Die TäterInnen haben einen Verteidiger gefunden. In einem Rechtsstaat steht ihnen das zu. Ihr Vorgehen reproduziert ihre Taten.
Wie sie für sich in Anspruch nehmen, "die Wissenschaft" zu vertreten, lassen sie nur eine juristische Stimme gelten. In dem Fall erhebt sie Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz (der von Eckerle repostete Beitrag korrigiert den Schreibfehler). Zu dem Juristen später mehr.
Gärditz hatte unter der Überschrift "RKI-PROTOKOLLE: In diesen Akten steckt kein Skandal" am 17.8.24 auf faz.net gegen einen drei Tage vorher ebenda veröffentlichten Artikel der Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski Einspruch erhoben. Er trug den Titel "ÜBER DIE RKI-PROTOKOLLE: Wir leben in den Gräben der Pandemie" (faz.net, 14.8.24). Beide Aufsätze werden als Debattenbeiträge gekennzeichnet. Eine souveräne Darstellung der VakzinistInnen hätte auf eine interessante Diskussion hinweisen können.
Rostalski problematisiert, daß "ein verfassungsrechtlich nicht vorgesehenes Organ in Gestalt der Ministerpräsidentenkonferenz Entscheidungen traf, die in die Freiheitsrechte der Bürger eingriffen". Es sei der Eindruck erweckt worden, man folge damit wissenschaftlichen Empfehlungen des RKI und anderer Beratungsgremien. Tatsächlich gehe aus den RKI-Protokollen hervor, daß es für den Umstand, daß "Ungeimpfte für viele Monate fast vollständig aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen" wurden, keine empirische Rechtfertigung gab. Ähnliches gelte für die vielfach geäußerte Skepsis im Krisenstab zu (FFP2-)Masken, die nicht nach außen kommuniziert wurde. Rostalski zitiert aus den Protokollen mehrere Stellungnahmen, die Zweifel an der Schließung von Kitas und Schulen zum Ausdruck brachten. Ihr Thema ist bei allen Fragen "das Verhältnis von Kosten und Nutzen", zu dessen Bewertung die Position des RKI hätte beitragen können. Es gehe gerade nicht um Unwissen und Unsicherheit in einzelnen Sachfragen, sondern darum, "dass wir schon damals anderes hätten wissen können, wenn die betreffenden Wissenschaftler und die Politik die Bürger entsprechend informiert hätten". "Immer wieder zeigt sich in den Protokollen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zugunsten des politischen Willens übergangen wurden und das RKI dabei noch helfend auftrat, indem zum Beispiel passende Sprachregelungen entworfen oder Beeinflussungsstrategien ersonnen wurden."
Wie reagiert darauf Gärditz? Rostalski skandalisiere die RKI-Protokolle, urteilt er und erweckt sogleich den Eindruck (wie so ziemlich jeder Medienbeitrag dazu), er habe das unfangreiche Material durchgearbeitet:
»… Manche öffentliche Erregung überrascht, wenn man sich durch mehr als 2500 Seiten technokratischer Bulletpoints quält, die das weltweit für Millionen Menschen tödliche Pandemiegeschehen in verstümmelten Sätzen zu monotonen Aktenblättern zum Abheften verwandeln. Schon angesichts der Menge der protokollarisch stark verkürzten Abläufe wird man unvermeidbar auf Kritikwürdiges oder später Überholtes stoßen. Dabei darf man die Informationsfetzen, die in den Protokollen auftauchen, nicht als Dokumentation wissenschaftlicher Wissensgenerierung missverstehen, wie es offenbar Rostalski tut…«
Richtig beschrieben ist die überaus schlampige und technokratische Arbeitsweise des Krisenstabs; die Protokolle anderer Gremien sind wesentlich stringenter abgefaßt. Man kann ihm auch folgen dabei, daß hier keine Dokumentation wissenschaftlicher Wissensgenerierung vorliegt. Das ändert allerdings nichts daran, daß diese Elaborate zunächst täglich und später in größeren regelmäßigen Abständen als unhinterfragbare Richtschnur für politisches und bürgerliches Handeln dargestellt wurden. Daß die Leitung des RKI sich selbst häufig in ihren öffentlichen Äußerungen anders verhielt, als die Diskussionen ihres Instituts es nahelegten, ist ein weiteres Problem.
Nachdem Gärditz offen läßt, worum es sich bei den monotonen Aktenblättern zum Abheften der Protokolle denn handelt, belegt er, daß das RKI ohnehin weisungsgebunden und dies eine demokratische Errungenschaft sei:
»[Das RKI untersteht] konsequent der Fachaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums und unterliegt fachlichen Weisungen. Das ist kein Instrument politischer Manipulation, sondern eine demokratische Notwendigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sichert die Weisungsbefugnis der demokratisch verantwortlichen Regierungsmitglieder gegenüber ihrer Ressortverwaltung die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes…«
"Dienende“ Forschung und gähnende Banalität
»Ergänzend hierzu betreibt es „zur Erfüllung [seiner] Aufgaben wissenschaftliche Forschung“. Das meint „dienende“ Forschung, die verfügbares wissenschaftliches Wissen ergänzt, soweit es zur Erfüllung von übertragenen Verwaltungsaufgaben benötigt wird…«
Beim ersten Absatz werde ich als blutiger Laie auf dem Gebiet der Jurisprudenz mißtrauisch bei der mir stakkatohaft vorkommenden dreimaligen Verwendung des Begriffs "demokratisch" in wenigen Zeilen. Zudem meine ich mich an einen Aufschrei zu erinnern, als im Raum stand, das Wirtschaftsministerium könne beim Atomausstieg fachliche Weisungen erteilt haben. Und ich mag mir den Furor nicht vorstellen, wenn ein beliebiges Ministerium einer fiktiven künftigen Regierung von untergebenen Stellen womöglich fachliche Expertise einforderte, warum Rüstungsexporte in Krisengebiete verfassungsrechtlich bedenklich seien.
Von einem mir gesund erscheinenden Menschenverstand ausgehend, der nicht juristisch kompatibel sein muß, frage ich mich beim zweiten Absatz: Woher mag das "verfügbare wissenschaftliche Wissen" stammen, das die "dienende“ Forschung, hier des RKI, ergänzen soll? Von Frau Buyx? Direkt von Biontech/Pfizer?
»Im Institut wird nur hinreichende wissenschaftliche Expertise aggregiert, um wissenschaftliches Wissen professionell zu sortieren und für Verwaltung und Politik aufzubereiten. Das ist aber von vornherein keine unpolitische Aufgabe…«
Dem letzten Satz schließe ich mich an. Genau das macht aber das Dilemma aus und ist geeignet, die Vorwürfe an RKI und Ministerium zu bestätigen. Der erste Satz steht in einem frappanten Gegensatz zur eingangs zitierten Geringschätzung der technokratischen Bulletpoints in den Protokollen des Instituts. Gärditz erwähnt auch hier "die gähnende Banalität der RKI-Protokolle". Und:
»Um „wichtige naturwissenschaftliche Erkenntnisse“ ging es hierbei nicht. Die Fachbehörde bürokratisierte vielmehr Wissen, das seit Frühjahr 2020 in global vernetzten Fachgemeinschaften beinahe in Echtzeit entstand und sofort auf Preprint-Servern kritisch diskutiert wurde, bevor ein gründliches Annahmeverfahren in Journalen mit Peer Review durchlaufen war…«
Ich kann mir nicht helfen, aber ich sehe einen Widerspruch an den anderen gereiht. Selbst wenn das idyllische Bild der global vernetzten Fachgemeinschaften und die Aufgabenbeschreibung des RKI zuträfen: Was geschah mit dem bürokratisierten Wissen, das das Institut aus den wissenschaftlichen Publikationen zog, wenn es etwa die Wirkung von FFP-2-Masken und Schulschließungen bezweifelte?
Weil seine Argumentation nicht schlüssig ist, flüchtet sich der Autor in populistische Klischees vom "Goldenen Zeitalter der Faxgeräte", "einer redlich bemühten, aber mitunter überforderten Fachbehörde" und "bürokratischer Mittelmäßigkeit". In diesem Sinne gehen dann die Gäule mit ihm durch:
»Durften unter galoppierenden Unsicherheitsbedingungen nach Vorsorgeprinzip bei Abwägung von Nutzen und Risiken bestimmte Maßnahmen getroffen werden? Die Rechtsprechung hat hier den demokratisch legitimierten Gesetz- und Verordnungsgebern mit Recht weitreichende Einschätzungsspielräume zugestanden und nur die Plausibilität der zugrunde gelegten Prämissen überprüft.
Was hätten Gerichte auch mehr tun können? Im Gerichtssaal lassen sich keine komplexen Diskurse hoch spezialisierter und global vernetzter Fachgemeinschaften simulieren. Hier kommen nun die Einschätzungen des RKI ins Spiel: Von den Verwaltungsgerichten bis zum Bundesverfassungsgericht dienten Referenzen schlicht der Verifikation, dass politische Maßnahmen auf plausiblen (nicht willkürlichen) Annahmen beruhten…«
Libertär verkitschte Demokratie-Folklore
Um im Tierleben zu bleiben: Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Ein Ministerium, dem dazu eine demokratische Befugnis zugeschrieben wird, weist eine Behörde an, die von ihm präferierten Maßnahmen als plausibel darzustellen. Gerichte können gar nicht mehr tun, als festzustellen: Klingt plausibel. Den systemischen Sinn erhält dieses Spiel nur mit der Konstruktion eines "verfügbaren wissenschaftlichen Wissen", das dem Ministerium a priori zufällt. Alle Beteiligten sind aus dem Schneider, auf der Strecke bleibt nur die Wissenschaft. Das Problem des immensen Vertrauensverlustes in der Bevölkerung angesichts solcher Willkür, das Rostalski anspricht, interessiert nicht. Der Verdacht der Willkür entspringt ohnehin wohl einer "libertär verkitschten Demokratie-Folklore":
»So wenig wie eine radikale Epistemisierung des Politischen egalitäre Legitimation schafft, ersetzt libertär verkitschte Demokratie-Folklore die Komplexität arbeitsteiliger Wissensverarbeitung und demokratisch verantwortete Entscheidungen. Demokratische Mündigkeit bedeutet auch Einsicht in die eigenen kognitiven Grenzen…«
Was auf alle, bis auf elitäre Rechtsprofessoren, zutrifft.
Der Artikel ist hier in Gänze zu lesen.
Auf verfassungsblog.de gibt es eine Übersicht seiner Posts dort. Sie ist erhellend:
"Es gibt keinen RKI-Skandal."
… völlig richtig! Da RKI dem BMG unterstellt ist, muss man vom BMG-Skandal sprechen. Dem BMG und Jens Spahn war spätestens Mitte März 2020 bekannt, dass die wichtigsten Parameter des SARS-CoV‑2 den Influenzaviren gleichen oder darunter liegen. Danach sollte nur eine einzige Frage gestellt und beantwortet werden:
Welche Schutzmaßnahmen hat das BMG bei der letzten Grippewelle beschlossen und eingeführt? Die Antwort darauf konnte nur: keine, lauten.
Guten Abend!
Vielen Dank für diesen Artikel: er rundet hervorragend das totalitäre Welt- und Sittenbild eine gewissen "Ethikratsvorsitzenden", mit der Ethik eines gewissen Arztes (Josef M.) ab, die sie wie eine Monstranz vor sich her trägt. (Es gilt die Unschuldsvermutung!)
Deshalb rufe ich hier einige Infos zum Ethikratsmitglied Frauke Rostalski in Erinnerung:
– Dezember 2021: Sie hat als eine von vier Ethikratsmitglieder gegen die Impfpflicht gestimmt. (1)
– September 2023: Sie hat sich öffentlich für die Rehabilitierung des weimarer Familienrichters Christian Dettmar eingesetzt.(2)
– Und jetzt auch noch das?
Die "große Vorsitzende" hat wohl gute Gründe den Gärditz-Kommentar zu teilen: Sie will über kurz oder lang wohl an "Nestbeschmutzern" ein Exempel statuieren und fängt jetzt – vermeintlich harmlos – mit der kommunikativen Strategie der Nadelstiche an.
Frau B. beweist mit ihren kommunikativen Bonmots (so auch mit diesem) implizit was man von ihr zu halten hat.
Einen schönen Abend,
Daniel
(1) https://www.corodok.de/warum-impfpflicht-verfassung/
(2) https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus247270378/Richter-fuer-Masken-Entscheidung-bestraft-Dieses-Urteil-ist-unhaltbar.html
@Daniel J: Danke. Die Anspielung auf "Josef M." halte ich allerdings im Zusammenhang mit Frau B. für abwegig. Da reicht ein Blick in den Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Mengele
@aa : «Die Anspielung auf "Josef M." halte ich allerdings im Zusammenhang mit Frau B. für abwegig.»
Stimmt sicherlich. Genauso wie die gelben, sechstrahligen Sterne mit der Aufschrift «Ungeimpft!» auf Demos geschmacklos waren.
Andererseits: Die Eichmann-Paraphrase vom weiterhin stolzen Angstmacher Bude, «Ungeimpfte nach Madagaskar», hatten wir halt auch. Und «Ungeimpfte als entbehrlicher Teil des Gesamtkomplexes».
CJ Hopkins hat schon recht wenn er schreibt, Kapitalismus sei eine Wertzersetzungsmaschine («value-decoding machine») und der postmoderne Totalitarismus sei überall der gleiche. Trotzdem blubbert hier in Schland in diesem Zusammenhang kulturell recht spezifischer alter brauner Scheiss dann doch an die Oberfläche. Gerade bei «Linken». «Der Faschismus der keiner sein will» (Ulrich Mies).
Erinnert mich daran, wie ich im April '20 in der Leonhardtstr. auf der Parkbank ggü. dem Italiener meine Pizza gegessen habe (dort selbst durfte man ja nicht), und eine ältere Dame vorbei ging, sich das anguckte und sagte: «Ist das nicht wie '33?» – Damals fand ich das noch übertrieben,
Beim Philosophen Giorgio Agamben können wir (in «Homo sacer») nachlesen: Das biopolitische Muster für die Organisation der Gesellschaft in der Moderne sei nicht mehr die Stadt, sondern das Lager. Simon Elmer von den londoner Architects for Social Housing hat diesen Gedanken mit Fotos von Quarantänelagern der Gefängnisinsel der Südhalbkugel bebildert.
https://architectsforsocialhousing.co.uk/2022/02/08/the-camp-as-biopolitical-paradigm-of-the-state/
@Ulf Martin: Mir will scheinen, das Muster, das der Philosoph erkennen will, hat sich nicht durchgesetzt.
Sehr geehrter Herr Aschmoneit,
es freut mich dass meine glossenhafte Überspitzung getriggert hat. 😀
Mir ging es bei der Überspitzung eher um das ethische Selbstverständnis der "großen Vorsitzenden" das ich – frei nach Hans Jonas – dem technischen Imperativ zuordne: Handle so, dass keine Technik ungenutzt bleibt. In eigenen Worten: Was technisch möglich ist, kann und soll umgesetzt werden.
Klingt das nach Ethik?
Es klingt eher nach: Für das "höhere Wohl" müssen im Zweifel Opfer gebracht werden. Siehe u.a.: "Moralische Pflicht zum Impfen." Und wer sich diese Redewendung mit dem "Opfer bringen" durchgedacht hat, landet am Ende bei der Rechtfertigung abscheulichster Menschenversuche.
Die Rechtsphilosophin Kathrin Gierhake hatte bei Gunnar Kaiser seinerzeit davon gesprochen, dass sich innerhalb der Juristen Denkmuster wiederfinden, die an finstere Zeiten erinnern. Warum sollte das nur auf Juristen beschränkt sein?
Ich weiß, dass dieser Beitrag schwerere Kost geworden ist als geplant und dafür entschuldige ich mich und wünsche eine angenehme Nachtruhe.
Freundliche Grüße,
Daniel
@Daniel L.
Vielen Dank! Eine gute Nachtruhe könnt ich wohl gebrauchen.
Mir gefiel der Gebrauch des Begriffes "Technischer Imperativ". Das ist im Zusammenhang auch sehr wichtig und deutlich unterrepräsentiert.
Es geht aber um den komerziellen Imperatv. der Macht wegen, wohl!
Und Allen ein "Gutes Nächtle"!
"Frau B. beweist mit ihren kommunikativen Bonmots (so auch mit diesem) implizit was man von ihr zu halten hat."
… @Daniel J, ja – das tut sie… immer wieder:
https://x.com/rosenbusch_/status/1825051558788125058
Danke auch hierfür. Ich habe den ganzen Nachmittag lang versucht, das zu formulieren, hätte es aber nie so hingekriegt.
Lesenswert:
Gärditz, Klaus Ferdinand: Wehrhafte Hochschulen und Wissenschaftsfreiheit, VerfBlog, 2022/10/23, https://verfassungsblog.de/wehrhafte-hochschulen-und-wissenschaftsfreiheit/, DOI: 10.17176/20221023–225540‑0.
Kaum eine halbe Woche brauchte Gärditz um auf Rostalskis Artikel zu reagieren.
Honi soit qui mal y pense!