VG Osnabrück: "Aufgrund der nunmehr vorliegenden Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in diesem Zusammenhang heute durchgeführten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, sei die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung in Frage zu stellen"

ver​wal​tungs​ge​richt​-osna​brueck​.nie​der​sach​sen​.de (3.9.24)

»OSNABRÜCK. Auf die münd­li­che Verhandlung von heu­te hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück das Klageverfahren einer Pflegehelferin gegen ein vom Landkreis Osnabrück 2022 man­gels Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises aus­ge­spro­che­nes Betretungs- und Tätigkeitsverbot aus­ge­setzt (vgl. Presseinformation Nr. 18/​2024 vom 26.8.2024).

Die Kammer wird das Verfahren nun­mehr dem Bundesverfassungsgericht vor­le­gen und ihm die Frage stel­len, ob § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG, in der Fassung vom 18. März 2022) mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ver­ein­bar gewe­sen ist.

Die Kammer geht davon aus, dass eine ver­fas­sungs­kon­for­me Auslegung der Norm nicht mög­lich sei. So ver­let­ze die Norm das Grundrecht auf kör­per­li­che Unversehrtheit sowie die Berufsfreiheit. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/​21) die Verfassungsmäßigkeit der streit­ge­gen­ständ­li­chen Norm fest­ge­stellt. Aufgrund der nun­mehr vor­lie­gen­den Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in die­sem Zusammenhang heu­te durch­ge­führ­ten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, sei die Unabhängigkeit der behörd­li­chen Entscheidungsfindung in Frage zu stel­len. Das RKI habe das Bundesministerium für Gesundheit auch von sich aus über neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung infor­mie­ren müs­sen. Nach der Gesetzesbegründung sei der Schutz vul­nerabler Personen vor einer Ansteckung durch unge­impf­tes Personal ein tra­gen­des Motiv für die Einführung der ein­rich­tungs- und unter­neh­mens­be­zo­ge­nen Impfpflicht gewe­sen. Diese auf den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts beru­hen­de Einschätzung wer­de durch die nun ver­öf­fent­lich­ten Protokolle des Instituts erschüt­tert. Der Gesetzgeber sei sei­ner Normbeobachtungspflicht nicht gerecht gewor­den. Da § 20a IfSG im Laufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hin­ein­ge­wach­sen sei, sei eine – erneu­te – Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erfor­der­lich. Dem Verwaltungsgericht kom­me selbst kei­ne Normverwerfungskompetenz zu.

Der Beschluss (3 A 224/​22) ist unan­fecht­bar.«

Siehe auch Mehr zu Schaade vor dem VG Osnabrück und Kammerschaade! Weitere Eindrücke zu Schaade vor dem VG Osnabrück.

7 Antworten auf „VG Osnabrück: "Aufgrund der nunmehr vorliegenden Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in diesem Zusammenhang heute durchgeführten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, sei die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung in Frage zu stellen"“

  1. die­ses hin­ein­wach­sen in die ver­fas­sungs­wid­rig­keit war damals schon the­ma, aber auch, daß die ein­rich­tungs­be­zo­ge­ne impf­pflicht ver­fas­sungs­wid­rig sei, von anfang an, auch,
    es konn­te halt nicht gel­tend gemacht werden,
    des­halb ist die ver­öf­fent­li­chung der pro­to­kol­le wesentlich.

  2. «Dem Verwaltungsgericht kom­me selbst kei­ne Normverwerfungskompetenz zu.»

    Merkwürdiger Satz. Gilt nicht: Das GG steht über nor­ma­len Gesetzen und ist als Grundlage der Rechtsprechung letz­te­ren vor­zu­zie­hen? Und sowas kann ein Verwaltungsgericht nicht entscheiden? 

    Na mal sehn, wie das BVerfG ent­schei­det, wenn es das über­haupt tut. Bisher hat es ja sei­ne Aufgabe dar­in gese­hen, die Regierung vor dem GG zu schützen. 

    In der Schweiz geht es übri­gens nicht anders zu (nur für den Fall, dass noch jmd. an die dor­ti­ge «direk­te Demokratie» glaubt).
    https://​www​.chri​stoph​-pfluger​.ch/​2​0​2​4​/​0​8​/​3​0​/​d​a​s​-​u​r​t​e​i​l​-​s​t​a​n​d​-​w​o​h​l​-​v​o​r​h​e​r​-​f​e​st/

  3. "VG Osnabrück: "Aufgrund der nun­mehr vor­lie­gen­den Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in die­sem Zusammenhang heu­te durch­ge­führ­ten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, sei die Unabhängigkeit der behörd­li­chen Entscheidungsfindung in Frage zu stellen""

    Für die­se Erkenntnis hät­te es nun wahr­lich gar kei­ne RKI-Protokolle oder auch die Aussage des Herrn Schade gebraucht. Es ist ins­ge­samt jedoch trotz­dem als "erfreu­lich" zu bewer­ten, dass sich ein deut­sches Verwaltungsgericht letzt­lich zu solch einer Berurteilung durch­rin­gen konnte.

  4. Zur Erinnerung: Die Privat-Staats-Männer der Stiftung Gebr. Grimm Erben e.V. (auch BRD-Staat genannt) haben doch fest­ge­stellt, daß die Verletzung der kör­per­li­chen Unversehrtheit nicht gegen das Grundgesetz verstößt.

    Schon ver­ges­sen?

  5. Die Gerichtsverhandlung zur Impfpflicht in Osnabrück schaffte es nicht in die Top 10 der Nachrichten. Dort gehört sie aber unbedingt hin,... sagt:
  6. Zwei Monate spä­ter hat sich nun eine Höchstrichterin zu den Entscheidungen ihres Hauses in Sachen Seucheninszenierung geäu­ssert. Das dürf­te die Richtung für die Beurteilung der Eingabe des VG Osnabrück vorgeben.

    «Denken Sie an die Corona-Rechtsprechung, die ich abso­lut für rich­tig gehal­ten habe. In einer Zeit gro­ßer wis­sen­schaft­li­cher Unsicherheit der Regierung einen gro­ßen Gestaltungsspielraum zu las­sen, das hal­te ich für rich­tig. Niemand wuss­te damals, was rich­tig und was falsch war. Es ist nicht unse­re Aufgabe als Gericht, nach Gefühl Recht zu spre­chen.» (Interview Doris König, Rheinische Post, 1. 11. 24)

    Komplettes Interview ohne Bezahlschranke: https://​archi​ve​.is/​M​E​UkQ

    1. @Ulf:
      Danke für den Link!

      Die "Zeit gro­ßer wis­sen­schaft­li­cher Unsicherheit" ist gut!
      (waren es nicht "gesi­cher­te wis­sen­schaft­li­che Erkenntnisse", über die die Regierung – via RKI – angeb­lich verfügte?).

      Fast noch bes­ser aber der Satz davor:
      "Es wäre pro­ble­ma­tisch, wenn wir in eine bestimm­te Richtung Recht spre­chen, um den Befindlichkeiten Einzelner entgegenzukommen."
      (z.B. die "Befindlichkeiten", die bei einem "tra­di­tio­nel­len" Candle Light Dinner gesäu­selt wurden?
      https://​www​.bun​des​ver​fas​sungs​ge​richt​.de/​S​h​a​r​e​d​D​o​c​s​/​P​r​e​s​s​e​m​i​t​t​e​i​l​u​n​g​e​n​/​D​E​/​2​0​2​1​/​b​v​g​2​1​-​0​5​4​.​h​tml ).

      Auch die bahn­bre­chen­de Erkenntnis der Verfassungsriecherin, dass "es wider­sin­nig [ist], sich über eine 'Corona-Diktatur' zu beschwe­ren und gleich­zei­tig auto­ri­tä­re Parteien zu wäh­len." hat was, nebst der Binse, dass "die­se nicht dafür bekannt [sind], dass ihnen die Freiheitsrechte aller Menschen am Herzen liegen."

      Dies lässt ver­mu­ten, dass man am BVerfG sei­tens "Corona-Rechtsprechung" mit dem Verweis, dass ihnen doch selbst ("bekann­ter­ma­ßen") die "Freiheitsrechte aller Menschen am Herzen lie­gen" ein­fach wei­ter­wur­stelt wie gehabt – viel­leicht mit­tels neu­er Mutanten von "Supergrundrechten" in den Urteilsbegründungen.

      Ach so:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Doris_K%C3%B6nig
      immer­hin soll sie schon ein­mal "abwei­chen­de Meinungen" geäu­ßert haben.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert