ist durch­aus zurecht stolz auf sein öffent­li­ches, allen zugäng­li­ches Gesundheitswesen. Nur wur­de es in der jüng­sten Finanz- und Wirtschaftskrise radi­kal zusam­men­ge­spart. Der hoch­ver­schul­de­te Staat hat Forschungszuschüsse im ver­gan­ge­nen Jahrzehnt um 21 Prozent gekürzt und vie­le bril­lan­te Wissenschaftler ans Ausland ver­lo­ren. Die Corona-Krise traf das System im ungün­stig­sten Moment. Motiv vier: Italien war das erste Land, das Flüge aus und nach China ver­bot. Die Maßnahme war nicht durch­dacht: So rei­sten Passagiere aus China über Paris, Frankfurt und Zürich nach Italien ein, ungetestet.

Dennoch wächst die Popularität der Regierung rasend. Premier Giuseppe Conte, der sich vor der Epidemie nur müh­sam im Amt hielt, steht nun nach einer Umfrage von La Repubblica bei 71 Prozent Gunst im Volk, das gab es seit vie­len Jahren nicht. Die befrag­ten Italiener fin­den die dra­sti­schen Einschränkungen des öffent­li­chen Lebens rich­tig: 94 Prozent begrü­ßen sie. 80 Prozent mei­nen, Italien gehe bes­ser mit der Krise um als alle ande­ren Länder Europas. Besorgt sind indes fast alle: 65 Prozent "sehr", 30 Prozent "ziem­lich".

Das erklärt wohl, war­um die aller­mei­sten Italiener dis­zi­pli­niert die Vorgaben ein­hal­ten. Wer es nicht tut, dem dro­hen nun här­te­re Strafen. Rom erwägt, die Armee wei­ter zu mobi­li­sie­ren, um Vorschriften durch­zu­set­zen. 7000 Soldaten sind schon in den Straßen. Viel hängt davon ab, wie lan­ge die Italiener den Hausarrest erdul­den. Der 3. April, der mal als Tag der Befreiung galt, ist schon Makulatur.«

Besonders die gestie­ge­ne Popularität des damals par­tei­lo­sen Ministerpräsidenten wird von ande­ren Regierungen in Europa genau beob­ach­tet wor­den sein. Der 2021 zum "Movimento 5 Stelle" gewech­sel­te Conte stand bis Ende 2019 einem Kabinett die­ser Bewegung und der rech­ten Lega Nord vor. Letztere stell­te die Regionalregierung in der nord­ita­lie­ni­schen Lombardei. saech​si​sche​.de berich­te­te damals heu­te ver­traut Klingendes: »Der neue ita­lie­ni­sche Regierungschef Giuseppe Conte will der ille­ga­len Migration einen Riegel vor­schie­ben. „Wir wer­den dem Geschäft der Einwanderung ein Ende set­zen, das unter dem Deckmantel einer vor­ge­täusch­ten Solidarität über das Maß ange­wach­sen ist“, sag­te Conte am Dienstag bei der Vorstellung des Regierungsprogramms im Senat in Rom.« Ein knap­pes hal­bes Jahr führ­te er danach eine Koalition aus 5 Sternen und der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Demokratischen Partei (PD).

Conte hat­te ver­stan­den, daß in Krisen, ob sie real oder nur medi­al ver­mit­telt sind, eine har­te Hand Zuspruch fin­det. Bis auf weni­ge Ausnahmen in Skandinavien setz­ten die euro­päi­schen Regierungen auf die­ses auto­ri­tä­re Erfolgsrezept. Es gelang ihnen dabei in der Regel, nicht nur die lin­ke Opposition ein­zu­bin­den, die das meist mit dem Preis ihrer Marginalisierung bezahl­te. Deren Schockstarre und Denkverweigerung soll­te sich anhal­tend auswirken.

Nicht die ein­zi­ge, aber die neben der öster­rei­chi­schen FPÖ erfolg­reich­ste Ausnahme stell­te die deut­sche AfD dar. Nach einer anfäng­li­chen kur­zen Hardliner-Periode mit Forderungen nach Grenzschließungen ana­ly­sier­te sie klug, daß sie zu die­sem Zeitpunkt kei­ne Chance auf eine Regierungsbeteiligung hat­te. Da sie sich mit Durchgreifparolen also kei­ne Sporen ver­die­nen konn­te, trat sie über­wie­gend in eine Fundamentalopposition zu den Corona-Maßnahmen ein. Daß sie im Parteienspektrum damit einen Alleinstellungsanspruch hat­te, zahl­te sich aus. Auch wenn sie zum Teil, wie bei der von ihr initi­ier­ten "Enquetekommission" des Landtags in NRW völ­lig auf der Linie des Mainstreams agier­te ("Wie können Technologien wie künstliche Intelligenz und Big Data genutzt wer­den, um zukünftige Krisen bes­ser zu bewältigen?", sie­he hier), konn­te das das Bild der stand­haf­ten "Kämpfer gegen die Corona-Diktatur") kaum beschädigen.

Wie schnell sich die Partei wie auch wei­te Kreise der "Corona-Bewegung" in ande­ren Fragen als Treiber auto­ri­tä­rer Lösungen von "Krisen" her­aus­stell­te, ist an der gegen­wär­ti­gen Migrationsdebatte abzu­le­sen. Inhaltlich wird ein brei­tes natio­na­les Bündnis beför­dert, das Kritik ähn­lich zum Schweigen bringt wie in der Corona-Zeit. Wer abweicht, leug­net die Gefahren durch die "Asylantenschwemme". Wer eine dif­fe­ren­zier­te Haltung zum "isla­mi­sti­schen Terror", grund­sätz­lich mes­ser­ste­chen­den und des­halb abzu­schie­ben­den oder wenig­stens nicht mehr ins Land zu las­sen­den jun­gen Syrern oder Afghanen äußert, steht jeden­falls medi­al genau so am Rand wie zuvor die "Impfverweigerer".

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

15 Antworten auf „Als es in der "SZ" noch Journalismus gab“

  1. glau­be ich nicht, daß man undif­fe­ren­ziert sein muß.
    ande­re sagen, wer arbei­tet, darf blei­ben, weil arbeit gut ist für die see­li­sche gesundheit.
    oder weil die leu­te lei­stungs­trä­ger sind.
    weil "isla­mi­sti­scher ter­ror" des­halb abschie­den? wenn einer ein ter­ro­rist gewor­den ist?
    bevor einer ein ter­ro­rist ist?
    bevor ter­ro­ri­sten einwandern?
    eine dif­fe­ren­zier­te hal­tung scheint mir eine zu sein, die am ende rein­las­sen und nicht abschie­ben will, weil nur eine undif­fe­ren­zier­te hal­tung zuma­chen und abschie­ben will.
    gibt es eine dif­fe­ren­zier­te hal­tung, dicht zu machen?
    weil der wohnungsmarkt …?
    weil gefährder?
    usw.
    es fehlt die analyse.
    "deutsch­land den deut­schen" hat kei­nen sinn.
    "nazis raus" = alle deut­sche, ist undifferenziert.

    1. @Keine Zahnreinigung…: Prima Ablenkungsmanöver!
      " ▶︎ Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (61, SPD) dar­über zu BILD: 'Das ist ein absur­der Vorschlag, der auf kei­nen Fall umge­setzt wer­den darf.'" (https://​www​.bild​.de/​p​o​l​i​t​i​k​/​i​n​l​a​n​d​/​i​r​r​e​r​-​b​e​h​o​e​r​d​e​n​p​l​a​n​-​k​e​i​n​e​-​z​a​h​n​r​e​i​n​i​g​u​n​g​-​f​u​e​r​-​n​i​c​h​t​-​w​a​e​h​l​e​r​-​6​6​d​d​6​6​d​2​c​e​a​8​d​a​4​8​8​6​7​6​d​71b) – mit einem Foto von zwei zahn­rei­ni­gen­den mas­kier­ten Damen…

  2. Besondere Zustimmung zu den letz­ten bei­den Absätzen.
    Ad personam:
    Widerwärtigstes Beispiel von Leuten aus der "Corona-Bewegung", die jetzt für die AfD wei­beln (wei­deln) ist für mich die­ser Paul Brandenburg, sei­nes Zeichens Maulaufreisser, Hetzer und Heuchler erster Kajüte, der sich erst mit Testlaboren auf Kosten des Staates (= der Bevölkerung) berei­cher­te, sich dann als "Widerständler" und Staatsfeind No1 gerier­te, um dann, als es ihm in D zu heiss wur­de, in die CH zu flüch­ten, von wo aus er noch mehr das Maul auf­reisst, dafür wirbt, sich zu bewaff­nen, kei­ne Steuern mehr zu zah­len und "das Regime", und allen vor­an Nancy Faeser, "mit allen Mitteln" zu besei­ti­gen. Zunächst das Parteien-System voll­stän­dig ableh­nend, wirbt er jetzt (wie Ken Jebsen auch) für die AfD… und ich bin zuver­sicht­lich, ihn, nach­dem sein Versuch in Brüssel einen gut dotier­ten Job zu ergat­tern geschei­tert ist, irgend­wo als Kandidat der AfD auf einer Liste zu fin­den. Hätten die Identitären eine Partei, wäre er aller­dings wohl dort, mit Sellner an sei­ner Seite.

    So, jetzt ist mir schlecht. Kaffee!

    1. @Stefan Lehmann:
      bei aller Schlechtigkeit:
      Man mag beken­nen­de SUV-ahrer, Jäger, (nicht mehr prak­ti­zie­ren­de) Ärzte, win­di­ge Geschäftsleute, Publizisten etc. sym­pa­thisch fin­den oder nicht – und auch Feinde von Feinden sind eher sel­ten Freunde.
      Auch kann man es für ver­werf­lich hal­ten, wenn jemand (im Gegensatz, z.B. , zum Betreiber die­ses Blogs!), mit "Opposition" oder gar "Widerstand" Geld ver­die­nen oder Macht errin­gen will (wobei Letzteres stets urei­gen­stes Bestreben aller Oppositionsparteien "unse­rer" par­la­men­ta­ri­schen Demokratie war).
      Aber man soll­te es bei einem kur­zen Übelkeits-Kaffee belassen.
      Nicht nur in die­sem Beitrag weist AA ja dar­auf hin, dass das "Bä!" von gestern ratz­fatz zur "Zeitenwendepolitik" wer­den kann.
      Schmeckt der­sel­be Kaffee dann als "Solidaritätsdingens"?

      Zu PB gibt es übri­gens einen erstaun­lich nüch­ter­nen Wikipedia-Eintrag (beim Thema "Covid-19" eher sel­ten), bei dem man es belas­sen könnte
      https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​P​a​u​l​_​B​r​a​n​d​e​n​b​u​r​g​_​(​M​e​d​i​z​i​ner)
      und soll­te viel­leicht noch die Umstände sei­ner Hausdurchsuchung berück­sich­ti­gen (Dr. guckl bie­tet dazu meh­re­re Versionen an: mit fast allen Spielarten von Maulaufreißerei, Hetze und Heuchelei – vor allem sei­tens der Berichtenden) bevor man ihm eine Flucht (egal wohin!) vergällt.

      Für Fans der "Qualitätspresse" eig­net sich auch die­ser etwas älte­re Beitrag, bei der der Qualitätsunterschied, imho, eher zu PB-Gunsten ausfällt
      https://​www​.you​tube​.com/​l​i​v​e​/​I​u​8​J​x​p​V​1​E2I?
      (aber viel­leicht hat er sich ja erst nach sei­ner Hausdurchsuchung "radi­ka­li­siert"?).

      Die Einschätzung, ob es sich bei dem Genannten jetzt ("nur") um einen Unsympathen, skru­pel­lo­sen Geschäftemacher, Umstürzler, im Auftrag einer frem­den oder ein­hei­mi­schen Macht Tätigen, oder um einen son­sti­gen Finsterling (Mehrfachnennungen mög­lich) han­delt, gehört, imho, maxi­mal in die Kommentarzeile der 2. "VT"-Liga.

      1. Traue NIE einem Jäger. Wer es als sinn­stif­ten­des Hobby und erfül­len­des Naturerlebnis ansieht, wehr­lo­se Tiere zu erschie­ssen, hat mit Sicherheit tie­fer­lie­gen­de Probleme. Ansonsten: dan­ke für die hin­zu­ge­füg­ten Widerlichkeiten. Den Zeigefinger ing­no­rie­re ich ein­fach mal.

        1. @Stefan…
          da war ja gar kein Zeigefinger (jeden­falls nicht von mir)!
          Aber das hier darf ggf. als sol­cher gewer­tet werden:
          Jäger, die sich tat­säch­lich "waid­män­nisch"
          https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​W​a​i​d​g​e​r​e​c​h​t​i​g​k​eit
          ver­hal­ten erschei­nen mir ver­trau­ens­wür­di­ger und red­li­cher als (auch Gelegenheits-)Karnivoren, die Jäger grund­sätz­lich ver­ach­ten oder gar (mglw. unwaid­män­ni­sche) psy­cho­lo­gi­sche Ferndiagnosen über die­se erstellen.

          1. Ich habe die Jagd-Ausbildung absol­viert und ken­ne mich in der Jägerschaft gut aus. (Bin aber pas­sio­nier­ter Nicht-Jäger).
            Und Sie? Sie haben Wikipedia? Bravo.

  3. Die Macht im Staate haben Konzerne die Strom zum NULL-Tarif bezie­hen. Journalisten jedoch ver­brei­ten die Ansicht, daß die Energiekosten zu hoch sind und es des­we­gen der Wirtschaft schlecht gehe.

    Die Macht im Staate haben Unternehmer die sich JEDEN aus­su­chen kön­nen der für sie arbei­tet. Journalisten jedoch ver­brei­ten die Ansicht, es gäbe zu wenig Fachkräfte hier.

    Diejenigen die hier die Macht haben, dik­tie­ren auch die Gesetze. Journalisten jedoch erzäh­len rund um die Uhr daß die Gesetzgebung unab­hän­gig von der Wirtschaft sei.

    Verstehen Sie jetzt wel­che wich­ti­ge Rolle der Journalismus hier hat?

  4. hach ja…
    "Oliver Meiler" berich­te­te damals ja "nur".
    Er hat aber dazugelernt;
    Unter sei­nen "spä­te­ren" SZ-Artikeln
    https://www.sueddeutsche.de/autoren/oliver-meiler‑1.1408830
    fin­det sich u.a. die­ser, zum SZ-"Profil" beson­ders passende
    https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-coronavirus-impfpflicht‑1.5504336
    mit der mehr­deu­ti­gen Überschrift, dass "die Impfpflicht wirkt".

    Klar, er war und ist ein flei­ßi­ger Schreiberling für gleich 2 renom­mier­te Blätter und hät­te mglw. sei­ne Existenz gefähr­det, wenn er Zweifel auch nur ange­deu­tet hät­te … aber wahr­schein­lich gehört er auch nur zu denen, die sich in ihrem Konformismus nicht all­zu sehr ver­bie­gen muss­ten, schließ­lich ging es um "über­gen­or­de­te Werte": 'in Treue fest' oder das, was man als "Verantwortungsethik" bezeich­net, wenn man mal einen Teil der Wahrheit lie­ber nicht erwähnt.
    Klingt alle­mal bes­ser als "Opportunismus".

  5. Btw. seit Juli bereits gibt es eine Seite "Messer Inzidenz" (mit die­sen Suchbegriffen wer­den Sie fündig)

    Die Daten bezieht der Betreiber von Publikationen staat­li­cher Organe.

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